Der Stein im Nacken drückt

Über Christoph D. Brummes Roman „Der Honigdachs“

Von Thomas NeumannRSS-Newsfeed neuer Artikel von Thomas Neumann

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Nachdem Christoph D. Brummes letzter Roman „Auf einem blauen Elefanten“ eher eine Reisebeschreibung eines Fahrradausflugs nach Russland war, macht sich Brumme mit dem „Honigdachs“ in die Vergangenheit des Erzählers auf, in die Tiefen der Seele und in die der Poesie. Dass er diese Reise wiederum mit dem scharfen Skalpell der Sprache bewaffnet unternimmt, ist für den Leser sehr erfreulich. Wie er sich das Vorgehen denkt, formuliert er prägnant und entwirft dabei fast eine Poetologie: „Ich habe gelernt, dass man einfach jede geschwätzige Silbe streichen muss, dann merkt man schon, ab man etwas zu sagen hat“.

Die äußere Handlung liefert der Erzähler mit seinem Leben als Schriftsteller in der Gegenwart. In Rückblicken taucht er immer wieder in seine eigene Kindheit hinab, zu einer autoritären, gewalttätigen Vaterfigur und einer bis zur Unerträglichkeit duldsamen Mutter. Auch die das Leiden der Kindheit teilenden Geschwister bieten zusammen mit dem Protagonisten ein erbarmungswürdiges, misshandeltes Personal, das den Launen des Vaters ausgesetzt ist. Dass diese „Launen“ bis hin zum Missbrauch der Schwester führen, deutet der Erzähler nur in wenigen, knappen Sätzen an. Trotz dieser Ernsthaftigkeit der der Vergangenheit trotzenden Geschichte ist, wie von Brumme nicht anders zu erwarten, die Erzählung auch mit einem Humor versehen, den man bei einer so ernsten Hintergrundgeschichte auch benötigt. Der Erzähler ist auf einer Forschungs- und Erkenntnisreise in Russland und erfreut sich dort an den hiesigen Lokalitäten: „Das Restaurant hieß Bruderschaft. Porträts von Mozart und Marx hingen an den Wänden. In der Speisekarte wurden Steak Dicke Berta, Huhn à la Luftwaffe, Eva-Braun-Salat und Führer-Soße angeboten. Die Kellnerin erklärte, der vorherige Besitzer habe bekannte deutsche Namen für die Gerichte ausgesucht. Jeder wisse, wer Eva Braun gewesen sei“.

In der Spannung von gegenwärtigem Erzählen und Erleben und der Rekapitulation der Vergangenheit wird durch die klare Sprache eine merkwürdige Mischung aus Distanz und messerscharfer Analyse erzeugt. Erschütternd und schockierend ist dann auch nicht erst die Feststellung, die am Ende des Buches steht: „Raskolnikov hatte kalkuliert gemordet, ich als Siebenjähriger, welch fundamentaler Unterschied in Bezug auf die Bewertung der Tat, nicht in Bezug auf die möglichen seelischen Folgen“.

Brummes Roman ist ein Zeugnis von Kindesmisshandlung und den Folgen für die Opfer und deren Umfeld. In brillanter Sprache schafft er eine Prosaminiatur, die in dieser Form ihresgleichen sucht. Warum für dieses Stück Weltliteratur als Titel die Metapher des „Honigdachs“ gewählt hat, wird allerdings erst nach der Lektüre deutlich.

Titelbild

Christoph D. Brumme: Der Honigdachs. Roman.
Dittrich Verlag, Berlin 2010.
130 Seiten, 14,80 EUR.
ISBN-13: 9783937717500

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