Gutmeinende und Nochbesserwissende

Thea Dorn erhellt die harmonischen deutschen Zustände mit einer Textsammlung

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Vor etwas mehr als fünfzehn Jahren wurden in den Fächern der Lehrenden des philosophischen Instituts einer Berliner Universität die Leichenteile eines offenbar ermordeten Kollegen aufgefunden. Glücklicherweise ist der Fall längst aufgeklärt. Und noch besser ist, dass niemand zu Schaden kam, denn es handelt sich bei dem blutrünstigen Verbrechen um das Eingangsszenarium von Thea Dorns erstem Krimi „Berliner Aufklärung“. Inzwischen ist die ehemalige Philosophiestudentin nicht nur mit einer Reihe weiterer, nicht minder lesenswerter Werken des Genres hervorgetreten – zuletzt mit dem Roman „Mädchenmörder“, sondern zudem mit einer eigenen Literatursendung im öffentlich-rechtlichen Fernsehen, der Herausgabe eines Buches über die „Neue F-Klasse“ selbstbewusster und erfolgreicher Frauen, sowie mit zahlreichen Essays und Glossen in diversen Zeitungen und Zeitschriften. Dass diese in aller Regel ebenso amüsant wie provokativ und zudem auch noch – ganz im Sinne der Aufklärung – erhellend sind, lässt sich nun noch einmal in aller Ruhe nachlesen. Denn Dorn hat etliche der Texte, in denen sie sich kritisch mit den Zuständen in Deutschland befasst, in einem Buch mit dem Titel „Ach, Harmonistan“ zusammengestellt.

Die kunstvoll polemisierende Form, deren sich Dorn wie so oft auch im vorliegenden Buch bedient, steht ganz im Dienst seines argumentativen Inhalts. Diese glückliche Verbindung ist zwar selten, doch durchaus nicht neu. Man kennt sie von Hedwig Dohm, die Dorn nicht von ungefähr als „brillante Frauenrechtlerin und Schriftstellerin“ feiert, sondern auch an passender Stelle zitiert.

In den annähernd dreißig Texten wendet sich Dorn immer wieder mit besonderer Vorliebe und noch mehr Verve den „Gutmeinenden und Nochbesserwissenden unserer Tage“ zu, konstatiert völlig zutreffend, dass in Wahrheit das „Geschäft mit der Angst“ das „älteste Gewerbe der Welt“ ist, klagt angesichts von Charlotte Roches seichten „Feuchtgebieten“ darüber, „auf welchem kümmerlichen Niveau der in provokativer Absicht inszenierte Tabubruch unserer Tage angekommen ist, macht sich über die „bildschirmerprobten Simplifizierer“ von Peter Hahne bis Eva Herrmann lustig, „träumt von einer Frauenbewegung, die alle leidenschaftlichen Individualisten bewegt“ und „wundert sich über den Mann, der endlich Opfer sein will“: „Während eine neue Generation Feministinnen unmissverständlich sagt, dass frau im 21. Jahrhundert nach allem Möglichen strebt, nur nicht danach, als Opfer betrachtet zu werden, stürmt das Männlein die Jahrmärkte der öffentlichen Gefühligkeit, um den Opferwimpel zu ergattern, jenes höchste Gütesiegel, das die Verdienstorden frühere Zeiten abgelöst hat“. Und sie bietet auch gleich ein Beispiel aus eigener Erfahrung: „Unlängst hatte ich die Ehre, zu einem Expertentreffen bei der Bundeskanzlerin eingeladen zu sein. Schnell wurde als eine der großen Trends die ,Feminisierung der Gesellschaft‘ ausgerufen. Sicherheitshalber schaute ich mich ein zweites Mal in der Runde der versammelten Politiker, Wissenschaftler und Publizisten um: Außer der Bundeskanzlerin und mir saßen nur Männer im Raum“.

Neben den allzeit opferbereiten Herren aus der maskulinistischen Ecke befasst sich die Autorin mit einem zweiten männlichen Phänotypen: Dem zwar längst ergrauten, jedoch sich nach wie vor juvenil fühlenden „Peter Pan“, der „trotz beginnender Geheimratsecken“ noch immer „nächtelang auf den angesagtesten Partys mit ,Frauen, wunderbaren Frauen‘ abhängt.“

Auf die Idee des Taufnamens dieser Spezies brachte sie offenbar eine Namensgebung Colette Bowlings, die schon vor einigen Jahrzehnten jene Frauen als Cinderellas bezeichnete, welche „die ihnen zu Gebote stehende Freiheit, fundamentale biografische Entscheidungen“ selbst treffen zu können, nicht etwa „beherzt ergreifen“, sondern sich von ihr vielmehr gelähmt fühlen und lieber auf einen Märchenprinzen warten, der sie aus ihrer Schockstarre wachküssen möge. Dabei zielt Dorn insbesondere auf das „Großstadt-Aschenputtel“, für das sie kaum weniger Spott und sicher nicht viel mehr Verständnis übrig hat als für den Peter Pan, wenn es „auf hohen Absätzen scheinbar souverän durchs Nachtleben stöckelt – und sich in Wahrheit doch nach der großen Liebe sehnt, die seinen Leben endlich Halt und Verbindlichkeit schenkt“. Es sei zwar „auch in früheren Zeiten nicht einfach gewesen, einen ,Märchenprinzen‘ zu finden“, spottet Dorn, doch heute scheine es „so schwer geworden zu sein wie noch nie“. Tatsächlich gab es die verzweifelt gesuchten Retter in Prinzengestalt selbstverständlich noch nie. Nicht einmal in den guten, alten Zeiten, in denen das Wünschen noch geholfen hatte.

„Die simple Wahrheit“ ist Dorn zufolge jedenfalls, „dass wir nur dieses eine Leben haben – und es ein Jammer ist, wenn wir unsere besten Jahre damit vergeuden, auf den großen Startschuss zu warten“. Da stimmt man ihr gerne zu – und auch die Wut kann man nach vollziehen, die sie packt, „wenn ich von Frauen höre, die sich danach sehnen, dass ihnen schwere Lebensentscheidungen wie Berufswahl oder Fortpflanzung vom ,starken Mann‘ oder – wenn der nicht zu haben ist – vom schlichten Zufalle abgenommen werden“.

Von Frauen, die nicht davor zurückschrecken, ihre Freiheiten zu nutzen, sondern sich unter nicht geringen Wagnissen sogar aus der Unfreiheit freigekämpft haben, handelt ein in den Band aufgenommener Text über drei ganz unterschiedliche Islamismuskritikerinnen und ihre Bücher. Dorn nutzt die Besprechung von Publikationen Inci Y.’s, Ayaan Hirsi Alis, deren Leben „ein grandioser Beweis dafür ist, dass aus einem kleinen somalischen Mädchen, für das die Gemeinschaft eine Karriere als vollverschleierte Söhnefabrik vorgesehen hatte, ein stolzes, mutiges, höchst eigenwilliges Individuum werden kann“, und Necla Keleks Buch über Zwangsehen und Importbräute, um „deutschen Islamverstehern und -versteherinnen“, die den „barbarischen Tanz ums Jungfernhäutchen“ für eine „besonders beklatschenswerte Nummer beim Karneval der Kulturen halten“, gehörig die Leviten zu lesen und darauf hinzuweisen, „dass nicht alles Karneval ist, wo ,Kulturen‘ draufsteht“.

So vehement, wie Dorn für Aufklärung und individuelle (Entscheidungs-)Freiheit eintritt, so ablehnend zeigt sie sich gegenüber einem Pazifismus, „der darauf schielt, die eigenen Schäfchen ins Trockene zu bringen“. Diese „deutschen Friedenstauben“ können sich ihr reines Gewissen Dorn zufolge nur mit einem „moralischen Taschenspielertrick“ erhalten: „Zwar hält man den Westen en gros für eine so fragwürdige Kultur, dass man ihm pauschal das Recht abspricht, sich auch mit Gewalt gegen die zu verteidigen, die ihn ihrerseits mit äußerster Skrupellosigkeit attackieren. En Detail möchte man in Berlin, Köln oder am Bodensee seinen Rotwein aber auch weiterhin in Ruhe genießen können“.

Dorn aber beharrt auf der Notwendigkeit, die „existentielle Freiheit“ zu verteidigen, die zwar „manchmal schwer zu verkraften und noch schwerer zu gestalten“ ist, aber nicht weniger als „die beste Lebensform, die die Menschheit bisher zustande gebracht hat“. Ist sie doch „die einzige, die es Menschen gestattet, mit all ihren Vielschichtigkeit und Widersprüchen zu leben“. Eben darum steht Dorn „unmissverständlich und unnachgiebig für die Werte der Aufklärung“ ein und fordert „die Einhaltung dieser Werte von allen, die auf dem europäischen Kontinent leben“.

Damit es zwischen Buch und Besprechung nicht allzu harmonisch zugeht, abschließend noch einige kritische Anmerkungen, die meist von nicht sonderlich großem Gewicht sind. Beginnen wir mit einem Herrn namens Timothy Gordon Ash. Dass Dorn ihn als „Unterhändler des Aufklärung“ apostrophiert, ist denn doch allzu schmeichelhaft, wenngleich es alles andere als eben so gemeint ist. Etwas kritischer ist Dorns Annahme zu sehen, dass „selbst der schlichteste Gangsta Rapper“ in dem Moment, „in dem er darüber nachdenken muss, ob er ,Fotze‘ lieber auf ,Kotze‘ oder ,Rotze‘ reimen soll, bereits den Königsweg der Sublimation beschritten“ hat, und Dorn nur die Frage als „berechtigt“ anerkennt, „ob es dem Rapper gelingt, seine Klientel auf diesen Königsweg mitzunehmen, oder ob sie seine Texte als reale Handlungsaufforderungen missverstehen“. Hier irrt die Autorin gleich mehrfach. Denn die Fans des besagten Rappers – sowohl die männlichen wie auch die weiblichen – verstehen die Texte zurecht als reale und ernstgemeinte Aufforderungen und Anweisungen zu handeln, beziehungsweise mit sich handeln zu lassen. Und seine eigene Sublimation mag zwar für den Moment des Textens wirkungsmächtig sein, ansonsten folgt auch der Rapper selbst der Handlungsanweisung seiner Texte. Und zwar bereits im backstage-Bereich der Bühne, wie sich etwa in dem jüngst erschienen Buch „McSex“ der Musikkritikerin Myrthe Hilkens nachlesen lässt, und falls irgendmöglich am liebsten auch schon auf der Bühne.

Und ein letztes noch: Dorns rhetorische Frage, „wie soll ich auf Ereignisse emphatisch reagieren, wenn ich mir von Dekonstruktivisten habe einflüstern lassen, dass alles nur ,Bild‘, ,Oberfläche‘, ,Text‘ sei?“, wird ihr der dekonstruktive Feminismus sicher gerne beantworten. Dass aber auch das politische Engagement dekonstruktiver FeministInnen in die Irre führen kann, zeigen die politischen Statements über „Krieg und Affekt“ Judith Butlers, die Dorn sicherlich zurecht des „Vulgärpazifismus“ zeihen würde, zumal sich auch bei Butler ohne größere Mühe der von Dorn für dessen AnhängerInnen als obligat erkannte Antiamerikanismus ausmachen lässt.

Niemand sollte sich aber von den hier angeführten Kritikpunkten und den zwei, drei weiteren Schwächen, die der eine oder andere Text Dorns haben mag, davon abhalten lassen, ihre amüsanten Provokationen zu kaufen und – wichtiger noch – zu lesen.

Titelbild

Thea Dorn: Ach, Harmonistan. Deutsche Zustände.
Knaus Verlag, München 2010.
256 Seiten, 19,99 EUR.
ISBN-13: 9783813503845

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