„Wisst ihr’s noch, wie wir brennend und sengend durch das blühende Land zogen?“

Thomas Morlangs Studie „Rebellion in der Südsee“ beschreibt die Geschichte einer unterdrückten Revolution am fernen Rande deutscher Kolonialherrlichkeit

Von Klaus-Jürgen BremmRSS-Newsfeed neuer Artikel von Klaus-Jürgen Bremm

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Er sei der „reine Zauberer“, den ihm der Himmel ganz unverdienter Weise in seiner Güte beschert habe, schrieb Kaiser Wilhelm II. begeistert an Graf Bernhard von Bülow, nachdem ihm der damalige Außenstaatssekretär am 12. September 1898 in euphemistischem Ton gemeldet hatte, dass mit dem Erwerb der drei Karolinen-Inseln Kusaie, Jap und Ponape nach der Inbesitznahme Kiautschous nun ein „zweiter Stein“ gelegt sei für „den stolzen Bau des größeren Deutschlands“. Tatsächlich erwies sich der Erwerb der verstreuten Südsee-Eilande, die das Reich für beachtliche 16,5 Millionen Reichsmark von Spanien kaufte, als peinliche Fehlinvestition. Weder Bodenschätze noch eine strebsame und steuerkräftige Bevölkerung ließen erwarten, dass die beträchtlichen Investitionen in überschaubarer Zeit wieder zurückfließen würden.

In der darauf folgenden Dekade entwickelte sich auf den neu erworbenen Säulen deutscher Kolonialherrlichkeit in der Südsee eine bizarre Situation. Das gewohnte Leben der autochthonen Bevölkerung, das schon die Spanier kaum zu stören vermocht hatten, ging auch unter deutscher Ägide seinen gewohnten Gang. Nicht die in fünf verschiedene Volksgruppen zerfallenen Ponapesen assimilierten sich der Lebensweise der Kolonialherren, sondern es verhielt sich eher umgekehrt, da Albert Hahl, der erste deutsche Bezirksamtmann, mit einer einheimischen Frau zusammenlebte und sich teilweise den Sitten der Einheimischen anpasste. Als jedoch nach der Versetzung Hahls die spärlich ausgestattete deutsche Kolonialverwaltung auf der nur 347 Quadratkilometer großen Insel Ponape (heute Pohnpei) begann, wenigstens in Ansätzen die Voraussetzungen zu einer ertragreicheren Ökonomie auf der Insel zu schaffen, indem sie das traditionelle und ineffektive Feudalsystem abzuschaffen und gleichzeitig die durchaus selbstbewussten Ponapesen zum Straßenbau einzusetzen versuchte, kam es rasch zu Konflikten.

Ende 1910 eskalierte der Streit zwischen der Kolonialverwaltung und den Einheimischen, als die Sokehs, die den nördlichen Distrikt der Insel bewohnten, den resoluten Nachfolger des konzilianten Hahl, Gustav Boeder, samt seiner Begleitung erschlugen und sich anschließend auf der Nebeninsel Dschokadsch verschanzten. Die anschließende Strafaktion der Deutschen nahm unter Beteiligung zweier Schiffsbesatzungen mehrere Wochen in Anspruch und mündete in eine zermürbende Verfolgungsjagd auf die weit unterlegenden Aufständischen, deren Führer sich indes mehrfach den deutschen Offizieren als ebenbürtig erwiesen.

Die Rebellion der Sokehs endete erst, als sich das kaum 500 Köpfe zählende Völkchen in einzelnen Gruppen ergab. Milde aber mochten die düpierten Kolonialherren trotz der erstaunlichen Leistung der rebellischen Sokehs, die sich immer wieder geschickt deutschen Einkreisungsversuchen entzogen hatten, nicht walten lassen. 17 Anführer wurden im Februar 1911 im Schnellverfahren zum Tode verurteilt, zwölf weitere Männer zu langer Zwangsarbeit. Die übrigen Sokehs deportierten die Deutschen einschließlich der Frauen und Kinder auf die Nachbarinsel Jap. Erst als die ehemaligen Karolinen 1947 ihre Unabhängigkeit erlangten, durften die Überlebenden, deren Zahl inzwischen um die Hälfte geschrumpft war, wieder in ihre Heimat zurückkehren.

Aus europäischer Sicht war der verzweifelte Widerstand der Sokehs auf Ponapeh nur eine Episode, die kaum Schlagzeilen machte und heute längst vergessen ist. Um so verdienstvoller erscheint es daher, dass der Essener Historiker Thomas Morlang, der bereits eine aufschlussreiche Studie über die farbigen deutschen Kolonialsoldaten (Askari und Fitafita) vorgelegt hat, nun eine weitere Untersuchung über einen kaum bekannten Konflikt aus der gar nicht so paradiesischen Südseewelt präsentiert. Der Verfasser schöpft hierbei aus dem durchaus reichlich vorhandenen deutschen Archivmaterial sowie der gewohnt beschönigenden Memoirenliteratur, versucht aber auch, die mündliche Überlieferung und Sicht der Einheimischen in seine Darstellung einzubeziehen. Dabei wird rasch deutlich, dass die deutsche Kolonialmacht, wie schon in Afrika, vor völkerrechtswidrigen Kriegspraktiken wie dem Niederbrennen von Dörfern und Vorräten sowie Repressalien gegenüber der Zivilbevölkerung bis hin zu genozidalen Aktionen nicht zurückschreckte.

Ein besonderes Schamgefühl hat man auf deutscher Seite darüber offenbar nicht entwickelt. So klingt es schon beinahe poetisch-sentimental im Tagebuch eines Teilnehmers, wenn der Verfasser rhetorisch fragt: „Wisst ihr’s noch, wie wir sengend und brennend durch das blühende Land zogen, wehende Rauchsäulen verbrennender Dörfer als Wegweiser des Tages, als leuchtende Fackel des Nachts?“ Morlang beschreibt dies alles in einer gut lesbaren Sprache, die nicht durch komplexe Theoriedebatten verstellt ist. Seine knappe und konzise Studie wird durch zahlreiches Bild- und Kartenmaterial ergänzt. Besonders hervorzuheben sind auch die kurzen biografischen Exkurse über die wichtigsten beteiligten Persönlichkeiten, die den schön aufgemachten Band aus der Kolonialreihe des Berliner Links-Verlages sinnvoll abrunden.

Titelbild

Thomas Morlang: Rebellion in der Südsee. Der Aufstand auf Ponape gegen die deutschen Kolonialherren 1910/11.
Ch. Links Verlag, Berlin 2010.
200 Seiten, 24,90 EUR.
ISBN-13: 9783861536048

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