Dienstalltag als Gewaltausübung

Elissa Mailänder Koslov analysiert in ihrem Buch die „Gewalt im Dienstalltag“ am Beispiel der „SS-Aufseherinnen des Konzentrations- und Vernichtungslagers Majdanek“

Von H.-Georg LützenkirchenRSS-Newsfeed neuer Artikel von H.-Georg Lützenkirchen

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Über die Funktion der sogenannten Konzentrationslager im nationalsozialistischen Terrorsystem ist in den letzten Jahren intensiv geforscht werden. Seit Eugen Kogons „Der SS Staat“ über das „System der deutschen Konzentrationslager“ aus dem Jahre 1946 bis zu der umfassend angelegten mehrbändigen „Geschichte der nationalsozialistischen Konzentrationslager“ von Wolfgang Benz und Barbara Distel (siehe literaturkritik.de, Nr. 3/2007, Nr. 9/2007, Nr. 3/2008, Nr. 3/2009) ist die Forschung immer tiefer in dieses System eingedrungen. Nicht zu vergessen sind auch die Gutachten, die bei den großen Gerichtsverfahren wie dem Frankfurter Auschwitz-Prozesses 1963-1965 Grundlagenwissen über das Funktionieren des Terrorapparates bereitstellten.

Trotzdem blieben Leerstellen. Das jedenfalls meint Elissa Mailänder Koslov. In der Einleitung ihrer Studie „Gewalt im Dienstalltag“ stellt sie fest, dass die historische Konzentrationslagerforschung „die Gewaltproblematik“ nach wir vor nur unzureichend thematisiert habe. Mit ihrem Buch über „SS-Aufseherinnen des Konzentrations- und Vernichtungslagers Majdanek“ will sie nun einen Beitrag leisten, dieses Defizit aufzuarbeiten. Im Zentrum ihres Interesses stehen dabei einige der Frauen, die ihre ‚Ausbildung‘ als KZ-Aufseherinnen in Ravensbrück erhielten und später Aufseherinnen im Konzentrations- und Vernichtungslager Majdanek waren.

Die Autorin betrachtet und analysiert die Gewaltausübung der KZ-Aufseherinnen als Folge und in Beziehung zu den alltäglichen Bedingungsfaktoren, die die ‚Arbeit‘ der Aufseherinnen bestimmten. Das war natürlich zuallererst der Ort Majdanek, ein Ort der Vernichtung von Menschenleben, an dem das Konzentrationslager für die Häftlinge nur einen kurzen Aufschub des Todes bedeutete. Hier wurden zwar die Frauen bei der unmittelbaren Vernichtung der Menschen, ihrer Ermordung und der anschließenden Beseitigung der Leichen nicht eingesetzt, dennoch waren sie Teil der Mordmaschinerie. Wirkte sich dieser Bedingungsfaktor schon radikalisierend auf die Handlungen der Aufseherinnen aus, so kam ein Weiteres hinzu: viele der Aufseherinnen sahen sich in Majdanek „nach Osten“ abgeschoben. Ergebnis waren Frustrationserfahrungen, die in Gewalttaten gegen die Häftlinge ihren kompensatorischen Ausdruck fanden. So wird Gewalt zur Alltagserfahrung. Sie entwickelt eine eigenständige Dynamik, die als weiterer Bedingungsfaktor hinzukommt. Sie äußert sich beispielsweise auch in einer „gegenderten“ Dynamik. Im Kontakt mit den männlichen Schergen kam es seitens der Frauen dann immer wieder zu besonders brutalen Handlungen, wenn „ein Zuschauer des anderen Geschlechts in der Nähe war“. Die Folge solcher Dynamik sind andauernde Demütigungen der Häftlingen, bis hin zu Grausamkeiten. „Die grausame Tat verschafft dem Täter eine vitale Erfahrung der eigenen Über-Macht“, schreibt Mailänder Koslov. Möglich sei sie aber nur in einem Umfeld, in der die Gewalt zur selbstverständlichen Machtausübung gehörte – so wie im Konzentrations- und Vernichtungslager Majdanek.

Das war noch anders in den ‚normalen‘ Konzentrationslagern. Hier war das Bewachungspersonal für den ‚ordentlichen‘ Ablauf des Lageralltags verantwortlich. Zumeist stellten SS-Angehörige das Wachpersonal. Nur selten gehörten Frauen zum Wachpersonal der Konzentrationslager. Anders war das im KZ Ravensbrück, das als Frauenlager gegründet worden war. Hier verrichtete weibliches Personal den Wachdienst.

Der Dienst im KZ war für die zumeist aus einfachen Verhältnissen stammenden Frauen eine lukrativ erscheinende Berufsoption. Besondere berufliche Qualifikationen waren nicht erforderlich, die „nach Maßgabe der allgemeine Tarifordnung (ATO)“ zu erwartende Vergütung war gut, zudem bestand die Aussicht, in den Beamtenstatus zu gelangen. Was ansonsten eine Aufseherin zu leisten hatte, sollte die ‚Ausbildung‘ in Ravensbrück erbringen.

Die Ausbildung taugte auch für den ‚Dienst‘ in Majdanek. Hier funktionierte, was die Aufseherinnen zuvor gelernt hatten: den Dienst als Arbeit verstehen, die man möglichst „gut“ zu verrichten hat. Das Lager, so formuliert Mailänder-Koslov ihr Resümee, „erlebten“ die Aufseherinnen, wie auch die SS-Männer „in erster Linie als Arbeitsplatz“. Das „Gewaltverhalten“ an diesem Platz „war ein vielschichtiger, keineswegs linearer Prozess. Gewalt entstand durch komplexe normative, institutionelle, soziale und situative Dynamiken“. Das bedeutet aber auch: es gab andere „Handlungsoptionen“. Indes wurden sie nicht wahrgenommen. Die Aufseherinnen waren wohlfunktionierenden Handlangerinnen des großen Mordens.

Titelbild

Elissa Mailänder Koslov: Gewalt im Dienstalltag. Die SS-Aufseherinnen des Konzentrations- und Vernichtungslagers Majdanek 1942-1944.
Hamburger Edition, Hamburg 2009.
521 Seiten, 35,00 EUR.
ISBN-13: 9783868542127

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