Eine erneute Demontage der deutschen Wehrmacht

Auch der so genannte Westfeldzug gegen Frankreich war kein „sauberer Krieg“, wie Raffael Scheck in seiner Studie „Hitlers afrikanische Opfer“ zu zeigen weiß

Von Klaus-Jürgen BremmRSS-Newsfeed neuer Artikel von Klaus-Jürgen Bremm

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Zu Beginn des Zweiten Weltkrieges mobilisierte Frankreich rund 60.000 schwarze Soldaten aus Westafrika, die unter Führung zumeist weißer Offiziere in so genannten Kolonialinfanterieregimentern gegen Hitlers Wehrmacht kämpfen sollten. Schon im Ersten Weltkrieg hatte die französische Armee auf diese Aushilfe zurückgreifen müssen, um ihre horrenden Verluste an der Westfront auszugleichen. Rund 40.000 der „Senegalschützen“ (Tirailleurs Sénégaloises) gelangten tatsächlich im Frühsommer 1940 im Dienste der untergehenden 3. Republik gegen die Deutschen zum Einsatz.

Gut ein Viertel von ihnen überlebte den Krieg nicht. Andere Schätzungen gehen sogar von 17.000 umgekommenen Schwarzafrikanern aus. Im Vergleich zu den Verlustziffern der übrigen weißen Regimenter lag die Zahl der getöteten schwarzen Soldaten um das Zehnfache höher, was jedoch kaum bedeuten konnte, dass die afrikanischen Regimenter um ein vielfaches hartnäckiger als die Angehörigen des Mutterlandes gekämpft hatten. Wahrscheinlicher ist, dass der außergewöhnlich hohe Blutzoll der Schwarzafrikaner durch gezielte Tötungen der Wehrmacht zustande gekommen ist, deren Verbände wiederholt im Kampf gegen Senegalschützen keine Gefangenen machten. Schon kurz nach dem Krieg war auch von Massakern einzelner Wehrmachtsverbände an gefangenen Senegalesen die Rede, teilweise ermittelten auch die französischen Behörden, doch ein Gesamtbild der düsteren Geschehnisse in dem angeblich so sauberen Westfeldzug von Hitlers Wehrmacht fehlte bisher.

Der in den Vereinigten Staaten lehrende Historiker Raffael Scheck ist nun in seiner kleinen und sehr differenzierten Studie über Hitlers afrikanische Opfer den zahlreichen Hinweisen nachgegangen, die über Massaker von Wehrmachtsverbänden an gefangenen Schwarzafrikanern berichten. Zwischen dem 24. Mai und dem 22. Juni 1940 lassen sich auf der Grundlage von Augenzeugenangaben, Tagebucheintragungen und den Akten französischer Militärbehörden mehr als 30 Fälle belegen, in denen deutsche Soldaten der verschiedensten Verbände an der Tötung von schwarzafrikanischen Kriegsgefangenen, meist unmittelbar nach den Kampfhandlungen beteiligt waren.

Das wohl größte Massaker, dem rund 150 Schwarzafrikaner zum Opfer fielen, fand am 10. Juni 1940 in der Nähe der Ortschaft Erquinvillers unweit der Somme statt. Beteiligt waren Einheiten des Infanterie-Regiments Großdeutschland, ein Eliteverband, der aus den Angehörigen des Berliner Wachbataillons hervorgegangen war, sowie der 9. Infanterie-Division. Beide Verbände traten in dieser Hinsicht noch mehrfach in Erscheinung. Bei Chasseley in der Nähe von Lyon wurden am 20. Juni 1940 rund 60-70 gefangene Senegalschützen, die sich zwei Tage in einem Schloss gegen Einheiten des Infanterieregimentes Großdeutschland verteidigt hatten, ehe ihnen die Munition ausging, von ihren weißen Offizieren getrennt und mit Maschinengewehrsalven aus eigens aufgefahrenen Panzern der 10. Panzerdivision kaltblütig niedergemetzelt. Die Verwundeten und Toten wurden anschließend von den Panzern überfahren und mit den Ketten zermalmt, eine danteske Schreckensvision, wie ein französischer Augenzeuge fassungslos kommentierte.

Auch wenn es die inzwischen belegten Ereignisse nicht mehr gestatten, von Einzelfällen zu sprechen, so vermutet Scheck doch hinter den deutschen Kriegsverbrechern kein planvolles Vorgehen der übergeordneten militärischen Führung, sondern vielmehr eine komplexe Mischung aus kulturellen Ressentiments und Widerwillen gegen die ungewohnte Kampfweise von Schwarzafrikanern, denen man oft fälschlicherweise unterstellte, sie würden gegen das Kriegsvölkerrecht verstoßen. Auch eine gewisse gewalttätige Vorprägung spielte teilweise eine Rolle. Nachweislich hatten sich Verbände, die sich in Frankreich der Ermordung schwarzafrikanischer Gefangener schuldig machten, wie etwa das 41. Infanterieregiment, schon während des Polenfeldzuges an der Ermordung von Zivilpersonen beteiligt, die aus deutscher Sicht ebenfalls als „rassisch minderwertig“ galten. Befeuert wurde die Kette deutscher Mordtaten allerdings auch von einer Goebbels’schen Propaganda, die gerade mit Beginn der zweiten Phase des Westfeldzuges seit Ende Mai 1940 ihre bisherige Zurückhaltung aufgab und plötzlich im großen Stil über angebliche Gräueltaten französischer Soldaten berichtete, an denen natürlich auch, gemäß der gängigen kulturellen Argumentationsmuster, Schwarzafrikaner beteiligt waren.

Deutsche Vorwürfe gegen ein Frankreich, das sich mit Hilfe von „Negern“ verteidigen musste, hatte es schon seit dem Ersten Weltkrieg, vor allem aber in der Besatzungszeit nach 1918 gegeben. Kinder aus Mischbeziehungen zwischen einheimischen deutschen Frauen und schwarzen Besatzungssoldaten wurden im „Dritten Reich“ zwangssterilisiert. Nun aber war das Nachbarland jenseits des Rheins aus der Perspektive nationalsozialistischer Propaganda sogar auf dem besten Wege, zu einer „rassisch gemischten“ Nation zu werden, die nach den Worten von NS-Chefideologe Alfred Rosenberg die eigene „Mulattisierung“ zum politischen Prinzip erhoben habe.

Gewiss mögen derartig abstruse Phobien vor einem nun sogar in doppelter Hinsicht fremdartigen Frankreich nicht in allen Wehrmachtsverbänden eine Rolle gespielt haben, doch die deutsche Wut auf weiße französische Offiziere, die Schwarzafrikaner im Kampf gegen Angehörige der eigenen Rasse angeführt hatten, ist mehrfach belegt, und führte auch wiederholt zu Erschießungen von Angehörigen sogar dieser Personengruppe. Vergessen war da schon, dass doch der hoch angesehene General Paul von Lettow-Vorbeck als Kommandeur der deutschen Schutztruppe in Ostafrika genau das gleiche getan hatte.

Schecks Studie besticht nicht allein durch seine ausgewogene Darstellung der Ereignisse, die eine Generalanklage gegen die Wehrmacht zwar vermeidet, aber auch ohne Beschönigungen versucht, die im Einzelfall durchaus differierenden Auslöser der Kriegsverbrechen zu rekonstruieren und in einen Zusammenhang zu stellen. Dank seiner sorgfältiger Herausarbeitung der kulturellen Prägungen auf deutscher Seite, die wiederum die Wahrnehmungen von Gefechtssituationen gegen einen fremdartigen Gegner bestimmten, gelingt es ihm, ein konzises Gesamtbild zu entwerfen: Auch der so genannte Westfeldzug der deutschen Wehrmacht war kein „sauberer Krieg“.

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Raffael Scheck: Hitlers afrikanische Opfer. die Massaker der Wehrmacht an schwarzen französischen Soldaten.
Übersetzt aus dem Englischen von Georg Felix Harsch.
Assoziation A, Berlin 2009.
200 Seiten, 20,00 EUR.
ISBN-13: 9783935936699

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