Kein Ende der Aufklärung

Peter Janich korrigiert in „Der Mensch und andere Tiere“ das „zweideutige Erbe Darwins“

Von Walter WagnerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Walter Wagner

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die Kulturgeschichte des Okzidents kann als mühsamer Prozess der Demystifikation und Emanzipation beschrieben werden, der die christlich fundierte zentrale Stellung des Menschen innerhalb der Schöpfung sukzessive korrigiert und relativiert hat. Läutete bereits Kopernikus’ Vorschlag, das überkommene geozentrische zugunsten eines heliozentrischen Weltbildes aufzugeben, den Niedergang der anthropozentrischen Hegemonie ein, so vollendete Charles Darwin drei Jahrhunderte später die Entmythisierung des homo sapiens sapiens, indem er seine Abstammung von tierischen Vorfahren nachwies. Er lieferte gewissermaßen die „naturwissenschaftliche Bestätigung einer empirischen Gleichheit von Mensch und Tier“, die als Doxa den biowissenschaftlichen Diskurs bis in unsere Tage dominiert. Dabei liegt die Gefahr dieses Dogmas nicht unbedingt in einem potenziellen Angriff auf den in der Philosophie viel diskutierten Kultur-Natur-Dualismus. Gefährlich wird eine derartige These dann, wenn sie übersieht, „daß die alltägliche Unterscheidung von Mensch und Tier selbst eine hervorragende Aufklärungsleistung ist“.

Selbst wenn sich eine derartige wissenschaftlich sanktionierte Annäherung positiv auf das prekäre ethische Mensch-Tier-Verhältnis auswirkt, bleibt, wie Janich betont, Folgendes zu bedenken: „Was Verantwortung angeht, bleibt das Tier, im Unterschied zum Menschen, stets ein Naturgegenstand.“ Mitglieder anderer Spezies werden demnach nie den Status juristischer Subjekte innehaben können und von daher auch nie Rechte einfordern können beziehungsweise Pflichten einhalten müssen. Fragen von Recht und Moral sind in dieser Perspektive stets als genuin menschlich zu betrachten und zementieren trotz aller physiologischen und genetischen Ähnlichkeiten die Sonderstellung des Menschen. Beide, Tier und Mensch, werden einander also nie ‚in Augenhöhe‘ begegnen können, wiewohl diesbezügliche Forderungen von radikalen Tierschützern und Tierphilosophen verschiedentlich vorgetragen worden sind.

Janich führt solche argumentativen Verirrungen auf zwei antagonistische Aufklärungstraditionen zurück, die sowohl die Entmythisierung des Menschen als auch der Natur betreiben. Erstere Tendenz dekonstruiert auf Basis der Evolutionstheorie religiöse Schöpfungsmythen und spirituell überhöhte Bilder vom Menschen und zielt auf dessen „Vertierlichung“ ab. Zweitere hingegen betont anthropomorphe Charakteristika und Verhaltensweisen bei Tieren im Sinne einer „Vermenschlichung“. In diesen Konflikt schaltet sich der Autor und Philosoph mit seinem Essay „Der Mensch und andere Tiere“ klärend und zugleich vermittelnd ein.

Zur Bewältigung dieses Unterfangens geht Janich zunächst an eine sprachkritische Relektüre von Darwins wissenschaftlichen Schriften heran, um zu zeigen, „daß und inwieweit er aus heutiger Sicht als Begründer einer eigenen Tradition der neuzeitlichen Biologie auch für Fehlentwicklungen Pate steht“. Bei seiner Auseinandersetzung mit Darwin stellt der Autor auch fest, dass in der Abstammunglehre des englischen Biologen außer Tieren nur Pflanzen vorkommen. Gleichwohl geht aus seinen Ausführungen klar hervor, „daß der Mensch das am höchste entwickelte Lebewesen ist“.

Ohne die Bedeutung von Darwins genialen Denkfiguren schmälern zu wollen, kann Janich nicht umhin, terminologische Unschärfen zu bemängeln. So führt seine saloppe Semantik insbesondere dann zu Verwirrungen, wenn vom Menschen die Rede ist. Dieser tritt in Darwins evolutionstheoretischem Konzept gleich in dreierlei Funktionen und Bedeutungen auf. Einerseits meint er damit die durch natürliche Zuchtwahl entstandene Spezies, anderseits das als Pflanzen- und Tierzüchter auf die Natur einwirkende Lebewesen und schließlich den Wissenschaftler samt seinen kulturmenschlichen Kollegen. Problematisch ist bei einer solch unbefangenen, das heißt alltagssprachlichen Verwendung des Begriffs „Mensch“ die bereits besagte semantische Indifferenz in Darwins „Die Entstehung der Arten“, wo der Unterschied zwischen Tier und Mensch postuliert und zugleich negiert wird.

Ungeachtet dieser terminologischen Inkonsistenz arbeitet Darwin einen Vergleich heraus, der auf die natürlichen Gleichheiten und kulturellen Unterschiede zwischen menschlichen und nichtmenschlichen Tieren abhebt. So beschreibt er den Menschen im Gegensatz zu den stammesgeschichtlich untergeordneten Tieren als ein mit Moral und Gewissen begabtes Lebewesen, bleibt aber im Hinblick auf seine Begabung zum homo religiosus vorsichtig.

Interessant ist, dass Darwin keinen prinzipiellen Unterschied in den geistigen Fähigkeiten zwischen Tieren und Menschen sieht, womit er sich durchaus der unter modernen Biologen sowie radikalen Tierphilosophen vertretenen Meinung annähert. Wenn er jedoch Tieren Verstand zuschreibt, dann verwendet er dasselbe Vokabular, mit dem er die kognitiven Fähigkeiten seiner Artgenossen beschreibt. Damit tappt er freilich in die gleiche Falle wie viele Tier- und Umweltschützer, die Tieren kritiklos menschliche Kategorien wie „Sprache“, „Intention“ oder „Denken“ zuweisen. Wie aber sollen derlei Zuschreibungen verifiziert werden, wenn Tiere über keine dem Menschen ähnliche Sprache verfügen und mithin nicht Auskunft über ihre ‚Erfahrungen‘ geben können?

Dass Darwin, der mehr als hundert Jahre vor dem linguistic turn seine bahnbrechenden Erkenntnisse formulierte, derartige linguistische Finessen unbeachtet ließ, entschuldigt freilich nicht die „Sprachvergessenheit der Biologen“, wie Janich mit Recht anmerkt. Daraus resultiert eben das problematische Erbe des Naturforschers, „das sich in den Kurzschlüssen heutiger Ansätze der Naturalisierung des Menschen fortsetzt“. Die Schwierigkeit, die Janich hierbei ortet, beruht nicht so sehr auf der von Biologen forcierten Naturalisierung des Menschen, sondern in der Kulturalisierung des Tiers. Diesem würden demnach menschliche Eigenschaften metaphorisch zugeschrieben, wie dies etwa bei Haustieren der Fall ist, die von ihren Besitzern nach und nach ‚vermenschlicht‘ werden. Um es vereinfacht auszudrücken: Qualitäten wie „Treue“ oder „Raffinesse“ können bei Haustieren niemals dasselbe bedeuten wie bei Menschen, weil wir nicht wissen, ob und inwieweit die zu ihrer Entstehung nötigen Begriffe „Emotion“ oder „Reflexion“ auf sie anwendbar sind.

Nachdem Janich seinen Forschungsgegenstand und seinen Ansatz ausgehend von einer Kritik Darwins dargestellt hat, wendet er sich modernen Tierphilosophen zu, um den Status quo semantischer Achtsamkeit exemplarisch zu verifizieren. Markus Wilds „Tierphilosophie zur Einführung“ (2008) hält Janichs Prüfung dabei ebensowenig stand wie Reinhard Brandts „Können Tiere denken? Ein Beitrag zur Tierphilosophie“ (2009) und John Grays „Straw Dogs. In Humans and Other Animals“ (2002; deutsch: „Von Menschen und anderen Tieren. Abschied vom Humanismus“, 2010).

Der Autor führt dem Leser auf bewundernswerte Weise vor, zu welchen Einsichten man mit scharfen konzeptuellen Werkzeugen gelangen und welche Irrmeinungen, ja -lehren der sorglose Umgang mit Begrifflichkeiten, insbesondere im Bereich der Naturwissenschaften, hervorzubringen vermag. Bei aller Sprachkritik bleibt jedoch das Faktum der Verwandtschaft und der daraus resultierenden Ähnlichkeit zwischen Mensch und Tier. Dass für die Beschreibung diverser Übereinstimmungen (noch) keine probate Sprache vorliegt, hat Janich hinlänglich aufgezeigt. Ebenso hat er vor einer vorschnellen Gleichsetzung unter Berufung auf ihre ontologische Differenz gewarnt. Offen bleibt allerdings – und in diesem Punkt kann uns der Autor auch nicht weiterhelfen – wo nach erfolgter linguistischer Flurbereinigung aus heutiger Sicht die Grenze zwischen Mensch und Tier zu ziehen ist.

Titelbild

Peter Janich: Der Mensch und andere Tiere. Das zweideutige Erbe Darwins.
Suhrkamp Verlag, Berlin 2010.
185 Seiten, 12,00 EUR.
ISBN-13: 9783518260357

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