Von gutem Ruf und schlechtem Umgang

Tanguy Viels sarkastisch-kunstvoller Familienkriminalroman „Paris – Brest“

Von Martin GaiserRSS-Newsfeed neuer Artikel von Martin Gaiser

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Tanguy Viel ist kein Mainstreamautor. Zwar können seine drei ins Deutsche übersetzten Bücher allesamt als Krimis durchgehen, doch erstens will das noch nichts heißen und zweitens könnte man diese Zuordnung genauso gut widerrufen, da es in „Paris – Brest“ auf jeden Fall keinen Kommissar oder Detektiv gibt. Auch Serienkiller, Moorleichen und andere Ingredienzen der Mainstreamromane aus der Suspense-Abteilung findet man in diesem dünnen Buch nicht. Dünn passt auch gar nicht in das Konzept derer, die massenkompatible Bücher planen.

Sehr schön also, dass Wagenbach nach „Unverdächtig“ und „Das absolut perfekte Verbrechen“ nun schon den dritten Roman Tanguy Viels veröffentlicht hat. Den man – auch das ist seit Jahren und Jahrzehnten ein sehr beliebtes Massengenre – als veritablen Familienroman etikettieren kann, vielleicht gar als Künstlerroman, zeigt es doch einen (den?) Schriftsteller als jungen Mann. Über das alte Schublade-auf-Schublade-zu-Spiel kommt man „Paris – Brest“ also nicht nahe. Worüber dann? Durch Lektüre, die erhellt, dass ein scheinbar einfaches und leichtes, sehr angenehm rhythmisiertes und stilistisch schlichtes Buch sich nicht so mir nichts, dir nichts weglesen lässt. Nach 30 Seiten drängt sich ein Abschweifen der Gedanken vor den Text. Man muss neu ansetzen und siehe da; ein Vergnügen auf der ganzen Linie.

Der Ich-Erzähler Louis ist anfangs 17 Jahre alt. Sein Vater hat, wie es heißt, „fette Probleme“, weil der Brester Fußballverein, dem er vizemäßig vorstand, ein 14 Millionen großes Kassenloch hat. Nun kann sich seine Frau nicht mehr am Bridgetisch der Stadt sehen lassen, weswegen der Umzug ins Languedoc-Roussillon ansteht. Doch der Junge weigert sich, mit in den Süden zu kommen und zieht in eine Wohnung unter der seiner Großmutter. Diese fand spät noch einmal das Glück und mit diesem 18 Millionen. Nun sitzen Louis und „der junge Kermeur“, der Sohn der Frau, die bei der reichen Oma putzt, beim Wein und überlegen, ob sie ihr ein wenig von ihrem vielen Geld abnehmen sollen. Der junge Kermeur hat Louis bereits zu Schulzeiten auf den schiefen Weg gebracht und glaubt, das werde schon noch einmal klappen. Nach den üblichen Fragen der Polizei packt er seine Koffer und fängt in Paris neu an. Während er dort an einer Geschichte über seine Familie schreibt, kehren die Eltern zurück, allerdings wollen sie keinen Staub aufwirbeln und residieren fortan an der Peripherie. Das Geld der alten Dame hat für einen Familiensitz gereicht, in dem auch sie ein Zimmerchen bekommen hat. Drei Jahre später, so auch der Titel des zweiten von vier Kapiteln, kommt Louis zu einem Weihnachtsbesuch zurück und erlebt eine Familie, der teilweise entronnen zu sein, man als Glück und richtige Entscheidung bezeichnen muss.

Tanguy Viel baut viele Details in seinen klugen und bösen Roman ein, so erwähnt er einmal wie beiläufig den ehemaligen Fußballstar und heutigen Fußballfunktionär Michel Platini. Könnte das – man denke an den Provinzskandal, der den Ruf von Louis’ Vater ruiniert hat – ein verschmitzter Seitenhieb sein? Locker und mit scheinbar lässiger Attitüde flicht Tanguy Viel Louis’ Roman in das Buch ein, beim Drehen-und-Wenden des Textes präsentiert er dem Leser sein literarisches Kaleidoskop, in dem Humor und Ironie ihren Platz haben, aber auch ein Glitzersteinchen Ernst, das immer dann zum Vorschein kommt, wenn der Autor das Exil gegen die Heimat antreten lässt.

Titelbild

Tanguy Viel: Paris - Brest. Roman.
Aus dem Französischen von Hinrich Schmidt-Henkel.
Verlag Klaus Wagenbach, Berlin 2010.
144 Seiten, 16,90 EUR.
ISBN-13: 9783803132345

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