Show down, klassisch

Ken Bruens „London Boulevard“ nimmt keine Rücksichten, dafür aber Anleihen bei Alfred Döblin

Von Walter DelabarRSS-Newsfeed neuer Artikel von Walter Delabar

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Es gibt im Krimi eine Sektion, die sich durch radikale Reduktion und Geradlinigkeit auszeichnet. Show-down-Romane sind das, in denen die Helden nur eine Richtung kennen: geradeaus, mit anderen Worten: abwärts. Der Vorteil solcher Romane ist, dass sie sich nicht mit Nebensächlichkeiten wie dem Musikgeschmack oder sonstigen Vorlieben abgeben, sondern alles, was sie erzählen, auf die Hauptfigur ausrichten. Anders gewendet: Dabei geraten selbst die Elemente, die, so die ältere Literaturwissenschaft, den „Sitz im Leben“ anzeigen, zu notwendigen Ausstattungen, ohne die der Erzählung (und nicht den Lesern) etwas fehlen würde.

In diesen Fällen dienen Ausstattungen eben nicht dazu, die Figuren sympathisch, die Situation nachvollziehbar, das Ganze mit Identifikationspotential auszustatten, sondern sie arrondieren das Feld – und das notwendig.

Heraus kommen dabei Anti-Helden, die sich mit ihren Lesern nicht gemein machen und denen man nicht gern im Dunkeln, egal wo, begegnen würde. Sie sind brutal, gewissenlos, bedenkenlos und ohne Hemmungen. Sie schlagen, wo es ihn passt, oder etwas ihnen nicht passt. Sie schrecken auch vor einem Mord nicht zurück – und sie sind so gebaut, dass solche ein Satz nicht zu ihnen passt: Morde sind auch nur Handlungen. Und danach gibt es einen weniger auf der Welt.

Ken Bruens „London Boulevard“ zeigt das exemplarisch. Zwar kommt das Taschenbuch auf knappe 260 Seiten, aber keine Seite davon ist zuviel. Nirgends gibt es ein Aufhalten und Zögern und nichts spricht für den Helden, der den Namen Mitchell trägt.

Frisch aus dem Knast entlassen, in dem er für drei Jahre wegen einer Schlägerei saß, will er vor allem eins: nicht zurück. Und das, obwohl die Rückkehr nach draußen den modernen Knastentlassenen kaum mehr Spaß macht als weiland Franz Biberkopf. Die wahre Strafe beginnt erst jetzt.

Auch Mitchell will nicht zurück, auch er will ein normales Leben, und auch er kennt sich vor allem nur im Milieu, aus dem er kommt, aus. In dieses möchte er nicht zurückkehren. Aber solch gute Vorsätze werden ihm noch ausgetrieben.

Kaum draußen kommt einer seiner alten Kumpel, bietet ihm einen Job an und eine Wohnung. Aber Mitchell macht nicht lange mit. Auch den Bankraub, zu dem er eingeladen mit, bleibt ein Einzelfall.

Statt dessen setzt er auf das Angebot einer gealterten Schauspieldiva, die ihn als Faktotum anstellt: Anstreicharbeiten, Fallrohre reinigen, Auto fahren, zum Sex herhalten, was man so macht, wenn man aus dem Knast kommt. Zwar lernt Mitchell auch eine nette Frau kennen, aber den Absprung schafft er nicht. Und die Alternativen, die ihm bleiben, sind nicht wirklich attraktiv.

Zumal die Konflikte nicht lange auf sich warten lassen. Sein bester Freund hat ihn reingelegt, der Gangsterboss Gant hat es anscheinend auf ihn abgesehen. Seine Schwester wird bedroht und schließlich ebenso umgebracht wie seine neue Freundin.

Mitchell hält allerdings nicht die andere Wange hin. Er widersetzt sich und beginnt einen fatalen Krieg mit allen, die sich mit ihm anlegen. Unterstützung erhält er vom Butler der Diva, Jordan, der sich als extrem effektive Killermaschine entpuppt, kompetent, gewissenlos.

Allerdings gehen solche Kriege nie gut aus. Und auch dieser nicht. Eine Menge Leute gehen dabei drauf, und es sind in der Regel Freunde und Verwandte, die es trifft, die Wehrlosen und nicht die, mit denen der Krieg geführt wird. Mitchell und Jordan sind auf eine Art Kreuzzug.

Nur dass Mitchell erst ganz zum Schluss erkennt, gegen wen er tatsächlich vorgegangen ist. Die Erzählung macht eine kleine Volte und löst sich, um am Ende den Helden umso schlimmer in den Dreck zu fahren. Auch bei Untergängen gibt es Steigerungsmöglichkeiten.

Bruen legt dabei seine Geschichte ungemein kontrolliert und zugleich straff an. Er hetzt durch die Ereignisse, und hetzt seinen Protagonisten. Zwar lässt er ihm einige denkwürdige Eigenschaften: Die Neigung zum amerikanischen hard boiled Krimi und zum englischen Pop. Vielleicht isst der Held, der als eine Art Taugenichts angelegt ist, ein wenig zu gut und vielleicht ist sein Benehmen ein bisschen zu vulgär und schnoddrig angelegt (allein, bei englischen underdogs kann man sich auf viel gefasst machen). Aber dennoch – im Ganzen ist Bruens Krimi nicht nur lesenswert, sondern überaus gekonnt gemacht. Handwerklich sauber und eben hinreichend raffiniert, um ihn zu den besten Neuerscheinungen dieses sowieso insgesamt gelungenen Herbstes zu machen.

Titelbild

Ken Bruen: London Boulevard. Kriminalroman.
Übersetzt aus dem Amerikanischen von Conny Lösch.
Suhrkamp Verlag, Berlin 2010.
262 Seiten, 8,95 EUR.
ISBN-13: 9783518462089

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