Lauerndes Vergessen

In „Play. Repeat.“ generiert Marcel Maas ein literarisches Generationenporträt

Von Beat MazenauerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Beat Mazenauer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Vor zwölf Jahren drehte Rainald Goetz den Lautstärkeregler auf und verwandelte den Sound zu wummernder Prosa. „Rave“ folgte in seinem Remix den Gesetzen der Party und ließ die künstlich erzeugte Erregung in zuckenden Stroboskop-Blitzen aufgehen. Marcel Maas, Jahrgang 1987 und somit eine Generation jünger als Goetz, greift diese ästhetische Tanzform wieder auf und schickt sie durch den Loop Sampler. In „Play. Repeat.“ geht es ums ganze Leben. Die Party fadet aus und setzt sich in der Wohngemeinschaft vor Fernseher und DVD-Player fort. „Unsere Augen und Ohren bilden das riesige Google, in dem wir uns fortbewegen.“ Angefüllt mit Product Placement, das unentbehrlich ist fürs richtige Lifestyling.

„Bloßes“, „Weißes“ und „Rauschen“ hat Marcel Maas die ersten drei Kapitel oder Tracks überschrieben. Sie erinnern unweigerlich an Don DeLillos Roman „Weißes Rauschen“: Unsichtbare Strahlung zersetzt darin die bürgerliche Arglosigkeit und drückt ihr den Stempel der Simulation auf. Die Analogie muss nicht zu weit getrieben werden, doch unterschwellig findet sich DeLillos Thema in „Play. Repeat.“ wieder. „History plays story. Story repeats history. Who is whispering.“

Im Strom kurzer Prosapartikel erzählt Maas aus der Wohngemeinschaft von Carlos, Lilly, Marlene und dem Erzähler. Szenen aus dem Alltag, halluzinogene Bilder, diskursive Versatzstücke und schattenhafte Beziehungsgeschichten formt der Autor zu einer Prosa, die permanent durch kurze Anweisungen interpunktiert wird: „[Play. Repeat. Speed up.]“.

Dabei vermischen sich hartnäckig die Sprachen. „Got to get out. Flying through, und warum reden wir nur noch Englisch, wo sind unsere eigenen Wörter, Carlos sagt und Marlene sagt und Lilly cried und schon wieder.“ Aus diesen zwei Kernelementen – Signalen der Entfremdung – erzeugt Maas einen Prosasound, der sich am besten laut liest, weil er stark auf einer rhythmischen Struktur gründet: Wiederholung, Loops, Leitmotive und Feedbackschlaufen. Im Gewirr dieser Struktur verbirgt sich die Geschichte der vier Protagonisten auf der Suche nach –

ja, was wohl?

„Reminds me of my“. Die offenkundige, regelmäßige Weglassung von klärenden Nomen geschieht hier mit Absicht. Klärung gibt es nicht, nur die Suche danach. Das „Prosa-Set“ übersetzt diesen hilflosen Prozess sprachlich adäquat in taumelnde, stotternde, blinde Wahrnehmungsfenster, die transparent und zugleich opak sind. Die Party ist zu Ende. Im Unterschied zu Rainald Goetz’ euphorischem „Rave“ nehmen hier Ratlosigkeit, Verlorenheit und Absturz überhand. „Wir sind nur Fluktuationen auf Mondbasen und Bestellformularen und Internetauktionen und bei Youtube und Youporn und Yousuck und in unseren Abituren auf Sperrmüllbergen… wir sind Simulationen, in Sommerschlüssen und in jedem Forum, und cherrygirl89 postet und sadboy91 postet und killfreaks95 postet prostet uns zu.“

In diesen flackernden, alles einebnenden, schnell geschnittenen Aufzählungen waltet letztlich eine tiefe Trauer. Das „wir schlafen“ zerfällt augenblicklich in „ich schlafe, sie schläft“ – zwischen besserer Zukunft und „früher war alles besser“ öffnet sich gähnend der Leerraum der Gegenwart. „[Play. Repeat. Skip another day.]“

Diese Prosa gelingt, indem sie inständig einen geheimen, abwesenden Kern umgarnt. Allerdings vertraut der Autor nicht restlos der Tragfähigkeit seines ästhetischen Leerlaufs, weshalb er seine Nicht-Handlung gegen Ende hin zusätzlich aufzuladen versucht. In Kapitel 5 verfolgt er in metaphorisch verdichteter Prosa ein Mädchen durch die Stadt „Cleptomania“ – ein didaktischer Einschub. Und wenig später entlädt sich die Leere im „Endpunkt der Antiklimax“: Schlägerei, Knatsch, Verletzung und Zerfall der Vierergemeinschaft. Marlene und der Erzähler gehen schließlich weg – auf eine Reise ins unverletzte Weiß der isländischen Winterlandschaft, „ausgefadet“.

Dieser Schluss wirkt im erzählerischen Kontext von „Play.Repeat.“ etwas gar bieder, konventionell. Der Wille, das Kontinuum der düsteren Ratlosigkeit tröstlich aufzulösen, scheint über die poetische Konsequenz gesiegt zu haben. „Nur noch Geschichten um uns herum, zwischen denen wir unser Leben aussuchen.“ Das wirkt verständlich, klingt aber als Ausgang aus dem musikalisch aufgebauten Prosa-Set nicht ganz befriedigend.

Titelbild

Marcel Maas: Play. Repeat. Ein Prosa-Set.
Frankfurter Verlagsanstalt, Frankfurt am Main 2010.
124 Seiten, 17,90 EUR.
ISBN-13: 9783627001650

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