Der Todesflug der "Hindenburg"

Ein Roman im Spannungsfeld von Wahrheit und Fiktion

Von Heike BüsingRSS-Newsfeed neuer Artikel von Heike Büsing

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Aus wenigen Metern Flughöhe konnten die 36 Passagiere des Luftschiffs "Hindenburg" die Bodenmannschaften sowie angereiste Schaulustige auf dem Landeplatz in Lakehurst beobachten. Die Gäste aus Frankfurt am Main, die über 75 Stunden an Bord der "Hindenburg" verbracht hatten, fieberten ungeduldig der Ankunft entgegen. Die Landetaue waren schon hinuntergelassen, die Bordmannschaft verständigte sich mit dem Bodenpersonal über den genauen Anflug, als plötzlich das Heck der "Hindenburg" in Flammen aufging. Der Zeppelin LZ 129 verwandelte sich augenblicklich zu einem monströsen Feuerball, der innerhalb weniger Sekunden in sich zusammenschlug und vom Himmel fiel. Die Katastrophe von Lakehurst, die sich am 6. Mai 1937 ereignete, forderte 36 Menschenleben.

Der tragischste Unglücksfall in der Geschichte der Luftschifffahrt bildet den Hintergrund für Henning Boëtius Roman "Phönix aus Asche". Der schwedische Journalist Birger Lund, der sich aus dem flammenden Inferno retten kann, begibt sich zehn Jahre nach dem Absturz auf die Suche nach den wahren Gründen für den Todesflug der "Hindenburg". Offizielle Erklärungen und Theorien erscheinen ihm unglaubwürdig und veranlassen ihn schließlich dazu, sich mit Hilfe von Edmund Boysen, dem Mann, der am Höhenruder der "Hindenburg" stand, Klarheit über die Ereignisse zu verschaffen.

Während Boysen und Lund in "Phönix aus Asche" zu einem eindeutigen Ergebnis bezüglich der Unglücksursache gelangen, ist in Wahrheit bis heute der Grund für die Explosion an Bord des Luftschiffes nicht eindeutig geklärt. Die damalige deutsch-amerikanische Untersuchungskommission legte sich nicht auf eine exakte Begründung fest. Die Spekulationen hingegen rankten sich um Blitzeinschläge, elektrostatische Entladungen und mögliche Sabotageakte. Forscher des amerikanischen Raumfahrtzentrums in Cape Caneveral begründen den Todesflug heute unter anderem mit einer erstmals verwendeten, leicht entflammbaren Lackierung der Schutzhülle.

Zeit seines Lebens beschäftige Hennig Boëtius die Geschichte der "Hindenburg" und das damit einhergehende Ende der deutschen Luftschifffahrt im Jahre 1940. Der 61-jährige Autor, der sich bislang als Verfasser zahlreicher Romanbiographien sowie der Kriminalromane um den holländischen Inspektor Piet Hieronymus auszeichnete, ist der Sohn desjenigen Mannes, der auf der Unglücksfahrt am 6. Mai 1937 am Höhenruder der "Hindenburg" stand und überlebte: "Ich hatte an Eduard Boëtius einen Zeitzeugen, der nicht nur über ein extrem klares Gedächtnis verfügt, sondern auch der einzig kompetente Überlebende ist. Er hatte eine Position auf dem Schiff, die dessen Reaktionen im Moment der Katastrophe besonders intensiv erfahrbar machte." Auf der Basis von sachkundigem Wissen um die Luftschifffahrt und den authentischen Erfahrungen und Erzählungen seines Vaters entwickelt Boëtius eine Geschichte rund um die Katastrophe von Lakehurst, die er auf geschickte Weise mit Liebesgeschichten und zahlreichen Familienepisoden verknüpft.

Wahrheit und Fiktion liegen hier dicht beieinander, ihr Spannungsfeld erzeugt den außergewöhnlichen Reiz von "Phönix aus Asche". Denn Boëtius gelingt es, den Leser in die Tiefen seiner Romankonstruktion hineinzuziehen, ihn aber zugleich auch zu einem kurzen Auftauchen aus dem Roman zu locken. Auf diese Weise vermag die Erzählung ein über das Buch hinausgehendes Interesse für die Geschichte der Zeppeline zu wecken.

Doch das enge Verhältnis von Realem und Irrealem hält an manchen Stellen einige Stolpersteine für den Roman bereit. So wandelt sich die Erzählung zeitweise in einen protokollarischen Bericht, in dem sich Boëtius nur geringfügig von den tatsächlichen Begebenheiten löst und auf diese Weise den Textfluss bremst. Dies geschieht, wenn der Erzähler detailgetreu erläutert, wo die Besatzungsmitglieder kurz vor der Explosion eingesetzt waren: "In der Führergondel hielten sich folgende Personen auf: Im Versorgungsraum am Gondelende Cheffunker Willy Speck, der sich von hier aus die Landung ansehen wollte, im in der Mitte gelegenen Navigationsraum der Dritte Offizier Nielsen."

Die Tatsache, dass dem Buch keine Skizzen vom Innenleben des Zeppelins beigefügt wurden, erschwert das Nachvollziehen der Situation an Bord. Es bleibt dem Vorstellungsvermögen des Lesers überlassen, sich die Anordnung von Schlafräumen, Speisesaal, Versorgungs- und Navigationsraum auszumalen. Aber gerade weil das Buch nicht über diese wünschenswerte zusätzliche Stimulanz verfügt, zeigt sich das Geschick des Autors um so deutlicher, die Beschaffenheit an Bord des Luftschiffes anschaulich darzustellen. Nur hin und wieder erstarrt der Text auf der Suche nach bildhaften Vergleichen in der Form des "wie". So zum Beispiel, wenn das Verhalten der Passagiere beim Ausbruch des Feuers beschrieben wird: "Alles geschah still und beinahe so mechanisch, wie eine erfahrene Strickerin ein Wollknäuel auflöst."

Am 2. Juli 2000 lag es 100 Jahre zurück, dass der erste Zeppelin zu einem Testflug in den Himmel stieg. Die schwebenden "Zigarren", einst von Graf Zeppelin erbaut, waren seit 1940 vom Himmelszelt verschwunden. Doch gab es seitdem immer wieder Tüftler, die sich mit neuen Techniken und Zielen von der Idee des Zeppelins faszinieren ließen. So absolviert der Zeppelin NT "Friedrichshafen" am Bodensee seine Testflugstunden, um in absehbarer Zeit für den Tourismusverkehr zugelassen zu werden. Andere Pläne hat die Cargolifter AG, die es sich zum Ziel gesetzt hat, ein Luftschiff für den Transport von Lasten bis zu 160 Tonnen zu entwickeln. Eine neue, bescheidene Zukunft für die Luftschiffe scheint sich abzuzeichnen. Eine Zukunft, deren Faszination "Phönix aus Asche" - trotz des tragischen Todesflugs der "Hindenburg" - zu vermitteln vermag.

Titelbild

Henning Boetius: Phönix aus Asche.
Goldmann Verlag, München 2000.
414 Seiten, 23,00 EUR.
ISBN-10: 3442750466

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