Unter Manderl und Weiberl

Frauen lesen nicht nur anders, sie schreiben auch so: Ruth Klüger bespricht Bücher weiblicher Autoren

Von Oliver PfohlmannRSS-Newsfeed neuer Artikel von Oliver Pfohlmann

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

„Frauen lesen anders“. Warum? Weil sie anders leben und mit anderen Erwartungen erzogen wurden. Mit dieser Einsicht provozierte Ruth Klüger 1996 die Literaturwissenschaft ebenso wie viele Leser. Ihre in dem gleichnamigen Band versammelten Essays waren überwiegend Texten männlicher Autoren gewidmet. Die Antwort auf die Frage, ob Frauen auch anders schreiben, verschob die amerikanische Germanistin auf eine spätere Publikation. Diese liegt nun vor: „Was Frauen schreiben“ versammelt über 60 Rezensionen, die seit 1994 für Zeitungen und Zeitschriften geschrieben wurden, die meisten für Klügers Kolumne „Bücher von Frauen“ in der „Literarischen Welt“.

Und was schreiben Frauen? Allerlei: Psychologisch versierte Krimis wie die von Barbara Vine oder Sara Paretsky etwa. Einfühlsame Biografien wie die von Barbara Beuys über Paula Modersohn-Becker. Nobelpreiswürdige Literatur wie die Doris Lessings oder haarsträubende Familientragödien wie Anne Enrights Roman „Das Familientreffen“. Von dem von Klüger angekündigten „Blick aufs Leben durch anders geschliffene Gläser“ lässt das Inhaltsverzeichnis allein natürlich noch nichts bemerken, dafür stellt man erfreut fest: Ruth Klüger ist eine Lust-Leserin, der die Harry Potter-Romane J. K. Rowlings ebenso lieb sind wie die Sprachartistik einer Herta Müller.

Darüber hinaus ist Literatur von Frauen für Klüger ein Medium, weibliche Lebenswelten überall in der Welt, sei es in Teheran, der chinesischen Provinz oder in Beirut, kennen zu lernen – mittels der Bücher etwa von Azar Nafisi, Yiyun Li oder Nada Awar Jarrar. Das Spezifikum der Literatur von Frauen liegt für Klüger nicht zuletzt im Identifikationsangebot an weiblichen Figuren. Für deren Glaubwürdigkeit und Originalität hat sie einen unbestechlichen Blick. Weshalb man sich etwa die Harry Potter-Bände mit ihren vielen faszinierenden weiblichen Charakteren aus einer männlichen Feder wirklich nicht vorstellen kann: „Die Mädchen und Frauen werden nicht in passive Rollen gedrängt, sondern Rowling verteilt die guten und die schlechten Erbsen redlich unter Manderl und Weiberl“ – eine Beobachtung, die man in den Kritiken von Klügers Kollegen vergeblich sucht.

Und ebenso erfrischende Urteile wie jenes, dass die Schweizerin Regina Ullmann, deren bezaubernde Prosastücke regelmäßig mit denen Robert Walsers verglichen werden, viel eher eine Vorfahrin Elfriede Jelineks war. Schade, dass Klüger ihre Kolumnentexte nur nach ihrem Erscheinungsdatum geordnet präsentiert. Da sie auf die Möglichkeit, die Texte nachträglich thematisch zu bündeln, etwa die Lagerliteratur spät geborener Autorinnen wie Soazig Aaron oder Herta Müller miteinander zu vergleichen, verzichtet, können sich ihre Qualitäten als Essayistin auf dem schmalen Raum der Rezension natürlich nur beschränkt entfalten.

Titelbild

Ruth Klüger: Was Frauen schreiben.
Paul Zsolnay Verlag, Wien 2010.
261 Seiten, 19,90 EUR.
ISBN-13: 9783552055094

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