Der blutige Konflikt um eine sterbende Kultur

Abdel Samads Thesen über die düstere Zukunft des Islam sind pauschalierend und stützen sich nicht auf statistische Fakten

Von Klaus-Jürgen BremmRSS-Newsfeed neuer Artikel von Klaus-Jürgen Bremm

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Oswald Spenglers „Untergang des Abendlandes“ war für den deutsch-ägyptischen Politikwissenschaftler Abdel Samad während seiner Studienzeit in Deutschland eine äußerst anregende Lektüre. Auch wenn er mit dem zunächst schwer verdaulichen Text seine Probleme hatte, so realisierte er doch rasch, dass die von Spengler nach dem Ersten Weltkrieg benannten Zeichen des Untergangs zwar auf die europäische Zivilisation des frühen 20. Jahrhunderts gemünzt waren, doch tatsächlich auch auf den islamischen Kulturkreis in seiner jetzigen „selbstbezogenen Versteinerung“ zutreffen könnten.

Dies mag auf viele kritische Europäer, welche die demografische und propagandistische Machtentfaltung des politischen Islam mit wachsendem Unbehagen verfolgen, unglaubwürdig klingen. Doch für den einstigen Moslem und Sohn eines sunnitischen Imans ist das auftrumpfende Gebaren des gegenwärtigen Islams nur ein deutliches Symptom seines geistigen und kulturellen Bankrotts. „Was den Islam betrifft, mag er in seinem jetzigen Zustand alles Mögliche sein, nur eines ist er nicht: Er ist nicht mächtig. Er ist im Gegenteil schwer erkrankt und befindet sich sowohl kulturell als auch gesellschaftlich auf dem Rückzug.“ Der Vormarsch des Islamismus sei, so Abdel Samad, bloß eine aufgeregte Mobilisierung. Es sind klare Zeichen des Mangels an Selbstbewusstsein und Handlungsoptionen. „Es handelt sich um das verzweifelte Anstreichen eines Hauses, das kurz davor steht, in sich zusammenzustürzen“.

Weder ist es dem Islam in den vergangenen zwei Jahrhunderten gelungen, an den Errungenschaften der technischen Moderne aktiv zu partizipieren, noch ist nicht erkennbar, welche konstruktiven Lösungsbeiträge er für die Gestaltung der Zukunft auf diesem Planeten zu bieten hat. Abdel Samads Urteil über das geistige Potential der Islam fällt denn auch vernichtend aus: „Was von der islamischen Geschichte des Denkens übrig geblieben ist, ist meines Erachtens der intellektuelle Schaum einer unversöhnlichen Orthodoxie, und der kann nicht länger in der modernen Welt bestehen.“

Allein der Erdölreichtum hat den Staaten der islamischen Kernregion bisher ein Überleben garantiert, doch der Verfasser sieht darin „nur die künstliche Beatmung einer sterbenden Kultur“. Zwar verschlinge die Mehrheit der Menschen in der islamischen Welt die Instrumente und Produkte der Moderne, verschließe sich aber dem dahinter stehenden Gedankengut nach wie vor, was zu einem „Zustand dauernder Schizophrenie“ führe, der letztlich in Fanatismus und kulturelle Verwahrlosung münde. Die arabisch-islamische Welt habe den Zug der Moderne verpasst, und ihr bleibe nichts anderes übrig, als auf dem Gleis zu stehen und auf den Lokführer zu fluchen – und das sei der Westen, stellt der Autor etwas provokant fest.

Die Probleme des Nahen und Mittleren Ostens sowie des Maghrebs werden schließlich gewalthaft zum Ausbruch kommen, sobald sich die Folgen des Klimawandels, das Versiegen der Erdölvorräte und die unkontrollierte demografische Entwicklung zu einer brisanten Mischung vereinigen. Schon jetzt geben Bürgerkriege und zerfallende Staaten wie Afghanistan, Pakistan, Somalia und der Sudan einen Vorgeschmack auf eine nahe und grässliche Zukunft, die durch anschwellende Migrantenströme rasch auch Europa in Mitleidenschaft ziehen wird. Ganze Regionen Europas werden schon in naher Zukunft durch Massen junger Männer, deren einzige Sozialisation der Bürgerkrieg war, ins Chaos gestürzt. Die blutigen Konflikte einer sterbenden Kultur werden über das Mittelmeer transferiert und Politiker oder Gesellschaften, die noch die Kraft und den Mut besitzen, dies zu verhindern, sind nicht in Sicht.

Abdel Samads Thesen vom Untergang der islamischen Welt, die schließlich auch den Untergang des Abendslandes zur Folge haben dürfte, scheinen auf den ersten Blick plausibel. Im doppelten Würgegriff zwischen der eigenen kulturellen Erstarrung und den apokalyptischen Folgen globaler klimatischer und ökonomischer Prozesse können die Überlebenschancen der klassischen islamischen Welt als nicht besonders hoch eingestuft werden. Als Leser hätte man sich jedoch eine fundiertere Analyse anstelle der eher flüchtig skizzierten Szenarien gewünscht, für die der Verfasser auch nur Belege aus seinem ägyptischen Geburtsland liefern kann. Eine wirkliche geistige Bestandsaufnahme des Islam liefert er dagegen nicht, auch wenn seine Beschreibungen mit vielen griffigen Metaphern – wie etwa von der „geregelten Insolvenz“ des Islam – angereichert sind.

Abdel Samads pauschalierende Schlussfolgerungen, bei denen er vieles aus seiner autobiografischen Skizze „Abschied vom Himmel“ recycelt, sind dann auch in vielfacher Hinsicht angreifbar. Die in jüngster Zeit von islamophilen Europäern hervorgehobenen Fortschritte in der Türkei tut er etwa mit dem Hinweis ab, dass der Erdogan-Staat längst in das ideologische Fahrwasser Saudi-Arabiens geraten sei, was dem angerollten Modernisierungszug rasch die Spitze nehmen dürfte. Es fehlen seiner Studie insgesamt statistische Fakten nicht nur über die aktuellen ökonomischen und sozialen Entwicklungen in den einzelnen islamischen Staaten, sondern auch über die jetzt schon fassbaren klimatischen Veränderungen und ihre konkreten Konsequenzen für die islamische Welt.

Es wundert daher auch nicht, dass Gwynne Dyers detaillierte Studie über das „Schlachtfeld Erde“ nicht in Abdel Samads Literaturverzeichnis auftaucht. Immerhin aber kommt dem Verfasser trotz der genannten Mängel fraglos das Verdienst zu, als einer der ersten die Europa schon in nächster Zukunft drohenden Gefahren deutlich beim Namen genannt zu haben. Da vermutlich keiner von den jetzt an der Macht befindlichen Politkern den Willen aufbringen wird, die Grenzen des Kontinents notfalls auch mit militärischer Gewalt zu verteidigen, dürfte der Untergang der islamischen Welt zugleich auch das Ende Europas einläuten.

Titelbild

Hamed Abdel-Samad: Der Untergang der islamischen Welt. Eine Prognose.
Droemersche Verlagsanstalt, München 2010.
240 Seiten, 18,00 EUR.
ISBN-13: 9783426275443

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch