„Letzter Wunsch: Bleibt mir gut, Ihr Lieben!“

Walter Hansens gut aufgemachte Richard-Wagner-Biografie in Bildern

Von Klaus HammerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Klaus Hammer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

„Bleibt mir gut, Ihr Lieben!“ So beschwor Richard Wagner am 13. August 1876 in einer „Letzten Bitte an meine lieben Genossen“ alle seine Mitstreiter unmittelbar vor Eröffnung der ersten Bayreuther Festspiele, das Allerbeste zu geben. Denn fast die ganze politische und kulturelle Elite Europas war zur Erstaufführung des „Ringes des Nibelungen“ gekommen, Kaiser Wilhelm I., aber auch Kaiser Dom Pedro II. aus Brasilien, der König von Württemberg, Fürsten und Honoratioren, Komponisten (Liszt, Tschaikowsky, Grieg, Bruckner), Maler (Lenbach, Menzel), Friedrich Nietzsche und Gottfried Semper, Sängerinnen und Sänger, Theaterdirektoren und Dirigenten sowie natürlich die Rezensenten aller großen Blätter.

Und dann gab es doch bereits in „Rheingold“ eine technische Panne nach der anderen, so dass sich Wagner wütend die Haare raufte, was aber der Begeisterung des erlauchten Publikums über die Musik und Inszenierung keinen Abbruch tat. Wagner wurde unentwegt gerufen, kam aber nicht auf die Bühne. In einem „Rückblick auf die Festspiele des Jahres 1876“ schrieb er dann aber besänftigt: „Es schien sehr wahrhaftig, dass so noch nie ein Künstler geehrt worden sei; denn hatte man erlebt, dass ein solcher zu Kaiser und Fürsten gerufen worden war, so konnte doch niemand sich erinnern, dass je Kaiser und Fürsten zu ihm gekommen seien“. Trotzdem hatten die ersten Festspiele mit einem gewaltigen finanziellen Defizit geendet.

Solche Begebenheiten und viele andere mehr aus dem Leben und Schaffen des Meisters von Bayreuth weiß Walter Hansen, bereits Verfasser einer vielgelesenen dtv-Wagner-Biografie, in seinem reportagehaft angelegten Text-Bild-Band zu erzählen. Seine Darstellung ist weitgehend durch Dokumente (Briefe, Autobiografien, Tagebücher, Äußerungen von Zeitgenossen) belegt. Mit geschickt ausgedachten Überleitungen, kompakten Spannungsbögen und verblüffenden Gegenüberstellungen wird der Leser von einer Textfolge zur nächsten, von einem Bild zum anderen geführt. Der fortlaufende, geschichtenreich erzählende Text wird durch die Bildkommentare ergänzt und konfrontiert. Hansen kommt ohne alle Stilisierungen und Verklärungen des Meisters aus. Nicht die spekulative Fantasie geht bei ihm durch, wie bei manch anderer Wagner-Biografie, sondern seine glänzende Erzählweise beruht auf strikter Authentizität. Allein schon die Vielfalt der etwa 190 Bilder ist faszinierend: Bedeutsame Schauplätze und Porträts von Freunden wie Gegnern, Förderern und Künstlern, Gefährtinnen und Geliebten, Zeichnungen und Karikaturen, szenische Bühnenbilder und Theaterzettel, Handschriften und Partituren. Die Biografie wird so auch optisch eingebettet in ein ganzes Zeitpanorama.

Greifen wir nur einige Wendepunkte, Schlüsselerlebnisse und Initialzündungen Wagners in der Darstellung Hansens heraus: Die Dresdner Aufführung von Carl Maria von Webers „Freischütz“ im Dezember 1822 faszinierte den jungen Wagner so, dass er fortan Komponist werden wollte, die Leidenschaft fürs Theater sollte ihn seitdem nicht mehr loslassen. Dass der 16-jährige Gymnasiast dann ein entsetzliches Blut- und Tränendrama „Leubald und Adelaide“ schrieb, hatte auch etwas Gutes: „„Ich wusste…, dass mein Werk erst richtig beurteilt werden könnte, wenn es mit der Musik versehen sein würde“. Damit war der Ur-Gedanke zu Wagners Musikdrama geboren: Der Dramatiker komponiert die Musik zum eigenen Text. Wagner musste also Dichter und zugleich Komponist sein. Mehrfache Besuche in dem Badeort Teplitz haben ihn dann wieder zur Idee des „Tannhäusers“(1842), aber auch des „Ringes des Nibelungen“ (1843), des größten Projektes in der Geschichte des Musiktheaters, angeregt. Die Uraufführung des „Rienzi“ 1842 machte ihn über Nacht als Grand-Opéra-Komponist berühmt. Wagner wäre ein reicher Mann geworden, lässt uns Hansen wissen, wenn er nicht vorher die Gesamtrechte für 300 Taler verkauft hätte. Zeitlebens war er ein unbegabter Geschäftsmann gewesen.

Bedenken sind allerdings anzumelden, wenn Hansen Wagners Pamphlet „Das Judentum in der Musik“ (1850) nur als eine „Privatabrechnung (mit Giacomo Meyerbeer) von unglaublicher Primitivität“ ansieht. Sein Antisemitismus begleitete Wagner zeitlebens, auch wenn Juden zu seinen besten Freunden zählten, und auch das musikdramatische Werk ist keineswegs frei von antisemitischer Infiltration. Allerdings entziehen sich Wagners Figuren jeder engen Rollenzuweisung, sie sind weiträumig auslegbar. Ein offener Brief an Heinrich von Stein, in Venedig am 31. Januar 1883, kurz vor seinem Tod, unterzeichnet, zeigt Wagner noch als allzu getreuen Schüler der Rassenlehre Arthur de Gobineaus. An dieser Stelle sollte auch gleich gesagt werden, dass dem folgenreichen Verhältnis Wagners zu Nietzsche kaum nachgegangen wird. Das muss als ein Defizit dieser sonst so überzeugenden Studie angesehen werden.

Wie Hansen dann wieder Wagners Idee vom Gesamtkunstwerk, dem Zusammenspiel von Dramendichtung, Komposition, Schauspielkunst, Gestik, Tanz und Bühnenbild, in wenigen treffenden Sätzen umreißt, gehört ebenso zu den Glanzpunkten seiner Darstellung wie Wagners Festspiel-Pläne, die, nachdem sich die kostspieligen Festspielpläne des bayrischen Königs Ludwig II. zerschlagen hatten und der König auf die ultimative Forderung des Kabinetts hin Wagners Ausweisung verfügen musste, vom Meister dann selbst in die Hand genommen wurden. Wie der „Wink“ seines „guten Dämons“ Wagner nach Bayreuth führte, wie er um die Finanzierung der Bayreuther Festspiele und um den Bau des avantgardistisch geplanten Festspielhauses kämpfte, durch Gastdirigate, Inszenierungen und Auftragskompositionen Geld einzuspielen suchte, wie Ludwig II. in höchster Not abermals mit Krediten einsprang, wie Wagner, sich auf bedingungslos ergebene Freunde und Mitarbeiter stützen könnend, um Solisten, Kostüme, Bühnenbilder für den „Ring“ rang, wie die Eröffnung der Festspiele 1876 mit dem ersten Gesamt-„Ring“ ein glanzvolles Ereignis wurde, das lässt Hansen zur spannenden Lektüre werden. Die Uraufführung des „Weltabschiedswerkes“ „Parzifal“ 1882 gestaltete sich dann zu einem künstlerischen wie finanziellen Triumph, der die nächsten Festspiele nicht mehr in Frage stellte. Denn anstelle des langen, komplizierten und düster endenden „Ringes“ stand jetzt ein Erlösungsdrama an, von dem man sich schon nach einem Abend in gehobener Weihestimmung wieder verabschieden konnte.

Lapidar wird dann das Finale in Venedig – Wagners Tod – erzählt. Hier hätte doch über die internationale Reaktion auf den Tod Wagners und über die Weiterführung von Wagners Bayreuther Erbes etwas gesagt werden müssen. Bei Wagners Tod war die Festspiel-Idee ja noch ein Projekt und untrennbar mit der Person Wagners verbunden gewesen. Nachdem nun keine Premieren mehr erwartet werden konnten, mussten die Bayreuther Festspiele neu eingerichtet werden, und das war Cosima Wagners Werk, mag es auch noch so umstritten sein.

Und letzte Frage: Was ist aus dem einstigen Demokraten und Sozialisten geworden, der nun sein Bündnis mit Macht und Monarchen geschlossen hatte? Wie diente alles jetzt der neuen Kunstreligion, an der Wagner und seine Getreuen zielgerichtet arbeitete?

Nach Theodor W. Adorno beinhaltet jegliche Dimension Wagners Ambivalenzen, ja Antinomien: „Ihn erkennen heißt, die Ambivalenzen bestimmen und entziffern, nicht, dort Eindeutigkeiten herzustellen, wo die Sache zunächst sie verweigert“. Dem ist Hansen gefolgt. Diese präzise recherchierte Lebensdarstellung Wagners in Bildern kann dazu beitragen, neue Wagner-Freunde zu gewinnen, aber sie enthält durchaus auch Wissenswertes für den Kenner.

Titelbild

Walter Hansen: Richard Wagner. Sein Leben in Bildern.
dtv Verlag, München 2007.
175 Seiten, 19,50 EUR.
ISBN-13: 9783423344579

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