Die Welt vor der Farbe

Ein spartanisch aufgemachter Band präsentiert die Schwarzweiß-Fotografien des Vorreiters der amerikanischen Farbfotografie William Eggleston

Von Walter DelabarRSS-Newsfeed neuer Artikel von Walter Delabar

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Kunstfotografie war lange Jahrzehnte Schwarzweißfotografie, bis 1976 das Museum of Modern Art in New York eine skandalumwitterte Ausstellung veranstaltete, die vom Leiter der Fotografieabteilung, John Szarkowski, kuratiert worden war. Der vorgestellte Fotograf: William Egglestone. Das vorgestellte Material: Farbfotografien etwa von einer roten Zimmerdecke oder von verlassenen Straßen im Süden der USA (vgl. die Besprechung zu Kevin Moore: Starburst. Color Photography in America 1970-1980. With Essays by James Crumb and Leo Rubinstein, Ostfildern, Hatje Crantz 2010, in literaturkritik.de, 12/2010). Die Reaktionen waren extrem, vor allem in der Ablehnung, die Wirkung der Ausstellung jedoch enorm. In nur wenigen Jahren war der Paradigmenwechsel vollzogen und die Etablierung der Farbfotografie als Kunstform umgesetzt. Wie groß der Einfluss Egglestons auf die neuere Fotografie war, ist aus der Distanz kaum noch angemessen zu beschreiben.

Bemerkenswert ist jedoch, dass Eggleston eben nicht nur in der Kunstöffentlichkeit wahrgenommen wurde, sondern auch in die breitere Öffentlichkeit ausstrahlte: Zahlreiche Ikonen der amerikanischen Fotografie stammen von Eggleston, das Bild der USA ist von ihm und seinen Kombattanten radikal verändert worden, wie auch die Bedeutung der Farbe für die Fotografie durch ihn massiv verstärkt wurde. Auch wenn die Schwarzweißfotografie bis heute mit dem Kunstnimbus behaftet ist – ausschließlich ist diese Kombination eben nicht mehr. Und das ist – neben anderen – Egglestons Arbeiten zu verdanken.

Dass gerade die Paradefigur der amerikanischen Farbfotografie auch ein umfangreiches Schwarzweißwerk hat, tritt unter solchen Umständen in den Hintergrund. Dabei lohnt sich der Blick darauf, wie sich eben auch der Band lohnt, der im Göttinger Steidl-Verlag erschienen ist.

Die Herausgeber – zu denen auch der Fotograf selbst gehört – und der Verlag haben sich dabei zu einem denkwürdigen Vorgehen entschieden. Egglestons Fotografien werden ungewöhnlich puristisch präsentiert. Zwar gehen alle Abbildungen auf eigenhändige Abzüge Egglestons zurück – was die Bandherausgeber betonen. Die Fotos selbst allerdings bleiben völlig unkommentiert. Kein Titel, keine Erläuterung, kein Hinweis wird gegeben. Nicht einmal die Maße der Abzüge werden mitgeteilt. Lediglich ein knapper Essay von David Hickey ist dem Band mitgegeben, in dem sich Hickey mit dem Wahrheitsanspruch der Fotografien Egglestons beschäftigt. Ansonsten tritt der Band in aller puristischen Blöße auf, was an Blindverkostungen beinahe (immerhin kennen wir den Autor) heranreicht.

Der Effekt ist jedoch beeindruckend. Die Fotografien, die in den 1960er- und 1970er- Jahren entstanden sind, erhalten durch ihre aufs Notwendige reduzierte Präsentation eine noch nachdrücklichere Präsenz. In vielen Fällen scheinen die Farbfotografen, die Eggleston berühmt gemacht haben, in den Schwarzweißfotos verborgen zu sein.

Das nicht nur, weil es eine Reihe von Motiven gibt, die auf das spätere Werk vorausweisen: die Zimmerdecke, die einsamen Häuser und Straßen. Auch wenn die Fotos im Sujet abweichen, scheint sich die Farbe in ihnen nur zu verstecken. Jeden Moment scheint sie hervorbrechen zu können, um Grautöne in Farben zu tauchen und die mangelnden Kontraste farblich zu unterlegen. Mit dem Wissen um die Farbfotografien Egglestons wirken seine Schwarzweiß-Arbeiten beinahe wie kastriert.

Das aber mag daran liegen, dass sich die Fotografien deutlich von den berühmten Vorläufern aus Neuer Sachlichkeit und der Reportagefotografie eines Walker Evans unterscheidet. Dort nicht mehr angebunden, scheinen sie sich an die Farbfotos Egglestons anzulehnen, Farbfotografie ohne Farben eben. Egglestons Werk lässt Anknüpfungen allerdings an beide Seiten zu: Denn unter den farblosen Schwarzweißfotografien finden sich eben auch Fotografien, die Evans’ Konzept weiter entwickeln. Egglestons Schwarzweiß-Arbeiten mithin als missing link zwischen den beiden großen Welten der amerikanischen Fotografiegeschichte?

Im Nachhinein mag eine solche Lesart möglich sein, was freilich nicht notwendig für diese Überlegung spricht. Zurück also zu den Fotografien selbst. Sujets und Gegenstände variieren wie auch die gewählten Formate und Materialien. Die klaren Formen und geraden Linien, die das Farbwerk kennzeichnen, sind noch selten. Gerade auf den ersten Seiten des Bandes dominieren die Aufsichten, der Fotograf bevorzugt die Position oberhalb seiner Objekte, seien sie Menschen, leere Gläser oder Figuren. Die Menschen, die er fotografiert, schauen zumeist zurück. Der Fotograf ist kein unbeobachteter Teilnehmer, sondern ein Fremdkörper, dessen Gegenwart allzu bewusst ist. Gelegentlich gelingt es ihm, sich zu verstecken. Manchmal sogar in Autos, die parken oder vorüberfahren, was die Struktur seiner Fotos mit bestimmt. Autos und Gebäude gehören eh zu den Lieblingsobjekten des Fotografen.

Autos die parken oder vorüberfahren, oder Autos, in denen er sich selbst verbirgt (was er keineswegs verheimlicht). Gebäude, die verrotten, ebenso wie Gebäude, die gerade eben erst entstehen. Die Trostlosigkeit, die die porträtierten Menschen auszustrahlen scheinen, ist nicht zuletzt ihrer Isolation geschuldet. Sie wirken verlassen, auch wenn sie nicht allein sind.

Wie ein Schuldschein auf eine andere Zukunft sind denn auch die Fotos junger, unprätentiöser Amerikaner an den Schluss des Bandes gestellt. Auch wenn sie keineswegs jene unberechtigte optimistische Miene aufsetzen, die mit amerikanischen Mittelstandskindern verbunden wird, auch wenn sie immer noch isoliert wirken, scheinen sie doch deutlich weniger verloren zu sein, als ihre Vorgänger. Mit dem Telefon am Ende des Bandes ließe sich sogar die Verbindung in eine noch nicht besser erkennbare Zukunft aufnehmen.

Dass Bilder Programm sein können, dass sie sprechen können, lässt sich eben auch an diesen Arbeiten Egglestons erkennen, auch wenn eine Beschreibung der Botschaft, die hier verkündet wird, immer nur Stückwerk bleibt.

Kein Bild

William Eggleston: Before Color.
Steidl Verlag, Göttingen 2010.
209 Seiten, 48,00 EUR.
ISBN-13: 9783869301228

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