Schweigsame Menschen

Mit dem Roman „Taxi 79 ab Station“ von Indridi G. Thorsteinsson legt der Transit Verlag zum Auftakt des Islandjahres 2011 einen Klassiker der modernen isländischen Literatur vor

Von Beat MazenauerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Beat Mazenauer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Ragnar Sigurdsson ist Taxifahrer in Reykjavik. Wenn die Nummer 79 ausgerufen wird, ist er an der Reihe. In den Pausen zwischen den Fahrten hockt er mit seinen Kumpels in der Stube auf der Station. Nebst ihrem offiziellen Geschäft betreiben die Taxifahrer auch einen illegalen Handel mit Alkoholischem. Darüber werden aber kaum Worte verloren. Als Ragnar eines Nachts einen amerikanischen Soldaten auf die Luftwaffenbasis von Keflavik außerhalb der Stadt fährt, hofft er bloß, das ihn der Betrunkene am Ende auch bezahlen kann.

Auf dem Rückweg begegnet er einem stehen gebliebenen Buick, der Keilriemen ist futsch. Ragnar hilft der schönen Fahrerin aus und besucht sie tags darauf in ihrer Wohnung, um den Keilriemen wieder zurückzuholen. Doch sie, Gógó, bittet ihn, nach einigen Drinks, zu bleiben – nicht so, wie man sich das denkt. Ragnar wacht angezogen, die Schuhe an den Füßen, stumm neben der Schlafenden auf der Bettdecke, bis in den frühen Morgen. Die Liebe kommt später und für Ragnar stürmisch. Um ihn etwas abzulenken, entführt ihn sein Freund Gudmundur tags darauf auf die Gänsejagd. Bald schon werden er und die anderen Kumpels wissen, dass über das Wochenende ein anderer Mann bei Gógó weilt, und nicht ihre Mutter, wie sie Ragnar weismacht. Als ihn Gudmundur von Freund zu Freund schließlich selbst darüber aufklären will, kommt es zwischen ihnen zu einer Schlägerei, über die keiner glücklich ist. In Ragnar zerbricht etwas, er will Gógós Beteuerungen, dass sie ihn liebe, nicht länger glauben – und verschwindet mit seinem Wagen in den Norden. Es ist Sommer, und die Nächte sind hell, so dass die Schotterpisten frei sind. Mehr ist nicht zu erzählen.

Indridi G. Thorsteinssons kurzer Roman ist ein Kaurismäki-Streifen in Worten. Die feine Schwarztönung verfliegt auch in den hellen Sommermonaten nie ganz aus seiner Erzählung. Einzig das in kurzen Umrissen gezeichnete Liebesglück Ragnars lässt den Vorhang zur Wohnung von Gógó samtig rot aufleuchten. Doch dieses Rot währt nur wenige Sätze, bevor die lakonische Kargheit wieder Oberhand gewinnt. Thorsteinssons Roman ist gestochen scharf in den Details, und immun gegen alles ausufernde Parlieren. Einzig die gemeinsame Gänsejagd ins Landesinnere und zum Schluss die nächtliche Fahrt erhalten eine ausführliche, doch von Stummheit begleitete Schilderung – ein Spiegel der großartig weiten und einsamen Landschaft.

Gerade dieses Schweigen aber lässt ein tiefes Verständnis für Thorsteinssons Helden erahnen. Immer wieder blitzt darin feine Lakonie auf, wie für einen Moment aufflackernde Wunderkerzen im Dunkel. Als Ragnar eines Abends zu Gógó bestellt wird (eine Weile bevor das Geheimnis ruchbar wird), zuckt ein kurzer Gedanke durch seinen Kopf: Wozu stolz sein? Ein Mensch wie er benötigt keinen Stolz, denn „du kannst nicht stolz sein, eingeschnappt oder vorschnell, ohne den Menschen in dir zu beschädigen“. Doch als ihm kurz danach Gógó unter Tränen den Tod ihres Mannes verkündet, bleibt sein Kopf leer, die schönen Gedanken haben sich verflüchtigt.

An ihr, Gógó, scheiden sich die Geister. Der gute Gudmundur, mit dem sich Ragnar ihretwegen prügelt, hält sie für eine Hure. Doch nach Ragnars Verschwinden, als Gudmundur sie deswegen besucht, zeigt er sich sofort bereit, ihrer echten Angst und Trauer Glauben zu schenken. „Trotz allem gab es also gute Tage, gute Gedanken, gute Menschen.“

Gerade mit seiner Einfachheit und schlichten Menschlichkeit rührt dieses Buch an. Die Jungs im Taxistand saufen wie die Löcher, aber es sind keine üblen Kerle, nur etwas verstockt sind sie, und ein wenig auch durchgeschüttelt von den Veränderungen, die um sie herum geschehen.

1955, als das Buch erstmals erschien, erregte es einen kleinen Skandal. Die in zarten Strichen angedeutete Liebesbeziehung und das zaghafte städtische Nachtleben mussten irritieren, weil sie eine erst unterschwellig spürbare, amoralische Wahrheit ausdrückten. Damals erschien das isländische Wirtschaftswunder noch weit entfernt und undenkbar wie der künftige Totalkollaps des Bankensystems, der das prosperierende Land ruinieren sollte. Die Amerikaner brachten damals – seit 1951 waren sie in Keflavik stationiert – etwas Leben und ein paar neue Sitten nach Reykjavik. Die Taxifahrer in der Station leben von den Transfers zwischen der Stadt und der Luftwaffenbasis, deshalb gehören sie zu den ersten Nutznießern des beginnenden Aufschwungs. Doch sie geraten auch in die Bredouille, wie Ragnar, der Junge vom Land, der schließlich wegfährt, ohne zu wissen, dass Gógó ihn liebt – und nicht den US-Offizier, von dem sie sich aushalten lässt. Vor einer möglichen guten Wende flieht Ragnar in die Wildnis des Nordens, wo er herkommt und zuletzt umkommt – begraben unter seinem Auto.

Thorsteinsson hebt dieses Schwanken in Sprache auf, indem er das Geschehen nicht ausmalt, sondern in kargen, melancholisch schönen Bildern sowie in nüchternen, kurz angebundenen Dialogen einfängt. Was wäre darüber auch viel zu sagen! Zwischen den wenigen Worten bleibt das meiste ungesagt, doch vielsagend verborgen.

Titelbild

Indridi G. Thorsteinsson: Taxi 79 ab Station. Roman.
Übersetzt aus dem Isländischen von Betty Wahl.
Transit Buchverlag, Berlin 2011.
117 Seiten, 14,80 EUR.
ISBN-13: 9783887472474

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