Picassos „treuestes Porträt“

Picassos Künstlerbücher aus der Sammlung Brandhorst werden in einem prächtigen Band präsentiert und untersucht

Von Klaus HammerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Klaus Hammer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Malerbücher, illustrierte Bücher oder Künstlerbücher werden sie genannt, jene Bücher mit Originalgrafikern, die wagemutige Verleger in kleinen Auflagen herausbrachten und die nach Text, Illustration und Aufmachung höchsten künstlerischen Ansprüchen genügen und vor allem Grafiksammler ansprechen sollen. Im Unterschied zu den Illustrationen, die spezifische Handlungsmomente und Motive des literarischen Textes zur schöpferischen Inspiration nehmen, wird im Künstlerbuch der Primatanspruch des Textes gegenüber dem Bild zugunsten einer Gleichrangigkeit beider Ausdruckssphären aufgegeben und das Bild somit aus seiner illustrativen Funktionsbestimmung entlassen.

In Frankreich sind die Künstlerbücher im späten 19. Jahrhundert als eigenständiger Bereich der Kunst entstanden. Aus der Reibungsfläche zwischen Literatur und bildender Kunst sollte der Funken der Inspiration schlagen, und so reflektieren diese bibliophilen Werke auch die großen stilistischen Entwicklungen und ästhetischen Tendenzen in der Kunst des 20. Jahrhunderts. Mit den Radierungen, die Pablo Picasso für den „Saint Matorel“ von Max Jacob geschaffen hat, hielt der Kubismus seinen Einzug in die Buchkunst. Die von archaischer Ausdruckskunst geprägten Holzschnitte André Derains für den „Enchanteur pourrissant“ Guillaume Apollinaires sind hingegen ein frühes und charakteristisches Beispiel für primitivistische Tendenzen in der modernen Kunst. Einzigartig vertreten dann wiederum die Malerbücher von François-Achille Bazaine und Alfred Manessier die „lyrische Abstraktion“ innerhalb der „Ecole de Paris“.

Das Werkverzeichnis der illustrierten Bücher Picassos weist nicht weniger als 156 Einträge auf. Ab 1905, also schon mit 24 Jahren, schuf dieser Universalkünstler Grafiken, die als Beigaben, Frontispize oder als regelrechte Illustrationen die Bücher seiner zahlreichen Dichterfreunde und kostbare, bibliophile Editionen schmücken. Der eruptive Schaffensdrang ließ selbst bei dem hochbetagten Künstler in diesem Medium noch eine große Zahl derartiger Werke entstehen. Gut zwei Drittel der im Werkverzeichnis genannten Künstlerbücher Picassos sind nun in der Sammlung zu finden, die Udo und Anette Brandhorst seit den 1970er- Jahren zusammengetragen haben. 2003 ist dieses Konvolut in den Besitz des Freistaates Bayern übergegangen und wird seither von der Staatlichen Graphischen Sammlung München bewahrt. Doch Udo Brandhorst hat auch nach dem Tod seiner Frau 1999 weiterhin Künstlerbücher gesammelt und erworben. Das 2009 eröffnete Museum Brandhorst der Bayerischen Staatsgemäldesammlungen München zeigt gegenwärtig in einer Sonderausstellung 73 Künstlerbücher Picassos (bis 6. März 2011) und sie werden dann auch in Dresden zu sehen sein (9. April – 13. Juni 2011).

Der die Ausstellung begleitende Katalog, herausgegeben von Nina Schleif und Armin Zweite, ist ein Standardwerk auf dem Gebiet der Künstlerbücher und beschäftigt sich in vier großen Komplexen mit den Künstlerbüchern in der Biografie Picassos, mit Picasso und seinen Verlegern, Picasso als Illustrator und mit der Komplementarität von Text und Bild in Picassos Künstlerbüchern. Ganz- und halbseitige Abbildungen, ganze Seitenfolgen, das Hervorheben von Details wie das Einbeziehen auch von Schmuckelementen, Bandleisten. Kapitelköpfen, Vignetten, Initialen Einbänden und Schubern, vor allem aber auch die dreidimensionale Vorführung der Buchkörper geben ein optisch-sinnliches Erlebnis des Zusammenspiels von literarischer und bildkünstlerischer Schöpfung, übertragen die Freude des Schöpfers am Gesamtkunstwerk wie an jedem Detail auf den Betrachter, der sich hier in ein erkennendes Sehen vertiefen kann.

Was interessierte Picasso oder wie konnte man ihn bewegen, sich als Grafiker und Buchkünstler zu engagieren, fragt Armin Zweite in seinem schönen Text „Die Permanenz der Gegenwart. Picasso und seine Buchgrafik“ und nennt die zeitgenössische französische Literatur und hier vor allem die Schriftsteller, die mit dem Surrealismus in Verbindung zu bringen sind, Autoren des 19. Jahrhunderts wie Honoré de Balzac, Lew Tolstoj, Arthur Rimbaud und Prosper Mérimée, die spanische Literatur und auch einige antike Klassiker wie Ovid, Aristophanes und Pindar. Meist haben Dichter und Verleger Picasso gebeten, eine Grafik für ihre jeweilige Veröffentlichung beizugeben, weil der Name des Künstlers von außergewöhnlicher Zugkraft war. Der Kunsthändler und Verleger Ambroise Vollard hatte sich schon 1913 für Picasso engagiert, als er dessen Radierungen „Les Saltimbanques“ von 1904/05 herausbrachte. In Picassos Hauptwerk seines buchillustrativen Schaffens, im 1931 von Ambroise Vollard edierten „Le chef-d’oeuvre inconnu“ Balzacs, verdichtet sich dann seine künstlerische Konzeption in Bezug auf das dialektische Verhältnis von Text und Bild. Vor dem eigentlichen Text Balzacs finden sich 16 Seiten mit Punkt-Strich-Kompositionen, die als Autotypien wiedergegeben werden. Dazu kommen vier Zeichnungen in klassizistischem Stil, die in derselben Weise reproduziert wurden, und 67 Holzschnitte von Georges Aubert nach Zeichnungen von Picasso, die den Text schmücken. Die 12 Originalgrafiken sind zusammen mit einer dreizehnten als Übersichtstafel mit allen Arbeiten als Suite in einem eigenständigen Portfolio enthalten. Neun Radierungen umkreisen das Thema Künstler und Modell. In ihnen ist das Atelierbild eine Allegorie für die Reflexion Balzacs über das Geheimnis der künstlerischen Schöpfung. Im Verzicht auf narrative Details und jede erzählerische Festlegung hat Picasso hier der Thematik der Künstlernovelle überzeitliche Aktualität verliehen.

Die 31 im Zuckeraussprengverfahren angefertigten Aquatinten Picassos zu einer Auswahl aus Buffons „Histoire naturelle“ wurden nach dem Tode Vollards 1942 von dessen Nachfolger Fabiani herausgebracht. Es ist fraglich, ob Picasso die originalen Buffon-Texte zu den Tieren überhaupt gelesen hat. Er wird wohl eher die Tiere in völliger Freiheit allein nach seiner Fantasie ausgeführt haben. Monumentalisierung, Bewegung, Karikierung und Oberflächendifferenzierung sind – nach Oliver Kase, der sich zu Picassos Buffon-Illustrationen äußert – die grafischen Mittel, die Picasso einsetzt, um seinen Tieren optische Präganz zu verleihen.

Der Galerist Daniel-Henry Kahnweiler, der den Kubismus über Frankreich hinaustrug, beförderte den Kontakt Picassos mit Max Jacob, gab die kubistischen Radierungen Picassos zu Max Jacobs Dichtungen „Saint Maturel“ (1911) und „Le siège de Jérusalem“ (1914), Picassos erste Künstlerbücher, heraus und verlegte 1954 auch Picassos „Poèmes et lithographies“.

Dem damals noch jungen Albert Skira gelang es 1931, Picasso zu 30 Radierungen für die „Metamorphosen“ von Ovid zu bewegen. Damit hatte Picasso ein Buch geschaffen, das allein schon durch seine illustrative Systematik und Ausgewogenheit besticht. 15 ganzseitige und ebenso viele halbseitige Grafiken strukturieren die Kapitel dieses für die Kunst geradezu kanonischen Textes. Ovids Text als literarische Summe antiker Verwandlungsmythen präsentiert Picasso jedoch nicht im Sinne der griechischen „metamorphosis“, als Wechsel und Umwandlung aus einer Gestalt in eine andere, sondern größtenteils als dynamisch bewegte Kampf- wie zarte Liebeszenen. Er zeigt die Liebesabenteuer Jupiters ganz ohne den attributiven Apparat und unter Verzicht auf die übliche erzählerische Dramaturgie. Obwohl Picasso für die 15 großformatigen Illustrationen dem Text treu blieb, verstand er es, mit surrealistischen Umwandlungen seine künstlerische Handschrift einzubringen und die klassische Schönheit seiner damaligen Gefährtin Marie-Thérèse Walter in verschiedenen Gestalten zu konterfeien.

Der amerikanische Verleger Georges Marcy vom „Limited Editions Club“ in New York erteilte Picasso 1934 den Auftrag für die Illustrationen zur antiken Komödie „Lysistrata“ des Aristophanes. Hier wird beschrieben, wie Frauen im zähen Kampf zwischen Sparta und Athen einen Friedensschluss dadurch herbeiführen, dass sie ihren Männern die Liebe entziehen. Das erotische Ferment der Handlung konnte Picasso in seinen Radierungen nicht unberührt lassen, Die durchgängige additive, plane Staffelung in der Anlage vielfiguriger Szenen, die Picasso für dieses Buch geschaffen hat, erinnert nicht von ungefähr an antike Reliefs. Auch die feine Linienzeichnung der Grafiken verweist hier auf die Inspiration, die ihm die antike Vasenmalerei gegeben haben mag. Picasso nutzte ferner den Formkanon antikisierender Ornamentik wie den des Mäanderbandes, das auf Gewandsäumen, Schilden und Helmen ein geradezu wucherndes Eigenleben zu führen scheint.

Tériade wiederum war der Verleger für die 125 rotfarbenen Lithografien Picassos, die sowohl zeichenhaft wie ornamental Pierre Reverdys handgeschriebene Zeilen seiner Gedichtsammlung „Le chant des morts“ (1948) – tragische, von Kriegselend und Deportation geprägte Verse – umfangen und einbinden. Von einer zeichnerischen fand Picasso zu einer malerischen, lavierenden Linie, die er als gerade, gebogene, sich gabelnde oder zum Kreis schließende variierte oder als Punkt fixierte. Entsprechend der Gedichtfolge setzte er Seite für Seite seine roten „Verzierungen“, seine Striche und Punkte oder die Kombination daraus. Sie bilden eine Art optische Partitur, die die Musikalität und Rhythmik der Gedichte in grafische Kürzel überträgt. Picassos minimalistisches Formvokabular, das dem Künstler ein Höchstmaß an Kombinatorik ermöglicht, weist zwar Parallelen zur informellen Malerei der Nachkriegszeit auf, ist aber eine innovatorische Leistung in der Buchillustration, weil es – wie Birgitta Heid nachzuweisen sucht – direkt auf die Handschrift des Dichters und auf den Verlauf der Gedichte eingeht und weil es in seiner Formensprache keiner bildnerischen Konvention gehorchen. Bisweilen steigert und verdichtet der Künstler die Systematik dieser an chinesische Schriftzeichen erinnernden Ideogramme in einer kaum für möglich gehaltenen Weise.

Auffällig ist, so stellt Armin Zweite fest, die außerordentliche Wandlungsfähigkeit, die Picasso bei jedem neuen Buchprojekt bewies, wenn er sich an die Lithografien, Radierungen, Aquatinten, Linolschnitte oder Kartalegrafien (eine Form des Kartondrucks) setzte und ihre Techniken bis an ihre Grenzen ausreizte. Nicht nur die Illustration allein, sondern die ganze Bucharchitektur offenbart die vielfältigsten Gestaltungsmöglichkeiten. Das (Künstler-)Buch, so hat es Picassos Freund und Sekretär Jaime Sabartés genannt, kann sich in diesem Sinne als des Meisters „treuestes Porträt“ erweisen.

Titelbild

Nina Schleif (Hg.) / Pablo Picasso / Armin Zweite: Picasso, Künstlerbücher. Werke aus der Sammlung Udo und Anette Brandhorst.
Hirmer Verlag, München 2010.
287 Seiten, 45,00 EUR.
ISBN-13: 9783777431017

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch