Illuminierte Erlebnistempel

Von der Waffensammlung zur Inszenierung der Kriegsopfer: Thomas Thiemeyer versucht sich am Entwurf einer museologischen Theorie

Von Klaus-Jürgen BremmRSS-Newsfeed neuer Artikel von Klaus-Jürgen Bremm

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Was hat man sich überhaupt unter einer Fortsetzung des Krieges im Museum vorzustellen? Was wären zudem die Mittel dieser Fortsetzung? Etwa eine darstellende Wiederholung der schon einmal geschlagenen Schlachten mit Hilfe von Karten, Dioramen und Übersichten? Derartiges findet jedenfalls in den von Thomas Thiemeyer ausgewählten elf Militärmuseen nicht mehr statt. Warum ist es überhaupt so schwer, den Krieg auszustellen?

Der wissenschaftliche Mitarbeiter am deutschen Literaturarchiv in Marbach hat es sich in seiner beim Schöningh Verlag erschienenen Dissertation zur Aufgabe gemacht, zu erkunden, welche Lösungen für dieses Kernproblem in einem knappen Dutzend moderner Dauerausstellungen gefunden wurden. Zugleich möchte er auch einen theoretisch fundierten Beitrag zu einer neuen Museumswissenschaft leisten, der noch, wie er schreibt, im Vergleich zur Geschichtswissenschaft begriffliche Klarheit und etablierte Analysemethoden fehlen. Das fraglos ambitionierte Ziel seiner Studie sei schließlich eine „Theorie des musealen Umgangs mit der Kriegsgeschichte“.

Thiemeyer hat sich seinem Stoff hauptsächlich aus vier Perspektiven genähert. Unter dem Begriff „Rahmen“ analysiert er zunächst Tendenzen der Erinnerungskultur sowie der Forschung in den betroffenen Ländern und beschreibt deren museale Umsetzung in den untersuchten Dauerausstellungen. Das Kapitel „Politik“ wiederum erörtert die sinnstiftende Funktion des Museums in einem sich massiv gewandelten gesellschaftlichen Kontext, dessen wesentliche Prägung er treffend als „postheroisch“ charakterisiert. „Formen“ und „Dinge“ loten schließlich die musealen Möglichkeiten einer deutenden Geschichtsinszenierung aus. In seiner Auswahl von Militärmuseen, die er einer näheren Analyse unterziehen möchte, hat sich Thiemeyer hauptsächlich von vier Kriterien bestimmen lassen: So sollten die untersuchten Dauerausstellungen primär den Ersten oder Zweiten Weltkrieg thematisieren, möglichst in den letzten beiden Dekaden konzipiert worden sein, einen überregionalen Bezug aufweisen sowie eine ganzheitliche Darstellung über die bloße Präsentation militärischer Technik anstreben.

Schon der erste inhaltliche Überblick, der Bewertungen noch vermeidet, wirft allerdings die Frage auf, ob die auf Deutschland, Frankreich und Großbritannien verteilten Häuser überhaupt noch als Militärmuseen bezeichnet werden können. Jedenfalls findet der Besucher dort weder den klassischen Feldherrnhügel noch das vor Waffen und Beutestandarten strotzende Arsenal. In allen elf Häusern, darunter das neue Militärhistorische Museum in Dresden als Leitmuseum der Bundeswehr oder das Musée de l’armée in Paris, ist der Trend unübersehbar: Weg von der klassischen militärischen Asservatenkammer und den von Waffen und Uniformen überquellenden Vitrinen führt der Trend zur erlebnisorientierten Inszenierung unter sparsamster Verwendung von Objekten.

Der Weg der fraglos beeindruckten Besucher ist von symbolbehafteten Arrangements und Lichteffekten flankiert. Nicht mehr Feldherren oder Helden werden thematisiert, sondern vor allem die Opfer des Krieges. Das Leiden im Krieg rückt in den Mittelpunkt der Darstellung und soll pädagogisch instrumentalisiert werden. „Nie wieder Krieg“ laute das zentrale Anliegen der Museumsmacher, das ganz auf der Linie der politisch erwünschten Erinnerungskultur postheroischer Gesellschaften liegt.

Hierbei sind jedoch deutliche Unterschiede zu registrieren: Erscheint für die Zeit des Ersten Weltkrieges längst grenzübergreifend der einfache und oft namenlose Soldat in den öden Trichterwüsten Nordfrankreichs oder Flanderns vornehmlich als Opfer, so sind es in der folgenden globalen Auseinandersetzung schon die Zivilpersonen als Leidtragende eines totalen Krieges, der sich zunehmend auch bewusst gegen Nichtkombattanten richtete. Die Ausstellungsmacher in allen drei Ländern folgten hierbei ohne Frage den neuesten Forschungsrichtungen in der Militärhistoriografie, die sich längst von der klassischen Geschichte der Feldzüge und Schlachten befreit hat, um einen breiteren Ansatz zu verfolgen, der die gesamte Gesellschaft im Krieg einzubeziehen versucht.

Kriegführung wird dabei nicht mehr im Sinne Carl von Clausewitz’ als das Ergebnis einer scheinbar rationalen Abwägung höchster Führungskreise betrachtet, sondern als gewaltbehaftete Resultante der betrachteten Kultur, ja sogar als ihr kultureller Code. Die universitäre Historiografie spricht dann auch inzwischen von einer „Kulturgeschichte der Gewalt“ und meint damit vor allem das subjektive individuelle Erleben der Ereignisse und seine Prägung durch kulturelle Muster.

Nicht mehr was geschehen ist, sondern wie es erlebt wurde, ist neuer Gegenstand der Forschung wie auch der Darstellung in modernen Militärmuseen. Dagegen erscheinen die gängigen Meistererzählungen nationaler Prägung längst als Konstrukte, denen man ohne weiteres neue und politisch erwünschtere Imaginationen gegenüberstellen darf. Dies gilt umso mehr, da das klassische Publikum – die Generation der Kriegsteilnehmer und Überlebenden, die in den Museen noch einmal nachvollziehen wollte, wie es scheinbar war – zu einer schrumpfenden Minderheit gehört.

Eine Ausstellung, die heutzutage noch neue Besuchergruppen anlocken will, darf nun weder besondere historische Vorkenntnisse voraussetzen noch die Bereitschaft, sich ernsthaft mit der Ereignisgeschichte oder den politischen und strategischen Kontexten auseinanderzusetzen. Anders als die oft mit hoher Suggestivkraft versehenen Relikte des Krieges, also Großgerät, Waffen und deren Wirkung, geraten Strukturen und Hintergründe des Geschehens aus dem Blick. Museal lasse sich der Krieg allenfalls, so Thiemeyer, in mehr oder weniger spektakulären Fragmenten darstellen. Noch viel schwerwiegender aber ist aus seiner Sicht, dass eine ordnende Inszenierung, die ästhetischen Gesichtspunkten folgt, niemals ein Kriegsgeschehen nachvollziehen kann, das eben durch die völlige Abwesenheit von Ordnung geprägt ist.

Ein wirkliches Erleben des Krieges und seiner Gräuel ist im Museum – zum Glück – nicht möglich. Schmerz und Leiden lassen sich durch eine moralisierende Inszenierung nicht reproduzieren. Thiemeyers Kernfrage nach der Problematik einer musealen Darstellung des Krieges ließe sich somit noch am besten mit dem von ihm zitierten Jean Améry beantworten: Um den Schmerz realistisch zu beschreiben, müsste man ihn selber zufügen. Aus dem Opfer würde somit aber ein Täter. Der Opferansatz postheroischer Museen führt also notwendig in eine emotionale Sackgasse. Das dargestellte Leiden wird zum bloßen Stilmittel. Was vom Museumsbesuch somit bleibt, ist vielleicht ein vager und temporärer Erregungszustand, der sich in der folgenden Alltagserfahrung wieder rasch verflüchtigt. Ein tatsächlicher Wissensgewinn ist damit in der Regel nicht verbunden. Insgesamt ein ernüchternder Befund im Vergleich zu dem betriebenen Aufwand, der im Falle Dresdens sogar unglaubliche 52 Mio. € betragen wird.

Insgesamt hat Thiemeyer mit seiner Studie eine glänzende Bestandsaufnahme der militärgeschichtlichen Museumswelt vorgelegt, ihre Brüche und Wandlungen in enger Verzahnung mit Forschungstendenzen und gesellschaftlichen Deutungen beschrieben und eindeutig Stellung zu den Möglichkeiten und Grenzen einer moralisierend erlebnisorientierten Geschichtsdarstellung bezogen. Mancher Leser wird eine deutlichere und enger zusammengefasste Kritik an einzelnen Häusern vermissen. Auch die angekündigte museale Theorie und die Klärung wichtiger Begriffe erscheinen nur fragmentarisch ausgeführt. Gleichwohl hat Thiemeyer mit seiner Arbeit einen wichtigen Grundstein gelegt, der gewiss zu weiteren Untersuchungen anregen wird.

Titelbild

Thomas Thiemeyer: Fortsetzung des Krieges mit anderen Mitteln. Die beiden Weltkriege im Museum.
Schöningh Verlag, Paderborn 2010.
366 Seiten, 44,90 EUR.
ISBN-13: 9783506769190

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