Über das Vortäuschen von Geschichte

In Hartmut Langes Roman „Im Museum“ verschwimmen die Grenzen zwischen gestern und heute

Von Nadine IhleRSS-Newsfeed neuer Artikel von Nadine Ihle

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Wenn davon die Rede ist, dass der Geist der Vergangenheit durchs Museum weht, dann ist das in den meisten Fällen nicht wörtlich zu nehmen. Hartmut Lange präsentiert mit seinem Erzählband „Im Museum“ seine literarische Bearbeitung dieses Bildes.

Schauplatz ist das Deutsche Historische Museum in Berlin mit seinen vielen Winkeln, Ecken und Gängen. Zusammen mit den Museumsaufsichten unterschiedlicher Abteilungen begegnet der Leser den Geistern der Vergangenheit – in persona. Lange erzählt diese Begebenheiten in sieben kurzen Kapiteln mit einem je eigenen Figurenarsenal. Alle Geschichten werden bestimmt durch die Atmosphäre des Museums selbst, durch das Verschwimmen der Grenzen zwischen gestern und heute, die kuriosen und geheimnisvollen Museumsobjekte bis hin zu den Heimsuchungen verirrter Geisterwesen. So verschwindet gleich im ersten Kapitel die Museumsaufsicht Margarete Bachmann des Nachts im Museum und ist nicht wieder aufzufinden. Im zweiten Kapitel taucht die Vergangenheit dann schon in personifizierter Form auf – der ehemalige Leutnant Bernd Klinger begegnet auf seinen Kontrollgängen einem ehemaligen Gefangenen, und zwischen beiden entspinnt sich ein bis dato unaufgearbeiteter Konflikt von neuem. Und so begegnen die Hauptfiguren jedes Kapitels entweder sich selbst oder Personen aus der Vergangenheit.

Im Strudel der unheimlichen Museumsatmosphäre, der eigenen Verwirrtheit und der Fülle an historischen Themen irren Menschen und Geister umher, suchen nach Antworten, die weder sie selbst finden noch dem Leser gegeben werden. Höhepunkt dabei ist der Auftritt des Geistes von Adolf Hitlers Mutter, die durch die Museumsgänge spukt, weil sie wissen möchte, was aus ihrem Sohn geworden ist. Lange gelingt es, diese Episode ohne Klischee und Kitsch zu erzählen, indem er ganz eng am Gespenstermotiv bleibt. Auf angenehme Weise übernatürlich ist die recht knapp erzählte Episode der Geister von Mutter und Tochter aus dem Jahre 1860, in der die Mutter ihrem Kind die Sterne zeigen möchte, dies aufgrund des getrübten Glasdachs allerdings nicht tun kann. Hilfesuchend wenden sie sich an den Volontär des Hauses, der verspricht, die Reinigung der Scheiben zu veranlassen.

Dass Museen sich als Schauplätze für Geistergeschichten und Übernatürliches ganz hervorragend eignen, liegt in der Natur der Dinge. Dass das auch mit einem deutschen Museum, und nicht nur in amerikanischen Großstädten oder englischen Kleinstädten, funktioniert, beweist Lange mit diesem schmalen Erzählband sehr anschaulich. Leider gerät die Museumswelt dabei zu überartikuliert, zu präzise einerseits und dann wieder zu unpräzise andererseits. Eine routinierte Museumsaufsicht, die nicht weiß, was sie mit im Museum vergessenen Kleidungsstücken machen soll? Ein Volontär, der Fensterscheiben reinigen lassen will und dafür von seinen Vorgesetzten mit verächtlicher Arroganz gestraft wird? Die Erzählstimme krankt daran, dass sie sich nicht entscheiden kann. Gleich im zweiten Satz heißt es, dass die Museumsräumlichkeiten „dem Besucher so etwas wie Geschichte vortäuschen sollen“.

Auf einer der einen Seite braucht die erzählte Geschichte die ausgestellte Geschichte, auf der anderen Seite will die Erzählerstimme sich mit der Zurschaustellung von Geschichte aber nicht gemein machen. Dieser Meta-Konflikt löst sich nicht auf: nicht dafür sein wollen, aber gleichzeitig auch nicht dagegen sein können. Damit bleibt am Ende kein Hauch von Geschichte zurück – weder der musealen noch der erzählten. Eben das, was Museen selbst so liebenswert macht, hätte man diesem Buch gewünscht: den Mut zum Staunen – über sich selbst und die Geschichte.

Titelbild

Hartmut Lange: Im Museum. Unheimliche Begebenheiten.
Diogenes Verlag, Zürich 2011.
114 Seiten, 19,90 EUR.
ISBN-13: 9783257067712

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