Ohne die notwendige Distanz

Joachim Käppner macht Berthold Beitz in seiner Biografie zum Helden in wechselvoller Zeit

Von Klaus-Jürgen BremmRSS-Newsfeed neuer Artikel von Klaus-Jürgen Bremm

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Ein kurzer nächtlicher Spaziergang zweier Männer an der verregneten Hamburger Binnenalster war im September 1952 der unspektakuläre Auftakt zu einem der bemerkenswertesten Kapitel der deutschen Wirtschaftsgeschichte. Ein erfolgreicher Versicherungsdirektor sollte nach dem Willen des Konzernerben Alfried Krupp von Bohlen und Halbach als neuer Generalbevollmächtigter die Geschicke des damals berühmt-berüchtigten Essener Stahlimperiums in ein völlig neues Fahrwasser leiten. Der branchenfremde Manager, der sich nun gegen die alteingesessenen und scheinbar allmächtigen Direktoren an der Ruhr durchzusetzen hatte, hieß Berthold Beitz. In den folgenden beiden Dekaden baute der gern mit unkonventionellen Methoden agierende Spitzenmanager das ehemalige Paradepferd preußisch-deutscher Rüstungspolitik konsequent in einen zivilen Konzern mit weltweiten Geschäftsbeziehungen um.

Das Außenseitertum war damals bereits sein Markenzeichen, denn auch das Versicherungswesen hatte der gelernte Bankkaufmann mit pommerischen Wurzeln nicht von der Pike auf betrieben, ebenso wenig wie zuvor das Ölgeschäft, das ihn während des Zweiten Weltkrieges in die Karpaten verschlagen hatte. Dass der junge Betriebsdirektor auf den kriegswichtigen Ölfeldern im polnischen Boryslaw keineswegs wie die meisten seiner Landsleute im Generalgouvernement als „deutscher Herrenmensch“ auftrat und sogar unter wiederholtem persönlichen Einsatz einigen Hundert jüdischen Arbeitern das Leben rettete, wurde erst viel später in der Öffentlichkeit bekannt. 1973 verlieh ihm die Gedenkstätte Yad Vashem für seinen humanitären Mut den seltenen Ehrentitel „Gerechter unter den Völkern“.

Das außergewöhnliche Leben dieses fraglos bedeutenden und zugleich untypischsten Protagonisten des so genannten deutschen Wirtschaftswunders hat nun der Münchner Autor Joachim Käppner, im Hauptberuf Redakteur einer namhaften Tageszeitung, in einer gewichtigen Biografie beschrieben. Angesichts der imponierenden Lebensleistung des inzwischen 98-jährigen Berthold Beitz, der schon in den 1950er-Jahren zum argen Verdruss seiner Standesgenossen auf eine Entschädigung der überlebenden Zwangsarbeiter des Konzerns gedrängt hatte, lag die Gefahr einer Hagiografie förmlich in der Luft. Es ist dem Verfasser auch nicht gelungen, ihr auszuweichen. Vielleicht wollte er es auch gar nicht. Beitz jedenfalls wird in Käppners Darstellung zum moralischen Glanzlicht und Kontrapunkt einer bleiernen Adenauerzeit, in der die alten nationalkonservativen Seilschaften der untergegangenen Diktatur mühelos weiter den Ton angaben. Lange bevor Bundeskanzler Willy Brandt das Kapitel einer neuen Ostpolitik aufschlagen konnte, war der agile Kruppmanager bereits nach Polen und in die Sowjetunion gereist und hatte, argwöhnisch von dem Alten aus Rhöndorf beäugt, enge Kontakte mit höchsten Vertretern des Ostblocks geknüpft.

Diese hochpolitische Phase im Leben seines Protagonisten ist zugleich der gelungenste und dichteste Abschnitt in Käppners Biografie, die an anderen Stellen nur zu oft in einen anekdotischen Stil verfällt. Insbesondere bei der Erörterung unternehmenspolitischer Einzelheiten hält sich Käppner deutlich zurück und weicht lieber auf die Darstellung von Personalfragen aus, für die Beitz offenbar stets ein „gutes Händchen“ besaß. Was aber genau mit dem Krupp-Imperium unter dessen Ägide geschah, bleibt abgesehen von der Erwähnung einiger dürftiger Kennzahlen aus der ökonomischen Krise der späten 1960er-Jahre im Dunkeln. Waren es tatsächlich allein die sozialpartnerschaftlichen Prinzipien des Firmenpatriarchen Alfried Krupp, die den Konzern 1966 erstmals in die roten Zahlen trieben, oder doch handwerkliche Fehler seines Generalbevollmächtigten? Mancher Leser wird es gleichwohl goutieren: Eine Wirtschaftsgeschichte ist Käppners Beitz-Biografie wahrhaftig nicht.

Es fehlt seinem Text aber der prägende politische oder gesellschaftliche Kontext, in die er seine Figur hätte einordnen müssen. Vieles davon kommt nur bruchstückhaft zur Sprache und kann daher kaum den narrativen und auch etwas eindimensionalen Charakter seiner Arbeit verdecken.

Immerhin hatte der Verfasser, wie der Verlag schreibt, uneingeschränkten Zugang zum Krupp-Archiv und auch zu Beitz’ privater Korrespondenz, doch andere, kritischere Quellen – wie etwa Presseberichte – scheint er kaum genutzt zu haben. Es fehlt somit eine Gegenperspektive, die es Käppner erlaubt hätte, die für eine seriöse Biografie unbedingt notwendige Distanz zu seinem Protagonisten einzunehmen. Abweichende Sichtweisen seiner Rivalen, wie etwa die des langjährigen BDI-Chefs Fritz Berg, werden im Text zwar erwähnt, wirken dann aber oft wie die verdrießliche Nörgelei so genannter Ewiggestriger, die ihr Lagerdenken nicht aufgeben konnten und Beitz’ Persönlichkeit umso strahlender erscheinen lassen. Den Bundeswirtschaftsminister der Großen Koalition, Karl Schiller, beschreibt Käppner als hochintelligent, aber sehr arrogant, nur weil er Beitz  im Austausch gegen eine dringend benötigte Exportfinanzierung dazu zwang, endlich die undurchsichtige patriarchalische Struktur seines Konzerns aufzugeben. Für Käppner jedenfalls ist Beitz schlicht der Held, der Fels des Anstandes in einer wechselvollen Zeit, in der die meisten Deutschen den scheinbar einfachen Weg gegangen sind, um sich später ihre Vergangenheit schönzureden. Brüche in dessen Biografie oder gar Fehlschläge im Privaten oder im Beruf kommen bei Käppner nicht vor, allenfalls kleine Schwächen finden Erwähnung wie etwa die Jagdleidenschaft oder die Manie des Konzernherrn, sich stets perfekt zu kleiden.

Was aber hielt dieses lange Leben innerlich zusammen, das auch so sehr von Glücksfällen profitierte? Wo lagen seine Kontinuitäten und wo die Veränderungen durch Lernprozesse? Oft hat man den Eindruck, dass Käppners Protagonist schon während seiner Zeit als Betriebsdirektor in Boryslaw als Persönlichkeit fertig entwickelt war. Was aber veranlasste den gut aussehenden jungen Kaufmann aus einfachen Verhältnissen, der bis dahin seine Zeit gern mit Mädchen, Sport und Reisen verbracht hatte, so ganz anders zu reagieren, als die meisten Angehörigen seiner Generation? Eine plausible Erklärung dafür bietet der Verfasser nicht.

Da Käppner auch nirgendwo erläutert, welches biografische Konzept er verfolgt hat und in welchem Kontext der Forschung er seine Studie gestellt hat, ist der wissenschaftliche Wert seines Buches eher begrenzt. Es ist bei Lichte betrachtet  nicht mehr als die nette Erzählung über einen ungewöhnlich erfolgreichen Menschen, eine elagierte Lobeshymne, die zu jedem runden Jubiläum mit ihren unvermeidlichen Honneurs passen würde. Ob sie aber Berthold Beitz, gewiss eine Jahrhundertgestalt, gerecht geworden ist, bleibt eher fraglich.

Titelbild

Joachim Käppner: Berthold Beitz. Die Biografie.
Berlin Verlag, Berlin 2010.
621 Seiten, 36,00 EUR.
ISBN-13: 9783827008923

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