In Heckens Welt

Thomas Hecken klagt das „Versagen der Intellektuellen“ vor der Konsumgesellschaft an

Von Walter DelabarRSS-Newsfeed neuer Artikel von Walter Delabar

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Ein paar Selbstverständlichkeiten vorneweg: Mit der Entstehung der Industriegesellschaften ist das System aus Produktion, Distribution und Konsumtion umgestaltet worden. An die Stelle der Subsidienzgesellschaften, in denen weite Teile der Gesellschaft darauf fokussiert sind, ihr alltägliches Überleben zu sichern und dazu Produktion und Konsumtion – aus der Hand in den Mund – engschließen, sind Konsumgesellschaften getreten, die zum einen die generelle Versorgungssicherheit und den allgemeinen Wohlstand deutlich erhöht haben und die andererseits als Steuerungsinstanz der Produktion die Nachfrage, mithin letzten Endes den Individualkonsum der Endverbraucher installiert haben. Dass dazu ein Wirtschaftssystem entworfen wurde, das wir gemeinhin Kapitalismus nennen, lassen wir beiseite. Planungssysteme wie im real existierenden Sozialismus haben sich im Gegensatz dazu als nicht flexibel, offen und leistungsfähig genug erwiesen (von den strukturellen und politischen Problemen hier wie dort einmal abgesehen).

Die Kritik an den Massenkonsumgesellschaften nimmt jedoch immer wieder mangelnde Kontrolle der Entwicklung und des Wachstums, den Wildwuchs bei den Konsumgütern, den schlechten Geschmack, die geringe Qualität und die Oberflächlichkeit des Konsums aufs Korn. Vor einer Gesellschaft, in der der Konsum alles, das heißt wirklich alles steuert, wird immer wieder gewarnt. Et vice versa: Dass der Konsum der Steuerung der Massen dient, wie das Max Horkheimer und Theodor W. Adorno in der „Dialektik der Aufklärung“ beschrieben haben, ist dazu nur das Gegenstück.

In den Chor der Kritiker reihen sich Linke wie Rechte ein, Autoren wie Politiker, Ökonomen wie Philosophen. Darunter so prominente Gestalten wie Zygmunt Bauman, Jürgen Habermas, Adorno, Ludwig Erhard, Heinrich Böll oder Karl Korn.

Gegen diese geballte Intelligenz, die dem Konsum als Generalinstanz einer Gesellschaft misstraut, tritt nun Thomas Hecken mit einer Schrift an, die die Intellektuellen im Ganzen des Versagens bezichtigt. Die Generalthese Heckens, der sich zuvor mit Schriften zum Phänomen Pop einen Namen gemacht, ist, dass die Intellektuellen zum Konsum insgesamt, zum Massenkonsum insbesondere jedoch auf Distanz geblieben seien.

Die Verbindung zwischen den Themen Pop und Konsum ist naheliegend genug: Mit der Einführung und Durchsetzung der populären Massenkultur im 20. Jahrhundert, die in den 1960er-Jahren eine neue Dynamik erhielt, ist nicht zuletzt die Konsumgesellschaft und der Konsum als Leitinstanz etabliert: Die Populärkulturen sind als Freizeit- und Vergnügungskulturen angelegt und werden über Instanzen wie die Vergnügungsindustrie organisiert und distribuiert. In „Pop. Geschichte eines Konzepts“ hat Hecken eine umfangreiche Sichtung der Pop-Konzepte seit Mitte der 1950er-Jahre vorgelegt, die er als „zuverlässigen geschichtlichen und analytischen Überblick“ angelegt hat, „welche Überlegungen unter dem Zeichen von ‚Pop‘ bisher zu verzeichnen gewesen“ seien. Dabei hält er als Ergebnis seiner Sichtung fest, dass die Pop-Affirmation mittlerweile ihren provokativen Charakter verloren habe und bis weit in die Feuilletons der überregionalen Tageszeitungen vorgedrungen sei. Die Differenz zwischen Hoch- und Populärkultur sei weitgehend aufgehoben, die Wirkung des Populären auf Gesellschaft und Kultur werde jedoch von konservativer Seite mit Misstrauen betrachtet. Hecken selbst räumt gar ein, dass eine generell befreiende Wirkung des Populären und zwar im Sinne einer enthemmten Genuss- und Individualkultur einerseits und im Sinne einer repräsentativen Demokratie andererseits nicht gegeben sei (eine merkwürdige Verbindung von politischem System und gesellschaftlicher Kultur). Ein Motiv, das in Heckens Konsum-Schrift, wenn auch gewendet, wiederkehrt. Kritisch hingegen sieht er die Differenz zwischen der konsumierenden Teilnahme an der Massenkultur und der analytischen Auseinandersetzung (an der ihm die Sperrigkeit und mangelnde Unterhaltsamkeit der Stillagen zu stören scheint).

Schlimmer als die Popanalytiker aber sind ihm die Intellektuellen als Gruppe insgesamt, soweit sie sich auf den Konsum als Thema werfen, nicht also auf das, was im Massenpublikum populär ist, sondern auf die Haltung selbst. Bemerkenswert daran sind, wenn man Hecken beim Wort nimmt, die Widersprüche, die sich dabei entfalten:

Gegen eine Haltung, die sich nimmt, was sie will, und dabei auf Geschmack keine Rücksichten nimmt, solange es irgendwie Genuss, Wohlbehagen oder auch Gefallen findet, setzten die Intellektuellen, so Hecken, auf wahre Werte, auf Niveau und Distinktion. Sie mahnen eine Gesellschaft – mithin eigentlich eine ganze soziale Klasse – zum Einhalten, die offensichtlich unter das Kuratel der Geschmack- und Konsumwächter gestellt gehört.

Konsum ist dabei noch deutlich mehr als der viel gescholtene Materialismus früherer Zeiten, der sich gegen den Idealismus als allgemeines Regularium wandte, weil nur die Berücksichtigung eigener Interessen in erster Linie das Überleben sicherte. Aufs eigene Einkommen zu schauen und nicht auf den Ruhm der Nation beispielsweise, ist das eine. Immerhin steht das „Fressen“ vor der „Moral“. Konsum jedoch bildet die andere Seite der Medaille: Er wirft zum Fenster hinaus, was der Materialismus so mühsam als Einkommen gesichert hat, damit die Münder (und nicht nur die) mit mehr gestopft werden als mit dem Allernotwendigsten. Aber, wie wir von Frau B. wissen, man will sich ja auch mal etwas leisten können.

Nicht der Kapitalismus also, sondern der Konsum sorgt für die Vernichtung aller Werte wie zum Beispiel Sparsamkeit, Fleiß, Pünktlichkeit, Sauberkeit und ein gutes Fernsehprogramm. Marcel Reich-Ranickis Attacke gegen das deutsche Fernsehen, allerdings bei einer Fernsehveranstaltung, der Verleihung des deutschen Fernsehpreises, den er für sein Lebenswerk erhalten sollte, vorgetragen, ist von dieser Haltung getragen – und er beerbt dabei nur eine Vielzahl von Kritikern, die der Massenkultur nichts abgewinnen können, weil sie kein Hort der Aufklärung, sondern der bedingungslosen Unterhaltung ist.

Fasst man Heckens Anklage gegen die deutschen Intellektuellen der Nachkriegsjahrzehnte auf diese Weise, dann könnte man ihre Plausibilität kaum bestreiten. Die Kulturkritik hat sich mit den Phänomenen der Massenkultur nie wirklich anfreunden können. Dass „Fun ein Stahlbad“ sei, wie Horkheimer und Adorno meinten, war insbesondere den Freunden der klassischen Musik unmittelbar verständlich, denen ein Veranstaltungsort wie der Berliner „Tresor“ als eine Art Vorhölle erschienen wäre. Damit treffen sie sich mit den Kulturwissenschaftlern, die in den Shows der Rockgrößen der 1970er-Jahre nur die exaltierte Zuschaustellung sekundärer Geschlechtsmerkmale und eines ungeregelten Brunftverhaltens sehen konnten. Dass das sogenannte „Unterschichtenfernsehen“ einem gebildeten und einigermaßen geschmackvollen Mitteleuropäer Abscheu einflößt und ihn an der geistigen Gesundheit seiner Konsumenten zweifeln lässt, hat an seinem Erfolg nichts geändert. Auch dass das Gelächter der Zuschauer solcher Formate nicht befreiend ist, wie (erneut) Horkheimer/Adorno formuliert haben könnten, sondern Ausdruck der Unterdrückung in der Gesellschaft ist, ist für einen politisch denkenden Menschen offensichtlich.

Und dennoch steckt in diesen Vorbehalten immer auch ein Stück paternalistischer Bevormundung einer sozialen Gruppe, die diese Formen des Konsums praktiziert. Es lässt sich der Wunsch dahinter entdecken, sich gegen die anarchischen Tendenzen zu stellen und die Welt wieder einer stabilen Ordnung zuzuführen, in der jeder weiß, wohin er gehört und in der die Geschmacklosigkeit ihre Grenzen kennt. Es bleibt darin das Dilemma erkennbar, dass eine dem Konsum notwendig ausgelieferte soziale Schicht (denn Konsum ist erst einmal nichts anderes als der Verbrauch von Gebrauchsgütern jedweder Art, und das nivelliert Kulturgüter jeder Art letztlich zu Konsumgütern) dem Konsum als Regelinstanz misstraut.

Vom Versagen der Intellektuellen, so Hecken, könne man in dreierlei Hinsicht sprechen: So hätten sie zum einen sich der Wahrnehmung des Konsums und dem Genuss verschlossen, sie hätten zum anderen darauf gewirkt, anderen den Zugang zum Massenkonsum zu verwehren, und hätten zudem für einen generellen Konsumverzicht plädiert. Schließlich habe gerade die politische Linke versagt, da sie den Widerspruch zwischen ihrem politischen Ziel, die breite Masse an die Macht zu bringen, und ihrem Widerwillen gegen den Geschmack derselben Masse nicht lösen könnte.

In vier großen Kapiteln schreitet Hecken danach die Positionen der 1950er-Jahre bis zur Gegenwart ab und entwirft dabei ein Weltbild, das zwar stark auf seine These zugerichtet ist (Versagen der Intellektuellen), aber dabei die Verkürzungen deutlich übertreibt. Denn unabhängig davon, dass Hecken einigermaßen beliebig zwischen literarischen Autoren, Essayisten, Philosophen, Politikern und Ökonomen springt, richtet er auch seine Interpretationen spezifisch aus: Jeder, der sich einigermaßen reflektiert mit der Entwicklung der Massen- und Konsumgesellschaft nach 1945 auseinandersetzt und dabei nicht zu allem Ja und Amen sagt (was man als Normativität des Faktischen kennengelernt hat), gerät Hecken zum Konsumverächter, der darüber hinaus eben nicht nur anderen den Zugang zum Konsum verwehren möchte, verächtlich auf den Müll der Massenkultur herabschauend, sondern sich auch noch bemüht, sich und seine Konsumgewohnheiten aus der Schusslinie zu bringen. Der typische Fall dessen, der den Balken im eigenen Auge nicht wahrnimmt, hingegen arg genau nach dem Splitter in dem des Nachbarn späht.

Nun wird man die gerade im Deutschen so zahlreichen Kultur- und Zivilisationskritikern nicht gerne aus der Kritik nehmen, nur weil einem ein solches Bild zu holzschnittartig erscheint. Denn zu verhängnisvoll haben die zahlreichen Modernekritiker gewirkt, die sich eine imaginierte Vergangenheit samt Kaiser, Gott und geordneten Verhältnissen zurückwünschten.

Dennoch hätte ein Blick auf Motivationen, Kontexte und Ziele ebenso gelohnt wie die Berücksichtigung der Problematiken, die die Autoren – welcher Couleur auch immer – mit ihren Positionierungen gelöst sehen wollten. Mit anderen Worten, eine Gesellschaft, die sich derart rasch und weitreichend verändert hat, wie dies mit den Industriegesellschaften des 19. und 20. Jahrhunderts geschehen ist, wird gut daran tun, diese Entwicklung und deren Umstände zu diskutieren. Sie wird das gerade deshalb tun, weil sie die Rahmenbedingungen von Entwicklung einigermaßen organisieren muss, um überlebensfähig zu bleiben. Sie wird das auch tun, um Fehlentwicklungen (wie immer man sie auch feststellen wird) gegenzusteuern und dabei auch Richtungsänderungen vornehmen zu können.

Diese Diskussionen und Reflexionen sind nicht zwingend positiv zu bewerten – was wiederum im Auge des Betrachters liegt. Die Versuche etwa von konservativen Autoren der Nachkriegsjahrzehnte, die Entwicklung von Gesellschaft zu begrenzen und zu steuern, sind auch nicht als tauglich oder politisch akzeptabel anzusehen. Aber Formeln wie die der „formierten Gesellschaft“, der Rückverweis auf Werte wie Solidarität und Gemeinschaft, wie sie etwa Heinrich Böll forderte, oder auch die Diskussion im Rahmen der grünen Bewegung seit den 1980er-Jahren sind nicht dadurch diskreditiert, dass sie einen ungeregelten Konsum kritisch betrachten.

Auch eine Position wie die Zygmunt Baumans, der in einer jüngeren Studie die Rückkehr zu Familie und festen Bindungen forderte, ist nicht deshalb zu kritisieren, weil er zugleich den ausufernden Einfluss des Konsums attackierte, sondern weil er ein antiquiertes Familienbild favorisierte und es für ihn jenseits der heterosexuellen Dauerbeziehung keine menschenwürdige Daseinsform zu geben schien. Mit Patchwork-Familien und zeitlich limitierten Beziehungen jedweder Zusammenstellung konnte er anscheinend gar nichts anfangen, obwohl sie die Realität bestimmen (und das nicht nur als Verfallsszenario). Den Wunsch nach Regulierung und Organisation gleich als Konsumhass zu kürzen, funktioniert nicht – und das, obwohl die Widersprüche der Diskussionsteilnehmer damit nicht geringer werden. Mehr noch, selbst Synchronisierungsfreunde, die nichts Besseres wissen, als sich dem auszuliefern, was eben geschieht, werden das nicht widerspruchsfrei tun können, nicht zuletzt deshalb, weil Geschmack eben immer sozial begründet ist und die Position des Einzelnen in der Gesellschaft anzeigt (Pierre Bourdieu lesen, wäre die Empfehlung).

Hecken muss sich also den Vorwurf gefallen lassen, mit seiner Schrift allzu kurz gesprungen zu sein. Ein heftiger Platscher und sonst nichts. Nicht einmal für die virtuelle Hedonistische Internationale ist seine Schrift nämlich brauchbar, weil sie eben nicht nur ihre Gegner zu stark simplifiziert, sondern auch, weil sie für den Konsumismus kaum mehr als ein paar Stichworte aufbringt.

Gegen die angeblich versagenden Intellektuellen stellt Hecken nämlich in einer äußerst knappen Skizze am Schluss seiner Kampfschrift die These auf, dass gerade eine konsumorientierte Gesellschaft das Leiden verringere, da in ihre jeder Einzelne lediglich an größtmöglichen Genuss orientiert sei. Das führe nicht notwendig zu einem direkten Kampf der einander widersprechenden Genussakteure, hätten doch die gesellschaftlichen Institutionen die Aufgabe, zwischen den Einzelinteressen zu vermitteln. Statt also Wertediskussion möge also jeder nach seiner Façon selig werden, und den Rest erledigt der Staat.

Eine denkwürdige Wendung, zumal nach den nur wenigen Sätzen, die Hecken seiner These gönnt, die er doch eigentlich in der Länge und Breite hätte systematisieren, präsentieren, diskutieren und aufhübschen müssen. Aber nichts davon.

Im Weiteren folgt an Hinweisen selbst nur noch wenig. Und man mag darüber spekulieren, dass der Vorteil einer solchen Gesellschaftsform ist, dass die Intellektuellen insgesamt damit ausstürben, zumindest wenn man Konsumkritik und Intellektualität kurzschließt. Anders gewendet: Wer denken will, kann das ja machen, darf aber die Grundkonstituente der Konsumgesellschaft, den Konsum nicht angreifen, indem er etwa betont, dass es ein Leben außerhalb der Massenkultur geben könnte. Oder auch, dass in einer Konsumgesellschaft zu leben nicht impliziert, auf Qualitätskriterien zu verzichten, oder dass Entscheidungsfreiheit eben auch bedeutet, auf den Konsum bestimmter Waren zu verzichten.

Nun ist es keine Frage, dass es kein Jenseits der Gesellschaft gibt. Daraus jedoch die Konsequenz zu ziehen, dass alles, was in der Gesellschaft geschieht, so wie es geschieht, richtig und unbedingt zu begrüßen sei, ist ebenso unsinnig. Es ist gleichfalls korrekt, dass über Qualität und Geschmack gestritten werden kann, damit jedoch generell die Qualität der Hochkultur zu suspendieren, ist vielleicht ein schnell gemachter, aber kein guter Zug.

Unabhängig von Geschmacksurteilen, von Kompetenz und Bildung, von intellektueller Arroganz oder paternalistischer Blindheit, ist es das gute Recht eines jeden, sich zu seiner Gesellschaft zu verhalten, wie er/sie es für richtig hält. Und das bezieht Kritik ausdrücklich mit ein.

Dass Kritik nicht nur begründet, sondern auch kontextualisiert werden muss, damit sie wahlweise sinnvoll oder funktional wird, gehört nun zu den Binsenweisheiten intellektuell redlicher Verfahren. Aber genau daran hapert es bei Heckens Schrift doch erheblich, was eben auch daran liegen kann, dass er mit ihr vor allem seine Exzerpthefte geleert und die Argumentation vernachlässigt hat. Das ist gerade deshalb sehr schade, weil er die Konsumgesellschaft und die Essayistik der Nachkriegsjahrzehnte zweifelsohne wohl so gut kennt wie kaum ein anderer. Welch eine Verschleuderung.

Titelbild

Thomas Hecken: Pop. Geschichte eines Konzepts 1955 - 2009.
Transcript Verlag, Bielefeld 2009.
566 Seiten, 35,80 EUR.
ISBN-13: 9783899429824

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch

Titelbild

Thomas Hecken: Das Versagen der Intellektuellen. Eine Verteidigung des Konsums gegen seine deutschen Verächter.
Transcript Verlag, Bielefeld 2010.
250 Seiten, 21,80 EUR.
ISBN-13: 9783837614954

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch