Superboy wird erwachsen

Michael Koryta schreibt eine kleine Studie über die Sünden, die wir von unseren Vätern erben. Dabei leidet „Blutige Schuld“ vor allem an seinem jungen Helden und dessen außergewöhnlichen Fähigkeiten

Von Walter DelabarRSS-Newsfeed neuer Artikel von Walter Delabar

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Wir erinnern uns alle recht gut daran, Superman kann zwar keiner etwas, aber auch der Superheld hat eine schwache Stelle (ja, wahlweise das mit dem Drachenblutbad und dem Lindenblatt oder die Stelle an der Ferse, ohne die wir nicht laufen können). In Michael Korytas „Blutige Schuld“ ist diese Achillesverse der Rachdurst des jungen Mannes, der den angeblichen Denunzianten, der seinen Vater ans Messer geliefert und damit zum Selbstmord getrieben hat, tot sehen will. Rachdurst macht blind, nicht nur für die Wahrheit, sondern auch für alles andere, das um einen herum geschieht. Und so geht es auch dem Helden von „Blutige Schuld“ (schon wieder so ein dämlicher Titel), Frank Temple III.

Frank Temple III stammt aus einer Heldenfamilie. Der Großvater war WWII-Held, fiel jedoch vor der Geburt seines Sohnes, Frank Temple II., der allerdings dem nie gekannten Vater nacheifert und auch Held wird, nur in einem anderen Krieg. Daraus zurückgekehrt, wandelt er sich jedoch zum Auftragskiller. Anfangs tötet er aus honorigen Gründen, dann wird er zum verlängerten Arm eines Großganoven aus Florida. Das FBI lässt ihn nach einem Tipp auffliegen. Bevor er jedoch verhaftet wird, tötet er sich.

Was der Sohn, Frank Temple III., weiß, ist, dass einer der alten Kumpel seines Vaters ihn ans FBI verraten hat. Solange der in Florida bleibt, treibt Frank Temple III. durch sein Leben. Durch 19 Staaten ist er gereist, hat ein wenig studiert, ohne je etwas zuende gemacht zu haben. Er hat versucht zu schreiben, aber auch das hat nicht lange vorgehalten. Das könnte so weiter gehen und ein weiteres Leben wäre verpfuscht, wenn auch nicht sehr heldenhaft. Nun aber will Dave Matteson (= „Der Schurke“) anscheinend an die Stätte der gemeinsamen Vergangenheit, eine Hütte an einem See in Wisconsin, zurückkehren.

Kommt er zurück, so hat sich Frank Temple III. geschworen, wird er ihn töten. Und deshalb fährt er ebenfalls dorthin, um schließlich am Ende das zu werden, was er ja von Anfang an ist, ein Superheld. Damit das aber geschehen kann, darf Frank zum Jäger werden, er muss erst selbst gejagt werden und er muss jemanden finden, den er retten kann, damit er seinen wahren Charakter finden kann. Und dem ist dann auch Korytas weitere Erzählung geschuldet.

Denn kaum in Wisconsin angekommen, gerät Frank auch schon in einen Autounfall, sein Unfallgegner, den er anfangs für den verhassten Matteson gehalten hat, ist offensichtlich auf der Flucht. Nachdem er verschwunden ist, tauchen zwei gewalttätige Kerle auf, die die Besitzerin der Autowerkstatt, Nora, bedrohen, in der die Unfallwagen repariert werden sollen. Ihr Ziel: der verschwundene Grauhaarige, der im anderen Wagen saß.

Das aber ist der Moment der Wahrheit, in dem Frank Temple III. zu seiner Bestimmung findet: Er schlägt den grobschlächtigen Killer, der Nora angreift, nieder, obwohl sein Gegner bewaffnet ist. Geschicklichkeit, Gewandtheit, Kraft und Technik zeichnen den jungen Helden aus. Und zu alledem ist er eigentlich nicht deswegen gekommen, weil sein Vater ihn dazu mit Nachdrücklichkeit und Engelsgeduld ausgebildet hat, sondern weil er aus einer Heldenfamilie stammt.

Kaum ist seine künftige Gefährtin (überrascht?) Nora gefunden, gesellt sich auch der Assistent des Helden dazu, ein Freund des Vaters, Ezra, der über die Jahre vom Sturmtruppler und Spezialagenten zum Wildhüter mutiert ist. Mentor, Gefährtin und Held bilden den Kern einer Handlungsfigur, in der der junge Held erwachsen werden und lernen kann, dass nicht die Rache Erfüllung und Ruhe bringt, sondern der Einsatz für die korrekte Sache, die Wahrheit und die Liebe seiner Nächsten, die in ihrer Normalität gleichwohl selbst übermächtig sind.

Nora, weil sie das Erbe ihres Vaters (die Reparaturwerkstatt) erhalten will, um zu sich selbst zu finden, Ezra, der als Beschützer, Mentor und Helfer dem Helden den Rück frei hält.

Das alles ist hübsch zu lesen, und Koryta treibt seine Handlung auch mit den gehörigen überraschenden Wendungen voran, dennoch krankt sein Krimi an seinem Helden und dem Superimago: Zu schnell ist er als Kämpfer, zu geschickt entwaffnet er seine Gegner, zu chancenlos sind die blutrünstigen Schurken, die bis dahin erfolgreich durch ihr kriminelles und mörderisches Leben gekommen sind, bis sie dann auf Frank Temple III. stoßen, der zum Schirm der Vaterlosen, Chancenlosen, der Mühseligen und Beladenen heranwächst. Auf dass viele kleine Frank Temples IV. und ff. auf die Welt kommen mögen und die Superheldendynastie auch in Zukunft die Welt vor den Bösen beschützen mögen. Warum hat man nochmals den mittleren Helden eingeführt?

Titelbild

Michael Koryta: Blutige Schuld. Thriller.
Übersetzt aus dem Amerikanischen von Thomas Bertram.
Droemersche Verlagsanstalt, München 2010.
476 Seiten, 9,99 EUR.
ISBN-13: 9783426504420

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