Ein ganz normales Familienunternehmen

Annegret Schüles Buch „Industrie und Holocaust“ erzählt die Geschichte der Erfurter Firma „Topf & Söhne – Die Ofenbauer von Auschwitz“

Von H.-Georg LützenkirchenRSS-Newsfeed neuer Artikel von H.-Georg Lützenkirchen

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Es hätte die schöne und erfolgreiche Geschichte eines Familienunternehmens in Deutschland werden können. Ende des 19. Jahrhunderts ergreift in einer mitteldeutschen Kleinstadt ein Unternehmer die Initiative und gründet nach einigem Hin und Her ‚seine‘ Firma. Die Stadt hieß Erfurt, der Mann hieß Julius Topf, die Firma hieß fortan „Topf & Söhne“. Die Firma konzentrierte sich auf zwei Bereiche: die Mälzerei-Abteilung projektierte und fertigte vollständige Mälzereien, die Abteilung Dampfkesselanlagen fertigte unter anderem Feuerungsanlagen. Schon in der folgenden Generation hatte sich die Firma unter ihrem Patron Ludwig Topf senior auch international einen klangvollen Namen gemacht: Während der 1920er-Jahre wurde man zum „führenden deutschen Hersteller von Feuerbestattungsöfen“. Wesentlichen Anteil daran hatten fähige und ehrgeizige Ingenieure und Ofenbauer.

1933 kamen die Nazis. Inzwischen leitete die dritte Generation Topf, vertreten durch die Brüder Ernst Wolfgang und Ludwig Topf, die Firma. Beides keine ausgewiesene Nazis, die Firma „Topf & Söhne“, wie so viele andere auch, arrangierte sich. Dann aber tauchte ein neuer Kunde auf – die SS. Denn seit Ende der 1930er-Jahre hatte sich ein neuer Bedarf nach Feuerbestattungsöfen entwickelt. In den Konzentrationslagern der SS kamen Menschen zuhauf zu Tode. Es gab Probleme bei der Entsorgung der Leichen. Die SS brauchte Krematorien und diese sollten einen praktischen Zweck möglichst effektiv erfüllen. Dagegen standen aber noch Fragen der Pietät und Rechtsgrundsätze, wie sie sich noch im Reichsgesetz zur Feuerbestattung von 1934 fanden. Demnach durfte jeweils nur eine Leiche im Sarg eingeäschert werden. Die Einäscherung sollte nicht im direkten Feuer, sondern in der erhitzten Luft erfolgen, eine „Nach- und Zuheizung […] zur Beschleunigung des Vorgangs“ durfte nicht erfolgen, aus den Schornsteinen sollte möglichst kein Rauch entströmen und schließlich musste in einem Verzeichnis festgehalten werden, welcher Person die Aschereste zugeordnet waren und wo die Aschereste der Verstorbenen aufbewahrt wurden. Für die Öfen, die man jetzt brauchte, waren solche Regelungen hinderlich und deshalb überflüssig. Die Firma „Topf & Söhne“ stand bereit. Ihre Ingenieure wussten Rat. Ihre Öfen wurden in Auschwitz gebaut. Und so wurde das Unternehmen aus Erfurt zum Handlanger des Regimes.

Als die Alliierten die Konzentrationslager befreiten und das Maß der Verbrechen deutlich wurde, wurde auch die Verstrickung der Firma „Topf & Söhne“ offenbar. Auf den Fotos, die die Befreier von den Orten des Mordens machten, waren die Schilder des Herstellers der Öfen klar zu lesen: „Topf & Söhne“.

Doch die Teilnahme an den Verbrechen blieb ungesühnt. Lediglich die Sowjets versuchten, einige der beteiligten Ingenieure und Techniker zur Rechenschaft zu ziehen. Danach aber begann das Verdrängen. In der DDR wurde die Firma zu einem volkseigenen Betrieb, in dem viele der ehemaligen Topf-Arbeiter und Angestellten weiterhin unbehelligt beschäftigt waren. Interessant ist dabei, wie aktiv sich das Netzwerk der Beschäftigten bei „Topf & Söhne“ an der Leugnung der schuldhaften Verstrickung beteiligte. Insbesondere die kommunistischen Mitarbeiter, die während der Nazizeit bei „Topf & Söhne“ Beschäftigung gefunden hatten, ‚dankten‘ es auf diese Weise nach dem Krieg der Firma. In der BRD, wo sich nach dem Selbstmord seines Bruders Ludwig, Ernst Wolfgang Topf aufhielt, versandeten Versuche der juristischen Aufarbeitung der Verantwortung auch deshalb, weil es im Klima des Kalten Krieges nicht zu einer konstruktiven Zusammenarbeit der beiden deutschen Staaten kam. So blieb auch Ernst Wolfgang Topf unbehelligt. Wirtschaftlich konnte er allerdings nie mehr Fuß fassen.

In den frühen 1990er-Jahren begann schließlich die kritische Aufarbeitung der Geschichte der Firma „Topf & Söhne“. Seit Januar 2011 besteht auf dem ehemaligen Gelände der Firma ein Erinnerungsort.

Der vorliegende Band „Industrie und Holocaust“ über „Topf & Söhne – die Ofenbauer von Auschwitz“ ist Ergebnis dieser kritischen Aufarbeitung. Die Autorin Annegret Schüle ist Leiterin des Erinnerungsortes in Erfurt. Der Band informiert umfangreich über die Geschichte der Firma, ihre Verstrickung in die Naziverbrechen und das Versagen der Nachkriegsgesellschaft in der DDR und der BRD bei der Aufarbeitung dieser Schuld. Deutlich wird in der gut lesbaren Darstellung einmal mehr, wie wenig „Überzeugung“ es brauchte, um zum Handlanger der Nazis zu werden. Es reichte schlichte Anpassung und normaler Ehrgeiz, die Gelegenheit für ein ‚gutes Geschäft‘ zu ergreifen und dieses möglichst ‚gut‘ auszuführen. Bedenken? Keine. „Es fehlte“, so schreibt die Autorin in ihrer Schlussbetrachtung, „an moralischer Stärke, um sich den verlockenden Aufträgen eines verbrecherischen Systems zu entziehen“. Und so verwundert es auch nicht, dass nach dem Krieg keiner der Beteiligten irgendein Schuldgefühl eingestand.

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Annegret Schüle: Industrie und Holocaust. Topf & Söhne - Die Ofenbauer von Auschwitz.
Wallstein Verlag, Göttingen 2010.
464 Seiten, 29,90 EUR.
ISBN-13: 9783835306226

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