„Kämpfender Humanist, Liberaler, Demokrat“

Hermann Kinders gelungene Dialogcollage über Berthold Auerbach

Von Anton Philipp KnittelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Anton Philipp Knittel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

„Auerbachs Mühen galt schon früh einer aufgeklärten Seel- und Leibsorge mit den Mitteln der Literatur“, bemerkt jüngst Hermann Bausinger in seiner um ein Auerbach-Porträt erweiterten Neuauflage des Essaybandes „Seelsorger und Leibsorger“. Eine Tatsache, die auch bestätigt findet, wer Hermann Kinders wunderbare literarische Collage „Berthold Auerbach. ‚Einst fast eine Weltberühmtheit‘“ liest.

Dem epochemachenden Frührealisten Berthold Auerbach, als Moses Baruch Auerbacher 1812 in Horb-Nordstetten am Neckar als neuntes Kind eines jüdischen Händlers geboren, widmete der in Konstanz bis 2008 Literatur lehrende Schriftsteller schon ein Kapitel in seiner 1973 erschienenen Dissertation „Poesie als Synthese“. Der durchaus nicht lineare Weg vom Optimismus zum Pessimismus, den Kinder an Auerbachs Realismus-Verständnis skizziert, lässt sich auch in der dialogischen Collage über den Autor des vorletzten Jahrhunderts nachvollziehen. Kinder dokumentiert, zitiert und erzählt chronologisch aus einem ursprünglich gut 900 Seiten umfassenden zweibändigen Briefkonvolut des Turgenjew-Freundes an seinen Namensvetter Jakob Auerbach. Entstanden ist so ein vielschichtiges Panorama der Zeit zwischen 1830 und Anfang 1882, als Auerbach im Februar im südfranzösischen Cannes stirbt.

Kinder, „Intimus in Bewunderung und auch Reserve“, wie er im Nachwort der im zweiten Teil mit vielen hilfreichen Fußnoten gespickten Dialogcollage gesteht, gelingt ein eindringliches Porträt des „international berühmtesten deutschen Schriftstellers des 19. Jahrhunderts“. So ist sein „Auerbach“ jenes „Stück intimer Zeitgeschichte“ des vorletzten Jahrhunderts, als das der weltberühmte Autor der „Schwarzwälder Dorfgeschichten“ und des „Barfüßele“ selbst sein Leben verstanden wissen wollte. Der Tübinger „Theol. candidatus“, der auch in München und Heidelberg studierte und 1837 wegen burschenschaftlicher Umtriebe eine zweimonatige Festungshaft auf dem Hohenasperg verbrachte, wirkt ebenso plastisch wie der einsame Schriftsteller Ende der 1830er-Jahre, der „wie ein Vogel flatterig“ ist und sich „doch gar sehr nach Ruhe“ sehnt. Kenntlich wird der Hochgeehrte, der die Anerkennung adliger Kreise sucht, auf das Volk setzt und zugleich vor „socialdemokratische[r] Chaosmacherei“ warnt. Kinder lässt den unter der zunehmenden „Judenhetze“ leidenden Autor ebenso zu Wort kommen wie den Naturliebhaber, der jedoch in der Großstadt Berlin bleibt. Kinders „Berthold Auerbach“ ist ein faszinierendes Porträt eines widersprüchlichen und ungemein fleißigen Autors: „Gelt, ich bin ein Narr, daß ich mich so quäle“? fragt er rhetorisch 1842, um einige Jahre später zu notieren: „Ich will arbeiten und nur arbeiten, so viel ich kann, und ich will nicht mehr meine Kraft so versplittern und von so vielen Menschen mich ausrauben lassen, wobei ich doch so viel Undank ernte und Mißverstand.“ Zugleich weiß er auch: „Ich habe die besten Dinge: Arbeit, Frühling und Einsamkeit. – Ich kenne genugsam den zweiten Kerl in mir, den Zaghaften, Sentimentalen, Anschlußbedürftigen“.

In seinen besten Texten ist Auerbach, dessen „Dorfgeschichten“ kein Geringerer als Hermann Bausinger, der im September seinen 85. Geburtstag feiert, demnächst in der „Kleinen Landesbibliothek“ neu herausgibt, tatsächlich „ein Riese des Realismus“. In Kinders feinfühliger Dialogcollage ersteht ein „kämpfender Humanist, Liberaler, Demokrat“ mit all seinen Eitelkeiten, aber auch ein Autor mit einem großen Herzen. Vor allem aber erinnert der intensive Porträtist Kinder in der ihm eigenen, leisen, poetischen Art an einen „der klügsten, intensivsten Beobachter des deutschen 19. Jahrhunderts“.

Titelbild

Hermann Kinder: Berthold Auerbach. "Einst fast eine Weltberühmtheit".
Klöpfer, Narr Verlag, Tübingen 2011.
295 Seiten, 22,00 EUR.
ISBN-13: 9783863510053

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