Sie müssen noch an sich arbeiten, meine Herren!

Lily Tonger-Erk und Martina Wagner-Egelhaaf lassen in ihrem Buch „Einspruch!“ Rednerinnen aus drei Jahrhunderten Einsprüche erheben

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Judith Butler darf auch zwanzig Jahre nach Erscheinen ihres bahnbrechenden Buches „Gender Trouble“ noch immer als eine der prominentesten feministischen Gender-TheoretikerInnen gelten. Entsprechend werbewirksam ist es denn auch, wenn eine Abbildung den Einband eines Buches schmückt, auf der Butler eine engagierte Rede haltend die geballte Faust in die Höhe reckt, um ihre Worte zu unterstreichen. Das dürfte sich zumindest der Reclam Verlag gedacht haben, in dem das Buch erschien, von dem hier die Rede ist. Es trägt den Titel „Einspruch“ und enthält Reden, die bekannte – und auch weniger bekannte – Frauen seit Mitte des 19. Jahrhunderts gehalten haben. Das allen Rednerinnen gemeinsame weibliche Geschlecht ist die einzige Klammer, welche die inhaltlich disparate Textsammlung zusammenhält. Judith Butler aber war es gerade, die Geschlecht und somit auch die Kollektividentität von Frauen dekonstruiert hat. Das scheint nicht zusammenzupassen. Zu Wort kommen darf die Gender-Theoretikerin in dem Band denn auch gar nicht. Das ist eine Enttäuschung und lässt es etwas unredlich erscheinen, den Einband mit ihrem Foto zu versehen.

Trotz Butlers überzeugender Dekonstruktionsarbeit gibt es aber einen guten Grund, einen Band zusammenzustellen, der ausschließlich Reden von Frauen enthält. Die Herausgeberinnen Lily Tonger-Erk und Martina Wagner-Egelhaaf nennen ihn bereits auf der ersten Seite ihrer Einleitung: „Die gängigen Redensammlungen“ kommen „nahezu ganz ohne Reden von Frauen“ aus.

Auch die Ungleichartigkeit der ausgewählten Texte ist keineswegs zufällig. Mit Bedacht haben sie Reden zusammengestellt, die in ihrer Gesamtheit „die ganze Spannbreite weiblicher Rhetorikkunst“ hervortreten lassen. Eine Formulierung, die zwar den Verdacht des von Butler doch so erfolgreich kritisierten Essentialismus nähren kann, doch sind sich die Herausgeberinnen dessen wohlbewusst und räumen ihn erfolgreich aus: Weit davon entfernt, „so etwas wie eine typisch ‚weibliche Rhetorik‘“ behaupten oder begründen zu wollen, betonen sie, dass Frauen nicht als Frauen „anders“ reden, sondern dass vielmehr jede von ihnen anders als die anderen redet, „weil es sich um unterschiedliche Naturelle handelt, die in je verschiedenen historischen Situationen über eine große Bandbreite von Themen sprechen“. Auch gehen sie auf Butlers Dekonstruktionsleistung ein und erklären überzeugend, dass „der Auftritt von Rednerinnen als solcher“ vor diesem „theoretischen Hintergrund“ als „‚rhetorischer‘ Akt im kulturwissenschaftlichen Verständnis“ aufzufassen sei. Zudem erlaube es gerade Butlers „gender-rhetorischer Ansatz“, in den Blick zu nehmen, „wie die Rednerin durch ihren rednerischen Auftritt und ihre rhetorischen Strategien kulturelle Geschlechterbilder aufgreift und vielleicht auch durchbricht“.

Den fünfzehn in den Band aufgenommenen Reden sind jeweils einige Seiten umfassende Vorbemerkungen vorangestellt, in denen die Rednerin kurz vorgestellt und ihre „rhetorische Strategie“ erläutert wird. Außerdem werden die Reden historisch verortet. Vor allem letzteres ist hilfreich – nicht so alle biografischen Angaben. Warum sollte es etwa interessieren, wie viele Kinder Mathilde Franziska Anneke hatte? Interessanter, da erhellender hätten hingegen einzelne Textstellen mit kommentierenden Fußnoten sein können. Doch gerade diese muss man vermissen.

Die Reden sind nicht nur von sehr unterschiedlichem Charakter, sondern von nicht minder unterschiedlichem Interesse. Es kommen Feministinnen der Ersten und der Neuen Frauenbewegung wie Helene Lange, Berta Pappenheim und Helke Sander zu Wort, die Friedensaktivistin Berta von Suttner, die Kommunistin Rosa Luxemburg, die Schriftstellerinnen Christa Wolf und Elfriede Jelinek und auch die Bundeskanzlerin Angela Merkel.

Die frühe Feministin Mathilde Franziska Anneke erhebt als erste ihre Stimme. Gegenstand ihrer „Verteidigungsrede für Susan B. Anthony in Milwaukee“ ist ein Richterspruch aus dem Jahr 1872. Die bekannte amerikanische Frauenrechtlerin wurde zu einer Strafe von 100 Dollar und zur Übernahme der Prozesskosten verurteilt, weil sie es gewagt hatte, einen Stimmzettel in eine Wahlurne zu werfen. Das Urteil wurde damit begründet, dass Frauen kein Wahlrecht haben.

Nicht weniger lesenswert ist die von Helke Sanders auf einer Delegiertenkonferenz des Sozialistischen Deutschen Studentenbundes 1968 gehaltene Rede, zu der Tonger-Erk und Wagner-Egelhaaf anmerken, dass Sander sie überhaupt nur halten durfte, weil sie drohte, sie reise andernfalls mit 500 Frauen an. Die Rede der heute berühmten Regisseurin gilt den Herausgeberinnen – und nicht nur ihnen – als „Geburtsstunde der zweiten deutschen Frauenbewegung“.

Die Grüne Bundestagsabgeordnete Waltraud Schoppe ist mit ihrer ersten Bundestagsrede vertreten, in der sie die damals noch gültige Rechtmäßigkeit von Vergewaltigungen in der Ehe kritisierte. Für einige Herren von CDU/CSU und FDP war das nur schwer erträglich, woraufhin sie dem grölenden Männer-Mob ins Stammbuch schrieb: „Sie müssen noch an sich arbeiten, meine Herren.“

Margot Käsmann schließlich hält eine fantastische Predigt, in der sie ihren Schäfchen versichert, Glaube könne „Berge versetzen und Wunder wirken“. Von der menschlichen Vernunft spricht sie hingegen eher abschätzig.

Titelbild

Martina Wagner-Egelhaaf (Hg.): Einspruch! Reden von Frauen.
Reclam Verlag, Stuttgart 2011.
232 Seiten, 11,95 EUR.
ISBN-13: 9783150202180

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