Georg Laub oder die Auszeit

Silvia Bovenschen lässt in ihrem Roman „Wie geht es Georg Laub?“ einen Erfolgsautor abtauchen

Von Willi HuntemannRSS-Newsfeed neuer Artikel von Willi Huntemann

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Wer kann sich noch an Jean Amérys Roman-Essay „Lefeu oder der Abbruch“ von 1974 erinnern? Lefeu, ein in Paris lebender Maler mit jüdischen Wurzeln, verlässt sein abbruchreifes Haus nicht mehr und verweigert sich einem Galeristen, der ihn vermarkten will. Stattdessen spinnt er sich ein in eine Ästhetik des Verfalls.

So weit geht der Schriftsteller Georg Laub, Protagonist von Silvia Bovenschens Künstlerroman, nicht: statt Totalverweigerung zu betreiben, nimmt er nur eine Auszeit und vergräbt sich in einem heruntergekommenen Berliner Reihenhaus, das er von seiner Tante geerbt hat. Einst im Rampenlicht des Literaturbetriebs stehend, ist es finanziell bei ihm knapp geworden und er versucht, ein einfaches Leben in der „Verkargung“ zu führen.

Doch was ihm, einem Schriftsteller alter Schule, der sich selbst als „Netzphobiker“ bezeichnet, eigentlich zu schaffen macht, ist der gegenwärtige Literaturbetrieb unter neuen medientechnischen Vorzeichen. Wiederholt versuchen alte Freunde wie der Film-Bühnenbildner Fred Mehringer und Laubs Ex-Partnerin Margy Maneckel, ihn für Projekte zu gewinnen, doch er lässt sie abblitzen. An einer Kneipenrunde in seiner Nachbarschaft nimmt er immer seltener teil; zuletzt wird er Ziel einer netzweiten Suchaktion, die ein Spaßvogel bei Facebook angezettelt hat. Nachdem ihm ein alter Brief seiner Tante in die Hände gefallen ist und zum Nachdenken über sich selbst gebracht hat, bilanziert der verunsicherte Held zum Schluss in einem Zwiegespräch mit einem imaginären Gegenüber sein bisheriges Leben und scheint geläutert daraus hervorzugehen.

Mag Laub sich mit dem gleichen existenziellen Ernst vom Zeitgeist abwenden wie der Maler Lefeu bei Améry, der erzählerisch vielgestaltige und perspektivenreich konstruierte Roman hält diesen Ernst ironisch auf Distanz. Im auktorialen Hauptstrang der Erzählung werden akribisch die Stimmungslagen und Befindlichkeiten des in die Krise geratenen Autors geschildert. Immer wieder sind in der ersten Hälfte Dialoge zweier anonymer Stimmen eingeschaltet, die Laub observieren und sich darüber austauschen: „Wie geht es Georg Laub?“ Eine weitere Ebene öffnet die Realität ins Fantasmagorische: In typografisch abgesetzten Manuskriptteilen erzählt Laub davon, wie er geheimnisvollen schriftlichen Aufforderungen an ihn gefolgt sei und bestimmte Orte in der Stadt aufgesucht habe. Dort trifft er immer wieder auf ein Quartett von drei Männern und einer jungen Frau, die sich als „mobiles Theaterkollektiv“ vorstellen und in rhapsodischen „Tiraden“ über Laub herziehen – eine imaginierte Abrechnung mit sich selbst?

Dieser Realitätsbruch durch allegorisch wirkende Figuren könnte von Botho Strauß stammen, dem Bovenschen stilistisch und erzählerisch einiges verdankt, wie besonders auch die intellektuellen Gruppengespräche in der Kneipe erkennen lassen. Es ist freilich der Zeitdiagnostiker Strauß, der in Sprachprägungen ein Lebensmilieu einzufangen weiß, nicht der im hohen Ton numinos raunende Metaphysiker.

Sprachlich brillant in Szene gesetzte Kulturkritik wird allerdings in Bovenschens Roman durch die Erzählkonstruktion relativiert, ohne an Gehalt zu verlieren. Das ohne Resonanz bleibende Laub’sche Manifest gegen die „Boulevardisierung der Kunst“, prangert selbstkritisch eine Literatur an, „die sich des Literarischen schämt“, aus „Anschleimung an das kumpelhafte Internetgeplapper“; es wird in einem Gespräch eher kommentierend und auszugsweise referiert. Anders als bei anderen Romanen, die von Schreibkrisen handeln und dabei zugleich auch noch Zeitkritik transportieren, hat man bei Bovenschen nicht den Eindruck, im Protagonisten ein Alter Ego des Autors vor sich zu haben – nicht nur, weil dieser eine Frau ist.

Der Text hat nichts von einem verkappten Thesen- oder Tendenzroman, dafür ist er zu lebensvoll und zu ironisch gebrochen. Er hat auch nichts von feministischen Untertönen – ebenso wenig wie die vorangegangene Erzählprosa der Feministin Bovenschen, die relativ spät die Fiktion entdeckt hat. Ausgerechnet eine Frauenfigur ist nicht nur plastischer als andere Figuren, sondern mit einer fast schon boshaften Genauigkeit gezeichnet, sodass man sie schon einmal gesehen zu haben glaubt: die frühere Freundin Laubs, Margit Maneckel, eine Art Kulturbetriebsnudel, die immer weiß, was der Zeitgeist geschlagen hat.

Bovenschen hat nunmehr – nach dem Kriminalgenre („Wer Weiß Was“) und einem Gesellschaftsroman („Verschwinden“) – auch den Künstlerroman gemeistert, und ihre Kenntnisse als Literaturwissenschaftlerin haben ihr dabei nicht nur nicht im Weg gestanden, sondern für luzide Intellektualität gesorgt.

Titelbild

Silvia Bovenschen: Wie geht es Georg Laub? Roman.
S. Fischer Verlag, Frankfurt a. M. 2011.
285 Seiten, 18,95 EUR.
ISBN-13: 9783100035165

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