Ein gut vernetzter Moloch

Auch Johannes Kandel gelingt es nicht, den Islamismus vom Islam zu trennen

Von Klaus-Jürgen BremmRSS-Newsfeed neuer Artikel von Klaus-Jürgen Bremm

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

In der westlichen Publizistik hat es sich vielfach eingebürgert, zwischen Islam und Islamismus zu unterscheiden. So soll vor allem das Bild einer grundsätzlich friedlichen und mit den europäischen Verhältnissen kompatiblen Religion gezeichnet werden, in der nur eine vergleichsweise geringe Zahl von politischen Extremisten, die so genannten Islamisten, auch unter Einschluss von terroristischen Methoden den Schariastaat auf europäischen Boden anstreben.

Dieser beliebten Vorgehensweise islamophiler Autoren folgt offenbar auch der Historiker und Politikwissenschaftler bei der Friedrich Ebert-Stiftung, Johannes Kandel: Es kann einen Islam ohne Islamismus, aber keinen Islamismus ohne Islam geben, so betont er gleich in seiner Einleitung. Als ob es einen Koran für die gewöhnlichen Moslems gäbe, außerdem aber noch ein geheimes, radikales Buch für die so genannten Islamisten, versucht der Verfasser die theologisch unhaltbare (und von keinem Moslem nachvollziehbare) dichothomische Unterscheidung zumindest auf der politisch-sozialen Ebene zu retten. Erfolgreich ist dieser Versuch der Separierung allerdings nicht: Wer es als Autor vordergründig ablehnt, Aussagen über das Wesen des Islams zu treffen, über dessen grundsätzliches Verhältnis zur Gewalt, zu Frauenrechten und zur Volkssouveränität sowie zum Antisemitismus, muss auch an der Aufgabe scheitern, belastbare Definitionen für dessen radikalen Ableger zu finden.

Kandel versucht gleichwohl vier typische Grundmerkmale des Islamismus zu benennen: Dieser sei – ganz in der Tradition der einflussreichen Moslembruderschaft – eine politische Protestbewegung, aber auch ein sozialer Dienstleister mit hoher internationaler Vernetzung. Gleich an erster Stelle jedoch nennt Kandel die politisch-extremistische Herrschaftsideologie des Islamismus, die andere Religionen und Weltanschauungen grundsätzlich als minderwertig ablehnt und daher – wo immer möglich – eine politische Dominanz anstrebt. Doch ist diese aggressive antisäkulare Haltung tatsächlich auf die Vertreter des Islamismus beschränkt? Gibt es doch im Migrationsspektrum zwischen den so offenbar friedlichen und integrationswilligen Moslems sowie den Islamisten fraglos verschiedene Graustufen.

Kandel selbst spricht von einer erstaunlich hohen Zahl religiös-fundamental geprägter Moslems, die sich auf einen für absolut wahr gehaltenen sowie historisch invarianten Islam beziehen und eine rigide, wortgetreue Befolgung seiner Vorschriften auch für andere Moslems fordern. Allein in Deutschland schätzt er diese Gruppe auf 1,3 Mio. Personen. Dagegen erscheinen die rund 36.000 Anhänger der Religion des Friedens, die von den Verfassungsschutzbehörden als Islamisten eingestuft werden und in 26 verschiedenen Organisationen wie etwa der IGMG (Islamische Gemeinschaft Milli Görüs) gruppiert sind, als bloße Splitterpartei. Nach Kandels persönlicher Einschätzung böten sie noch „keinen Grund zu hysterischem Alarmismus“.

Nimmt man jedoch die Schätzungen über den Anteil der Moslems hierzulande Ernst, denen eine Affinität zum Islamismus unterstellt wird, hätte man es schon mit rund 185.000 Personen zu tun. Darüber hinaus muss noch einmal die gleiche Zahl von in Deutschland lebenden Moslems als demokratiedistant eingestuft werden. Anlass zu unbekümmerter Zufriedenheit auf Seiten der politischen Klasse liefern diese Zahlen wahrlich nicht, zumal sich der so genannte Islamismus gerade in diesen Milieus ungebremst ausbreitet und sein Personal rekrutiert. „Islamisten brauchen moslemische Milieus wie die Fische das Wasser“, schreibt Kandel plakativ und räumt damit ein, dass nur unter den hiesigen Migranten, die den Geboten ihrer Religion nachlässig oder gar nicht folgen, der Islamismus offenbar keine Bedrohung darstellt.

Gefährlich wird die Lage vor allem dadurch, dass es sich bei den Islamisten keineswegs um marginalisierte und desperate Gruppen handelt, sondern vielfach um gut organisierte und hoch gebildete Moslems, die auf ihrem Weg zum erstrebten Schariastaat in Europa durchaus andere Methoden als Terror oder Gewalt bevorzugen. Typisch für islamistische Aktivisten ist vielmehr, dass sie der offenen Konfrontation mit den europäischen Verfassungsstaaten ausweichen und geschickt deren gesetzliche Lücken zu einer quasilegalen Ausbreitung im Westen nutzen.

Kandels Studie beschreibt in ihrem Hauptteil ausführlich und systematisch die Genese des Islamismus sowie seine verschiedenen Erscheinungsformen und Strategien. Seine Auseinandersetzung mit den Auffassungen und Vorbehalten der hiesigen Gruppierungen sind gewiss eine Stärke seines Buches. Zu einer echten Anerkennung individueller Rechte scheinen demnach weder Islamisten noch fundamental orientierte Moslems bereit.

Doch eine plausible Grenze zwischen Islam und Islamismus kann Kandel nicht ziehen. Dazu hätte er vor allem aufzeigen müssen, wo sich in den koranischen Texten Aussagen finden, die den Zielen und Methoden der Islamisten klar widersprechen. Doch das dürfte nicht leicht fallen. Wie zahlreiche Beispiele in aller Welt zeigen, ist der Islamismus vielmehr eher ein natürlicher Ableger des Islams, dessen zentraler religiöser Text auf immerhin 206 Stellen zur Gewalt gegen Ungläubige aufruft. Seine dominanten Ansprüche gegenüber Frauen und Andersgläubigen, sein unbestreitbarer Antisemitismus und seine gewalttätigen Reaktionen auf kritische Äußerungen sind keine Minderheitenphänomene, sondern beinahe die logische Konsequenz einer religiös dominierten Kultur, der es immer weniger gelingt, ihre technologische Rückständigkeit mit ihrem überlieferten Überlegensheitsanspruch in Einklang zu bringen.

Die eigentlich interessante Frage kann daher nicht lauten, wie aus Moslems Islamisten werden, sondern weshalb (zum Glück) so viele noch nicht diesen klar durch ihre Ideologie vorgezeichneten Weg beschritten haben.

Titelbild

Johannes Kandel: Islamismus in Deutschland. Zwischen Panikmache und Naivität.
Herder Verlag, Freiburg im Breisgau 2011.
224 Seiten, 14,95 EUR.
ISBN-13: 9783451303999

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