Offene Zukunft

Zwei Standardwerke zu Bob Dylan in erweiterten Neuauflagen

Von André SchwarzRSS-Newsfeed neuer Artikel von André Schwarz

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Heinrich Deterings Biografie Bob Dylans, erstmals 2007 erschienen, ist die erste Wahl, wenn man sich pointiert und zugleich fundiert über Musik und Leben des Musikers informieren möchte. In chronologischer Reihenfolge nähert sich der Biograf der „Kunstfigur“ Dylan und diskutiert in dem von zahlreichen Wandlungen und Kehrtwenden geprägten Œuvre ein „Grundinventar“ von Themen, musikalischen Formen und Traditionen, die Dylan aufgreift und verarbeitet. Etwa die Beschäftigung mit dem musikalischen Erbe Amerikas, das immer wieder anklingende Outlaw-Motiv in Songs von „Only a Hobo“ (1963) über „Joey“ (1976) bis hin zu „Workingman’s Blues“ (2006), oder die „religiöse Imprägnierung“ der Songs, nicht nur in der berüchtigten christlichen Phase von 1979-1983.

Detering umgeht mit seiner Orientierung am Werk die Tücken so mancher Biografie, die sich bloß als Abfolge persönlicher Anekdoten präsentiert, und rückt dabei so manches in den Vordergrund, was dem Mainstream der Dylan-Bücher gerne mal entgeht. Dass der Soundtrack zu „Pat Garrett und Billy The Kid“ ein „verkanntes Glanzstück“ ist, beispielsweise. Endlich sagt es einmal jemand. Wer das nicht glaubt, sollte sich zur Abwechslung einmal nicht das abgenudelte „Knockin’ on Heaven’s door“ anhören, das auf dieser Platte erschien, sondern die Variationen des Titelthemas, die auch musikalisch so manche Überraschung bergen.

Detering ist beim Sichten und Ordnen des Werkes erstaunlich geduldig, selbst bei den abstrusesten Alben findet er immer noch das eine oder andere Aufblitzen eines musikalischen oder wenigstens lyrischen guten Moments. Insofern regt er selbst Dylan-Kenner zum Wiederhören der gerne mal übergangenen Platten des wandelbaren Künstlers an. Doch Detering verschließt seine Augen beziehungsweise Ohren auch nicht vor größeren Missgriffen – und scheut sich nicht, diese klar als solche so zu bezeichnen. Das 1984er-Album „Real Live“ zeigt Dylan, so Detering, als „Schatten eines Schattens“, die kommenden Veröffentlichungen von „Empire Burlesque“ (1985) über „Knocked Out Loaded“ (1986) und „Down in the Groove“ (1987) enden mit dem „künstlerischen Tiefpunkt“ und „schwächsten Album seiner Laufbahn“, dem zusammen mit Grateful Dead aufgenommenen „Dylan and the Dead“ (1987). Ein passenderen Titel hätte das Ganze auch kaum haben können. Nicht nur die einstige Hippieband, sondern auch Dylan ist zu diesem Zeitpunkt künstlerisch „tot“. Dennoch schafft er es, mit „Good as I been to you“ und „World gone wrong“ in den frühen 1990er-Jahren wieder zurückzukommen und erneut gute bis sehr gute Platten zu produzieren. Für das „Spätwerk“ findet Detering überaus lobende Worte und sieht einen Musiker, der in „eine wieder weit offene Zukunft aufbricht“.

Das schlicht „Bob Dylan“ betitelte Buch liegt seit 2009 in einer erweiterten, dritten Auflage vor. Zwei neu hinzugekommene Kapitel beschäftigen sich mit Dylan als bildendem Künstler, seiner „Theme Time Radio Hour“ und dem Album „Together Through Life“ (2009), die Bibliografie und die Diskografie wurden ebenso ergänzt.

Auch Olaf Benzinger konzentriert sich in seinem 2006 erstmals erschienenen Buch „Bob Dylan. Seine Musik und sein Leben“ auf das musikalische Werk und weniger auf die Person. Dem trägt auch der Untertitel der gerade rechtzeitig zum 70. Geburtstag erschienenen aktualisierten Neuausgabe seines Buches Rechnung, heißt es nun nur noch schlicht „Die Geschichte seiner Musik“. Anhand von Aufnahmesessions, Konzerten und einzelnen Songs geht Benzinger das Werk Dylans akribisch durch. Bisweilen mutet das etwas trocken an, auch sprachlich ist das Buch nicht immer auf der Höhe, aber der Autor schafft es dennoch immer wieder, den Blick scharfzustellen auf Entwicklungen, auf Nuancen, auf wiederkehrende Muster. Die Interpretationen und Wertungen Benzingers sind jedoch nicht immer ganz stimmig, bisweilen verliert er sich in obskuren Wertungen. Da ist ein Stück „intensiv“, zieht dann aber „unnötig an“, die Variation ist „schleppend und träge“ oder hat gar „nicht mehr als Outtake-Charakter“ (Sie ahnen es, die Rede ist von „Pat Garrett & Billy The Kid“). Doch von diesen Schwächen abgesehen ist das Buch ein gutes, ergänzendes Nachschlagewerk, die zahlreichen Fakten sind genau recherchiert und wurden in der Neuausgabe um die aktuellsten Platten inklusive der Bootlegs erweitert.

Titelbild

Heinrich Detering: Bob Dylan.
3., durchgesehene und erweiterte Auflage.
Reclam Verlag, Stuttgart 2009.
247 Seiten, 5,80 EUR.
ISBN-13: 9783150186626

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch

Titelbild

Olaf Benzinger: Bob Dylan. Die Geschichte seiner Musik.
dtv Verlag, München 2011.
359 Seiten, 12,90 EUR.
ISBN-13: 9783423346733

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