Gelungene Annäherung

Michael Endepols liefert in „Bob Dylan von A bis Z“ mehr als nur Informationen

Von H.-Georg LützenkirchenRSS-Newsfeed neuer Artikel von H.-Georg Lützenkirchen

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Unter den Büchern, die aus Anlass des 70. Geburtstages erschienen, findet sich auch ein kleiner Reclam-Band mit dem großen Titel „Bob Dylan von A bis Z“. Ein schmaler Band für Dylan von A bis Z? Wo sich doch ein eigenes Fach, die Dylanologie, dem „Song- and Danceman“ aus Duluth, Minnesota widmet? Die Ergebnisse der Dylanologen, zumeist basierend auf penibler Feldforschung, finden sich längst nicht mehr in Büchern, sondern auch in den Weiten des Internets. Ungezählt die Webseiten, auf denen das weltweite dylanologische Wissen zur Verfügung steht. Auf eine eigene „Never EndingTour“ begibt sich, wer hier anfängt, nachzuforschen. Und nun hält man diesen vergleichsweise schmalen Band von Michael Endepols in der Hand, der behauptet, das Wissen über Bob Dylan von A bis Z zu beinhalten.Wie praktisch das wäre: von A bis Z das wirklich wichtige.

Aber was ist wirklich wichtig, wenn man über Bob Dylan etwas erfahren möchte? Wie wichtig ist zum Beispiel das „Internet“. Das Stichwort fehlt, dabei aber hat doch gerade dieses Medium viel zur Aufklärung mancher Legenden über Bob Dylan beigetragen. Das betrifft zum Beispiel die berühmten „Bootlegs“. Endepol erläutert unter diesem Stichwort, welche Bedeutung die Bootleger im Falle Dylans erlangen konnten. Aufnahmen, wie etwa von der legendären Session mit The Band, die 1967 in „Big Pink“, nahe des Örtchens Woodstock, eingespielt wurden, kursierten lange Zeit nur in exklusiven Kreisen. Wer keinen Zugang zu diesen Kreisen hatte oder fand, der musste sich zufrieden geben mit dem, was ,offiziell‘ erschien. Doch konnten diese Bruchstücke nie auch nur einen annähernden Eindruck von dem verschaffen, was tatsächlich in dieser Session alles geschah. Plötzlich aber war im Internet alles verfügbar und wer es geschickt und zur rechten Zeit anfing, konnte eine nahezu vollständige digitale Sammlung all dieser bislang raren Aufnahmen aufbauen. Inzwischen ist dort vieles wieder verschwunden, dafür aber erscheinen sogenannte ,offizielle Bootlegs‘. Die „Bootleg Series“ sind nicht nur die nachgereichten autorisierten Aufnahmen, sondern enthalten wiederum auch den Bootlegern unbekanntes Material. Das ist der Stoff, aus dem Legenden entstehen.

Wenn man Endepols Buch durchblättert, wird schnell klar, dass der enzyklopädische Anspruch „von A bis Z“ eine ironische Ablenkung ist. Aber es gibt von A bis Z interessante und informative Beiträge. So etwa wenn unter dem Stichwort „Quälgeist“ die kuriose Geschichte A.J. Webermans erzählt wird, der sich selbst den „Begründer der ,Dylanologie‘“ nennt. Bekannt geworden war er, als er den Müll Dylans durchwühlte auf der Suche nach „der Wahrheit über Dylan“.

Unerwartet auch das Stichwort „DDR“. Hier findet sich die Geschichte eines ebenso typischen wie  lehrreichen Missverständnisses, das sich immer dann einstellt, wenn man mit bestimmten Erwartungen an Dylan herantritt. So wie die Veranstalter und Besucher des Konzerts in der „Hauptstadt der DDR“ am 17. September 1987. Das SED-Establishment versuchte, das Konzert propagandistisch zu nutzen, während die Konzertbesucher von Bob Dylan ein – jedoch völlig unbestimmtes – Signal der Solidarität erwarteten. Nichts dergleichen geschah – es war ein ganz normaler Auftritt. Und eben deshalb für viele enttäuschend. Als Dylan jüngst erstmals in China auftrat, gab es ähnliche Erwartungen. Dabei hätte man es wissen können: Dylan erfüllt keine Erwartungen. Aber er schafft Ereignisse, an die man sich erinnert. Und vielleicht liegt gerade darin eine Kraft, die stärker wirkt als ein schnelles und vergängliches politisches Signal.

Eben in diesem Punkt unterschied Dylan sich von Beginn an auch von „Baez, Joan“. Ihr ist der längste Eintrag in diesem Buch gewidmet. Als die beiden sich 1961 erstmals begegneten, schien das die ideale Kombination zu sein: hier die schöne Queen of Folk und an ihrer Seite der junge, noch unfertige King. Eine Konstellation, „natürlich zu schön, um dauerhaft wahr zu sein.“ Und Endepol weiß flott zu beschreiben, warum die beiden Protagonisten nicht endgültig zueinander finden konnten. Dabei spielte eben auch eine Rolle, dass Dylan, anders als Baez, nicht den Erwartungen entsprechen wollte, die ihn als Repräsentanten einer Protestgeneration sehen wollte. Dass es über dieses Trennende hinaus immer wieder auch ein Miteinander gab, beweisen die musikalischen Duette, die während der Rolling-Thunder-Revue 1975/76 entstanden. Man erlebte „zwei reife Künstler, beide Mitte dreißig, die sich ganz auf die Musik und den Gesang konzentrieren und auf den politischen Mehrwert verzichten können“. Die so entstandene Intensität der Musik bleibt hier das prägende Ereignis.

„Bob Dylan von A bis Z“ ist ein gelungener Versuch der Annäherung an Dylan. Die pointiert ausgeführten Stichworte, unter denen einige unerwartete sind, ermöglichen eine unangestrengte Beschäftigung mit dem Künstler. Und wer will, kann sich dann auch, gut ausgestattet, auf die Suche nach unzähligen dylanologischen Erkenntnisse machen.

Titelbild

Michael Endepols: Bob Dylan von A bis Z.
Reclam Verlag, Stuttgart 2011.
165 Seiten, 8,95 EUR.
ISBN-13: 9783150202258

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