Geheimnisse einer Bischöfin

Eine Bischöfin und noch ein paar andere Leute werden in Oslo und Bergen ermordet – was sie verbindet, treibt Anne Holt in ihrem Roman „Gottes Zahl“ um. Am Ende ist es ein Geheimnis

Von Walter DelabarRSS-Newsfeed neuer Artikel von Walter Delabar

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Umfangreiche Bücher leiden unter der Notwendigkeit, dass sie gefüllt werden müssen. Und das geschieht nun mal oft dadurch, dass die Autoren viele verschiedene Figuren einführen, die dann am Ende irgendwie koordiniert werden müssen. Will man den Aufwand sparen, bringt man die Mehrzahl der Startfiguren einfach um, und muss sich dann nur noch um die Begründung kümmern. Die sollten dann hinreichend gut sein, damit das Ganze als gelungen gelten kann.

Anne Holt kann das, und so beginnt „Gotteszahl“ mit der Vorstellung einer Reihe von Personen, die dann nach und nach das Zeitliche segnen. Die Verbindung zwischen ihnen – und dass es eine gibt, scheint offensichtlich – ist nicht so leicht herauszufinden. Zwar sind einige der Opfer homosexuell, aber die Bischöfin, die just an Heiligabend auf einem Gang erstochen wird, steht dieser Annahme entgegen. Denn – auch wenn es nur ein Indiz ist – ein trauernder Mann und ein nicht minder trauernder Sohn sprechen dagegen. Aber wozu gibt es Geheimnisse?

Die Ermittlungen führt ein gewisser Yngvar Stube (Super-Papa, Super-Ehemann, Super-Kommissar), unter der Hand von seiner Frau Inger Johanne unterstützt (Super-Mama, Super-Ehefrau, Super-Kriminologin), die allerdings auf einer anderen Linie (sie arbeitet an einer Studie über Hasskriminalität) und ohne sein Wissen ermittelt, als sie merkt, was alles hinter den verschiedenen Sachen, die Holt zu Anfang angerührt hat, stecken könnte.

Hasskriminalität ist das Stichwort, auf das wir anscheinend hier hören sollen. Denn große Teile des Romans werden von Inger Johanne bestritten, und entweder sie oder in ihrem Zusammenhang erhalten wir so etwas wie eine Einführung in die von irrationalen Motiven motivierte Kriminalität.

Dabei geht es nicht um Motive oder Anlässe, sondern – aus der Perspektive der Täter – um Gründe. Da die Welt sich nicht so verhält oder entwickelt, wie sie es wünschen, müssen sie dieser Lektionen erteilen und diejenigen Exemplare Mensch, die sie für lebensunwürdig halten, vom Erdboden vertilgen.

Das geht über den normalen Nachbarschaftshass hinaus – immer derselbe Kerl, der den Müll im Hausflur lagert. Oder immer dieselben, die in meine Parklücke fahren. Und schon wieder diese widerliche Musik aus dem Stockwerk unter mir. Oder: Wie laufen die denn rum?

Hier geht es – naturellement – um mehr. Um Verstöße gegen die natürliche oder dann gleich göttliche Ordnung, um die Wiederherstellung derselben und damit auch um den Platz, den jeder einzelne in einem solchen Kosmos haben wird.

Das Ganze ist in sich geschlossen und innerhalb des Denkrahmens entschieden logisch, nur sind solche Systeme eben nicht besonders tolerant, wenn es um Abweichungen geht. Mit anderen Worten: Dass die allgemeine und heilige Mutter Kirche sich heute so weit auf das weltliche System eingelassen hat und andere Glaubensformen akzeptiert, mit ihnen diskutiert, statt sie vernichten zu wollen, ist ein Übel an sich. Wie kann man einem Glauben folgen, ohne auf seiner absoluten Geltung zu bestehen?

Nun gehen im Modell Holts extreme Christen und fanatische Muslime eine Kampfgemeinschaft gegen die Weichherzigen, Bösen, vom Glauben Abgefallenen und natürlich die Perversen ein. Die Kommunisten fallen halbwegs weg seit einigen Jahrzehnten, also lieber auf andere losgehen. Dass hier Muslime und Christen zusammenarbeiten, hat wohl vor allem damit zu tun, dass der gemeinsame Feind das Normalsystem ist, in dem es sich Mitglieder aller Konfessionen und am Ende auch eben die Gottlosen bequem gemacht haben. Kämpferische Religionsgemeinschaften sind aggressiv.

Wenn man aber einmal soweit ist, dann ist es eine der schönsten Formen des Gottesdienstes, die strafende Hand Gottes zu sein. Und um eine solche strafende Hand handelt es sich hier. Solche Hasskriminalität schlägt in Norwegen allerdings lange noch nicht jene extremen Blüten, wie dies in den USA geschieht (eben, dass Muslime und Christen zusammen agieren). Wie aber kommt das Phänomen nach Norwegen? Und wieso gerade nach Norwegen und nicht in irgendein anderes Land in Europa? Es muss also eine Verbindung in die USA geben, und die herzustellen, dafür wendet Anne Holt einigen Grips auf und folgt einer dann doch heftigen und sehr konstruierten Idee.

Und so passabel die Idee auch sein mag, dem zentralen Opfer, der Bischöfin, einen Handlungsstrang beizuordnen, in dem es um ungewollte Schuld und um ein Verbrechen geht, das zum einen aus den falschen Gründen geschieht, zum zweiten eigentlich ohne wirklichen Antrieb begonnen wird und schließlich mit großem Kollateralschaden endet – im Ganzen trägt sie nicht. Dass jeder so seine Geheimnisse hat, ist ja ganz schön und lässt auch viele psychologischen Verknüpfungen zu. Aber am Ende liest sich die Geschichte wie ein großer Schmarrn, und man weiß nicht, wozu der gut sein soll.

Titelbild

Anne Holt: Gotteszahl. Kriminalroman.
Übersetzt aus dem Norwegischen von Gabriele Haefs.
Piper Verlag, München, Zürich 2010.
464 Seiten, 19,95 EUR.
ISBN-13: 9783492053952

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