Dann hörte der Mann nicht mehr auf zu schreien

Paula Fox schreibt in „Die Zigarette und andere Stories“ über einsame, verschlossene, ungetröstete Menschen

Von Georg PatzerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Georg Patzer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

„In Wirklichkeit hatte es eine Woche gedauert, in der sie sich am Ende des Tages in seiner oder ihrer Wohnung trafen, zusammen aßen, ins Kino gingen, nebeneinander im Bett lagen. Sie hatten sich nicht geliebt. Wenn sie miteinander sprachen, dann über alltägliche Dinge, und wenn sie morgens auseinandergingen, er ins Büro, sie in die Privatschule, wo sie die erste Klasse unterrichtete, hatte sie flüchtig ihre Wange an seine gedrückt. Das Leben hat seine Rhythmen, hatte er sich gesagt.“ Aber es war kein Rhythmus mehr, es war schon die Trennung. Eine schleichende, innerliche Entfremdung. Bis sie ihn einmal anschrie: „Warum sagst du nie, was du wirklich meinst? Mein Gott! Der Eiffelturm könnte auf dich drauffallen, und du würdest nicht mal reagieren!“

Danach lebt er allein, trostlos und ungetröstet: „Er wusste irgendwie, dass er lebte. Das Leben war ein unlösbares Rätsel, das von Geschwätz umschlossen war.“ Bis er sich einen Hund aus dem Tierheim holt, Grace, der ihn ein wenig aus seiner inneren Einsamkeit und Verschlossenheit herauslockt. Auch aus seinen Grübeleien über seine Vergangenheit. Und aus dem „unbestimmten Wirrwarr“ seiner Gedanken und dem „Zustand seelischer und körperlicher Taubheit“, anfallsweise unterbrochen durch eine Überspanntheit, die er „kleine Aussetzer in großen Städten“ nennt. Zum Beispiel nervt ihn ein Mann im Büro, der sich ständig seinen Bart zwirbelt, der Geruch in der U-Bahn und die Sprachschludrigkeiten von Psychiatern, Autoren und Kritikern. Dann aber wird Grace krank, er bringt sie ins Krankenhaus, geht in eine Bar und isst ein Steak, das ihn an die Handschuhe erinnert, die er trägt, wenn er mit Grace spielt. Und als er spätabends nach Hause kommt, ruft er sie wie immer, ganz in Gedanken. „Dann fiel es ihm wieder ein. ‚O Gott…‘, sagte er laut.“

Paula Fox erzählt in ihrem neuesten Buch von ängstlichen Menschen, von Männern, die plötzlich merken, dass sie verlassen wurden, nicht nur von einem geliebten Menschen oder einem geliebten Tier. Sondern vom Leben an sich. Und das oft schon seit langer, langer Zeit. Wie John, der, als Grace gestorben ist, seine Ex-Geliebte anruft und plötzlich weinen kann. Oder der Mann, der nach der Trauerfeier für seinen Sohn Curtis alles um sich herum beobachtet und registriert – das Gemüse im Laden an der Ecke, das Geschwätz des Cousins seiner Frau. Die Fragen seiner zehnjährigen Tochter Yvonne, die er schon lange nicht mehr gesehen hat, weil er sich bei den Besuchen bei seiner Frau doch immer nur mit ihr gestritten hat. Dann ging die ganze Familie ins Kino, in einen Zeichentrickfilm, wo der Mann plötzlich anfing zu schreien und nicht mehr aufhörte, weil „alles überhaupt keinen Sinn hatte“.

Melancholisch sind viele ihrer Geschichten und oft mit einem bitteren, abrupten, hammerschlagartigen Ende. Oder einem, das in der Schwebe hängenbleibt wie das Leben der Protagonisten. Wie bei John, der mit seiner Ex-Liebsten redet: „Sie standen in ihren Wohnungen, hielten sich an ihren Telefonhörern fest und versuchten, sich zu entscheiden, ob sie sich wirklich wieder sehen wollten.“ Es sind schreckliche Geschichten, eigentlich Horrorstories, wenn sie nicht so normal wären, so voller normaler stumm und stumpf gewordener Menschen, die sich selbst nicht mehr kennen und Angst davor haben, sich kennenzulernen. Und lieber über andere herziehen, wie Beverly und Gerald. Fox wirft mit diesen Geschichten (und ihren autobiografischen und essayistischen Beiträgen, die leider nicht so konzis und präzis sind) einen desillusionierten Blick auf unsere Gesellschaft, die solche gefühlsarmen, in sich selbst verlorenen Monstren für normal hält, ihr oberflächliches Gerede für Kommunikation, ihr verletzendes und selbstverletzendes Verhalten für vernünftig.

Mit einem großen Respekt, von außen und doch sehr einfühlsam erzählt Paula Fox und kommt ihren gepeinigten, trübsinnigen Gestalten damit ganz nah. Hoffnung gibt es hier eigentlich keine mehr. Aber gerade weil wir die Trauer und Verzweiflung so deutlich sehen und spüren, rückt der Wendepunkt vielleicht doch in greifbare Nähe. Manche ihrer Stories gehören zum Besten, was die amerikanische Kurzprosa zur Zeit zu bieten hat.

Titelbild

Paula Fox: Die Zigarette und andere Stories.
Übersetzt aus dem Amerikanischen von Karen Nölle und Hans-Ulrich Möhring.
Verlag C.H.Beck, München 2011.
254 Seiten, 19,95 EUR.
ISBN-13: 9783406612893

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