Die Prinzessin auf der Auster

Ehemalige Schülerinnen Christina von Brauns ehren ihre frühere Mentorin mit einem Sammelband

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Christina von Braun ist nicht nur eine der renommiertesten KulturwissenschaftlerInnen und Gender-ForscherInnen im deutschsprachigen Raum, sondern auch als Filmemacherin zu einigem Ruhm gelangt. Zudem hat sie unlängst eine sehr lesenswerte Autobiografie vorgelegt. Allerdings stießen nicht alle ihre jüngsten Publikationen auf ungeteilte Zustimmung, zumal wenn sie sich mit dem „westlichen Blick“ auf „die Muslima“ befassten. Ulrike Auga, Claudia Bruns, Dorothea Dornhof und Gabriel Jähnert haben zu Ehren der Autorin und Filmschaffenden einen Band herausgegeben, in dem sich ehemalige StudentInnen von Brauns dem vielschichtigen Themenkomplex „Geschlechter und Rassenfigurationen in Wissen, Medien und Alltag um 1900“ widmen. Erschienen ist der Band unter dem Titel „Dämonen, Vamps und Hysterikerinnen“.

Einige der Beitragenden haben sich seit ihrer Studienzeit selbst einen Namen gemacht. So etwa Astrid Deuber-Mankowsky, die in dem Band mit einem klugen Aufsatz über Friedrich Wilhelm Murnaus Stummfilm „City Girl“ vertreten ist, in dem sie die Auseinandersetzung zwischen der titelstiftenden Protagonistin und ihrem Schwiegervater, einem Bauern, als Kampf „zwischen zwei Zeiten, zwei Generationen und zwei Geschlechterordnungen“ interpretiert.

Übertroffen wird Deuber-Mankowskys Beitrag allerdings noch von Julia B. Köhnes Überlegungen zu einem weiteren Stummfilm. Gedreht hat den auch heute noch belustigenden Streifen mit dem Titel „Die Austernprinzessin“ Ernst Lubitsch. Köhne analysiert die „übertrieben-komische“ Figur der von Ossi Oswalda verkörperten Titelfigur Ossi. Als Tochter eines Amerikaners, der sich seine Millionen durch den Verkauf von Austern erwirtschaftet hat, und der demzufolge der König eines Austernimperiums ist, ist sie die Austernprinzessin. Und wenn sie schon nicht eine wirkliche Prinzessin blauen Geblüts ist, so will sie doch wenigstens einen Adeligen heiraten. Hat sie doch jüngst in der Zeitung von einem solchen Eheglück einer anderen Fabrikantentochter gelesen. Ein Kandidat hierfür ist schnell gefunden und die Verwechslungskomödie kann beginnen.

Doch ist der „satirisch-kritische“ Film weit mehr als nur das, wie Köhnes Analyse der Figur Ossi zeigt. Denn ihre „Fähigkeit, klassische Formen von Weiblichkeitsentwürfen zu repetieren und ihnen zugleich durch das Spiel mit Weiblichkeitsmustern wie dem ‚Vamp‘, der Hysterikerin oder der ‚Neuen Frau‘ zu widerstehen“, würde Judith Butler fraglos Freude bereiten. Ebenso, dass Lubitsch zahlreiche weitere „besonders rebellisch-transgressive“ Frauenfiguren geschaffen hat. So etwa die gleichfalls Ossi genannte und von Oswalda verkörperte Protagonistin in „Ich möchte kein Mann sein“ oder die von Paula Negri dargestellten Frauen in „Sumurun“ und „Die Bergkatze“, die bei Köhne zwar allesamt keine Erwähnung finden. Doch nimmt die Autorin dafür „Die Austernprinzessin“ um so genauer in den Blick und zeigt etwa anhand einer Szene, in der Ossi mithilfe einer Puppe lernen soll, ein Baby zu baden, wie „festgefahrene geschlechterspezifische Codierungen aufgedeckt und in Szene gesetzt werden“. Ossi, die „unterforderte und gelangweilte“ Mutter in spe, „verweigert die Annahme der weiblichen bzw. mütterlichen Rolle“. Nachdem sie die Puppe bei ihren ungeduldigen Badeversuchen fast ertränkt hat, feuert Ossi sie schließlich in eine Ecke und „sprengt“ so „die klassische Rollenverteilung – in Form einer quasi-naturalen Kopplung von Weiblichkeit gleich Mütterlichkeit, Intuition, Fürsorglichkeit, Altruismus und Passivität einerseits und Männlichkeit gleich Aggressivität, Subjektivität und Aktivität andererseits“.

Wie Köhne zeigt, richtet sich die „Stärke“ der Figur darüber hinaus „auf die Demontage der Geschlechterkategorie selbst“. Denn sie eignet sich nicht nur den offensiven, männlich konnotierten Blick an, sondern „begehrt“ zudem, „verhält sich lasziv“ und hat „sexuelle Gelüste“, während ihr künftiger Gemahl Prinz Nucki und der mit ihm zunächst verwechselte Josef in dem Film „als dem weiblichen Geschlecht gegenüber zurückhaltend, als indifferent bis impotent charakterisiert“ werden.

So werden im Zuge der Handlung „hegemoniale Identitätskonstruktionen“ zwar durch „eine verschlungene Geschichte vielschichtiger Verkörperungen und Maskierungen Ossis und durch ihre Position als aktiv Begehrende teilweise umgeschrieben“. Doch, so moniert Köhne, „affirmiert“ die per Eheschließung legitimierte „Vereinigung des heterosexuellen Liebespaares“ am Ende des Filmes seine im Laufe der Handlung dekonstruierte „Ausgangskonstellation, welche die Geschlechter auf klassische Weise in dichotomer, binärer Spannung zueinander anordnet“.

Nicht den Stummfilmen Lubitschs gilt das Interesse von Mitherausgeberin Dorothea Dornhof, doch nimmt auch sie „frühe Filme“ in den Blick, namentlich die in ihnen dargestellten Hysterikerinnen und Doppelgängerinnen, die von der Autorin mit dem „okkulten ‚Wissen‘ um 1900“ enggeführt werden.

Alle bisher genannten Texte finden sich in der ersten von drei Rubriken, welche die Aufsätze des vorliegenden Sammelbandes untergliedern. Sie steht unter dem Titel „Medien, Alltag und Wissen“. Zu den Beiträgerinnen der zweiten Gruppe zählen Eva Johach, die über „Jungfrauenmaschinen“ schreibt und Bettina Bock von Wülfingen, die der These von der „Krise des Individuums und seiner Heilung durch Vererbung“ auf den Grund geht. Beschlossen wird der Band von drei Aufsätzen zum Thema „Kunst und Wissen“. Ulrike Brunotte zeichnet in diesem Abschnitt den „englischen Salome-Skandal um 1900“ nach, Ute Fritsch behandelt „das Theater des Marquis de Sade“, Sabine Grenz widmet sich Stefan Zweig und Mary Baker Eddy.

In der Gesamtschau der oft erhellenden Aufsätze sticht insbesondere Köhnes Beitrag hervor.

Titelbild

Ulrike Auga / Claudia Bruns / Dorothea Dornhof / Gabriele Jähnert (Hg.): Dämonen, Vamps und Hysterikerinnen. Geschlechter- und Rassenfigurationen in Wissen, Medien und Alltag um 1900. Festschrift für Christina von Braun.
Transcript Verlag, Bielefeld 2011.
275 Seiten, 29,80 EUR.
ISBN-13: 9783837615722

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