Terror im bürgerlichen Milieu

Thomas Koebner und Fabienne Liptay haben einen Sammelband über das Werk von Michael Haneke herausgegeben

Von Andreas HudelistRSS-Newsfeed neuer Artikel von Andreas Hudelist

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Schon zu Beginn des Bandes streicht Daniela Sannwald die Vielfältigkeit von Michael Hanekes Werk heraus. Die vielen verschiedenen Genres seiner Filme belegen dies. Auf der anderen Seite kann sein Werk aber auch sehr homogen oder sogar eintönig wirken. Dafür sprechen seine spezielle Ästhetik und die in ihm wiederkehrenden Sujets.

Andreas Ungerböck thematisiert zehn Fernsehfilme des Regisseurs, wobei sich Haneke von „Sperrmüll“ (1976) distanziert, da es sich nach eigenen Angaben nicht lohne, darüber zu sprechen. Von 1974 bis 1993 beschreibt Ungerböck die Fabeln der Filme und setzt sie zum Teil zueinander in Beziehung. Dabei befasst er sich mit „… und was kommt danach“ (1974), „Drei Wege zum See“ (1976), „Lemminge Teil 1: Arkadien“ (1979), „Lemminge Teil 2: Verletzungen“ (1979), „Variation“ (1983), „Wer war Edgar Allan?“ (1985), „Fräulein“ (1986), „Nachruf für einen Mörder“ (1991) und „Die Rebellion“ (1994). Hier sind Jean-Luc Godard und Rainer Werner Fassbinder als Einfluss zu erkennen.

Einer dieser späteren Kinofilme ist „Caché“ (2005). Nach dem Erfolg seiner ersten Kinofilme erlangte Haneke in der Produktion einige Freiheiten. So konnte er die Konventionen des Genres Film brechen und erweitern. Am Anfang befremdet zum Beispiel die ungewohnt lange Eingangssequenz der Überwachungskamera mit Bildstörungen. In „Caché“ scheint der Regisseur auch ein unzuverlässiger Erzähler à la David Lynch zu sein. Kein im Film aufkommender Verdacht führt am Schluss zu einer Lösung. Vieles führt in die Irre, wodurch eine Vielstimmigkeit des Textes stark gemacht wird. Trotzdem streicht Michael André die „Herkunft des Films“ am Ende seines Textes heraus. Für ihn sind die Vertreter der „dritten Welt“ Opfer, die zur Empathie einladen. Dadurch wird der Film in seiner Qualität zwar nicht geschwächt, doch ließe dies das Genre eines „Anti-Kolonialfilm“ erkennen.

Mit Frauenbilder und -rollen beschäftigt sich Christina Tillmann, wobei sie Szenen aus „Code inconnu“ (2000), „Die Klavierspielerin“ (2001) und „Das weiße Band“ (2009) beschreibt und darüber hinaus einen bestimmten Frauentyp in Hanekes Filmen ausmacht. So sind seit „Funny Games“ (1994) die Frauenrollen alle in einem wohlsituierten bürgerlichen Milieu angesiedelt. Frauen wie Männer geben kaum positive Identifikationsfiguren vor. Im Zentrum steht meist die Ohnmächtigkeit der bürgerlichen Gesellschaft. Dafür bezeichnend stehen die Namen der Protagonisten, welche meist Ann beziehungsweise Anne und Georg oder George, bei Kindern Eva und Benny heißen. Insgesamt erscheinen die Frauen aktiver als die Männerfiguren, jedoch sind die Paare nie fähig, ihre Probleme zu lösen. Einziger Lichtblick ist die Tochter oder Mädchenfigur Eva, welche in verschiedenen Filmen die Eltern oder die Mutter unterstützt und somit einen kleinen Lichtblick darstellt, wie zum Beispiel im Film „Le temps du loup“ (2003).

In „Sehen und gesehen werden“ befasst sich Jasper Kaspers mit der „Klavierspielerin“ (2001). Darin beschreibt er die wohl größte Differenz zwischen dem Roman und der Verfilmung. Während die Schauspielerin dem Zuschauer als Objekt präsentiert wird, ist die Protagonistin im Roman eine Schauende. Im Film steht jedoch der Voyeurismus des Zuschauers im Vordergrund. Die Rezeptionshaltung wechselt zwischen Anziehung und Abstoßung. Dabei handelt es sich um ein Hauptthema Hanekes. Dieser stellt Erika Kohut im Film teilweise ‚erhaben‘ dar: Als eine Frau, die nicht Sexobjekt, sondern selbst Beobachtende ist. Der Filmzuschauer ist passiv Schauender – bis zu dem Moment, in dem Erika Kohut als Voyeuristin ertappt wird. Denn gleichzeitig wird hier durch die Kameraeinstellung auch der Zuschauer ertappt. Ihre Perspektive befindet sich immer in Schulterhöhe, wobei der Eindruck entsteht, dass der Zuschauer durch seinen Blick im Film anwesend sei.

Über den Zusammenprall von niederen Instinkten und der Hochkultur in „Funny Games“ (1997), einer Kritik an der Unterhaltung und der damit verbundenen Zerstreuung, schreibt Anke Sterneborg. Der Grund für den Terror im Film wird nicht genannt. Der Zuschauer kann demnach nur annehmen, dass keine Beweggründe für die Gewalt vorhanden sind, und die Personen sie als ‚Zeitvertreib‘ ausüben. Ihre Komplizen sind einmal mehr die Zuschauer, denen auch von den Protagonisten zugezwinkert wird. Wir sehen dem Geschehen zu und unternehmen nichts. In dem Moment in dem wir uns erleichtert fühlen, weil das Opfer auf den Täter schießt, lässt Haneke die Filminszenierung als Montage erkennen. Die Täter sind in der Lage, den Film ganz einfach zurückzuspulen und die Rache an ihnen ungeschehen zu machen. Diese Macht haben die Opfer allerdings nicht. Ursache und Wirkung sind in Hanekes Filmwelten außer Kraft gesetzt.

Im letzten Aufsatz zeigt Günter Krenn, wie wichtig das Storyboard für diesen Regisseur vor dem Dreh ist. Bevor es zum eigentlichen Filmen kommt, hat Haneke sich bereits alles ins kleinste Detail vorgedacht, -geplant und aufgezeichnet. Beim Dreh geht es schließlich nur noch darum, diese Ideen auch umzusetzen. Diesem Umstand bringen seine Mitarbeiter großen Respekt entgegen. So erklärt Christian Berger, dass eine Seite Drehbuch meist eine Minute Film ausmachen. Zu Hanekes Erfolg kommt auch dazu, dass sich sein Team im Wesentlichen von Film zu Film nicht stark verändert. So arbeitet er gerne mit der Cutterin Monika Willi, dem Kameramann Christian Berger oder dem Bühnen- und Filmausstatter Christoph Kanter zusammen.

Insgesamt werden in dem text+kritik-Band zwar nicht alle Filme von Michael Haneke besprochen, jedoch gibt er einen guten Einblick in sein Werk. Beigefügt ist noch eine Biografie und Filmografie, sodass man sich auch an den besprochenen Filmen im Gesamtwerk orientieren kann. Den Abschluss bilden Informationen zu den Autoren, welche aus verschiedenen Disziplinen stammen.

Titelbild

Thomas Koebner / Fabienne Liptay (Hg.): Film-Konzepte 21 Michael Haneke.
edition text & kritik, München 2011.
100 Seiten, 18,00 EUR.
ISBN-13: 9783869161143

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