Spaniens Himmel über Paris

Patrick Pécherots Krimi um Nestor Burma ist sehr charmant, wie es sich für einen Franzosen gehört, und sehr sehr politisch

Von Walter DelabarRSS-Newsfeed neuer Artikel von Walter Delabar

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Historische Krimis – die meisten taugen nichts, ein paar sind ganz amüsant, wenige haben mehr als nur gediegene Kost zu bieten. Und mit der Zeit will man ja mehr als nur die Widerkehr des Immergleichen, welcher Prägung auch immer.

Nun könnte man annehmen, dass ein Verlag wie Nautilus sowieso für besondere Krimis steht. Das Haus hat sich in der Vergangenheit nicht nur einen Namen mit seinem politisch links orientierten Programm gemacht. Autorinnen und Autoren wie Andrea Maria Schenkel („Tannöd“, „Kalteis“) oder Robert Brack („Blutsonntag“) haben den Verlag zu einer guten Adresse für Krimis gemacht, die auf der Basis realer Ereignisse gebaut werden: real crimes als politischer Bildungsauftrag. Patrick Pécherot schließt mit „Belleville – Barcelona“ an diese Linie an und macht das zugleich auf besonders charmante, eben französische Weise.

Aber der Reihe nach. Dass Pécherot eine Vielzahl von historischen Prominenten auftauchen lässt – vorneweg André Breton – und die Handlung zudem auf das Jahr 1938 datiert, bettet „Belleville – Barcelona“ in einen historischen Kontext ein, der bereits politisch brisant ist: die englische Appeasement-Politik, Hitler besetzt die Tschechoslowakei und Österreich, der Spanische Bürgerkrieg tobt seit zwei Jahren, nicht nur Republikaner und Faschisten schlachten sich in Spanien gegenseitig ab, auch Stalin nutzt die Gelegenheit, dass die Sowjetunion der einzige Waffenlieferant der republikanischen Seite ist.

Paris ist weit weg von diesen Ereignissen und ist doch für Spanien besonders wichtig. Denn Frankreich ist der Umschlagplatz für die republikanische Seite. Die Freiwilligen gehen von hier aus los und auch die Waffen müssen über Frankreich, um nach Spanien zu kommen.

In einem solchen Zusammenhang hat der Fall, den Nestor Burma – auch er eine historische Figur, wenn auch aus den Romanen von Léo Malet – übernimmt, einen beeindruckend privaten Charakter: Ein Herr betritt sein Büro, der ihn beauftragt, den Liebhaber (Pietro Lema) seiner Tochter (Aude Beaupréau) zu suchen, um diesen davon zu überzeugen, er möge doch die Finger von der jungen Frau lassen. Angeblich hat sich das Mädchen vom rauen Charme des Proletariers betören lassen, was der bürgerlichen Familie nun gar nicht passt.

Soweit, so plausibel. Nur dass sich alles als Fake herausstellt. Zudem verschwindet der Prolet mit einem Mal, stattdessen wird eine Leiche aus der Seine gezogen, allerdings ohne Kopf – sodass nicht auf Anhieb klar ist, wer auf diese Weise geendet ist.

Damit nicht genug: Der Auftraggeber ist nicht der Vater der jungen Frau, die echte Familie schätzt vielleicht die Verbindung zwischen Aude und Pietro nicht, aber sie hat genug Vertrauen zu ihr, dass sie sie machen lässt.

Nach und nach entpuppt sich der kleine Familienskandal als Kulisse für einen großen politischen Deal, mit dem Waffen nach Spanien geschafft werden und zugleich Stalins Interessen gewahrt bleiben sollen.

Leichen sind in diesem Spiel kein Problem. Um die Deals Stalins zu vertuschen, werden Mitwisser beseitigt. Und Mitwisser von Mitwisser sind ebenfalls gefährdet, zumal manche Leiche nur dazu dient, eine andere zu verbergen.

Das große politische Spiel also. Was aber ein bisschen zu Lasten der Kriminalhandlung geht. Zwar bewegt sich Nestor Burma mit großer Leichtigkeit in seinem Paris, kassiert die einen oder anderen Prügel. Auch hat er seine erotischen Abenteuer, wie es sich gehört. Aus der grauen Hüterin der Interessen des Chefs von Burma wird eine – natürlich leidenschaftliche und fantasievolle – Geliebte, die sogar Spezialaufträge übernimmt, was dem Chef natürlich nicht gefällt.

Sehr französisch das Ganze also, voller Ambiente mithin, das Paris der 1930er-Jahre bildet eine angenehme und reizvolle Kulisse. Alles ist ein wenig älter und schmuddeliger als wir heute die Metropolen der Welt kennen. Aber so ist man wenigstens ein bisschen näher an der französischen Lebensart.

Pécherot macht das sehr gekonnt und auf hohem Niveau. Die Patina, die er aufträgt, signalisiert eine vergangene Zeit, in der Schurken noch echte Schurken waren, Wein noch echter Wein, Kunst noch politisch und Politik auch wirklich ernsthaft betrieben wurde.

Wenn heute Politik ein Medienthema ist, ist sie in Pécherots Roman noch immer blutiger Ernst. Hier wird noch im Verborgenen agiert, hier gibt es noch echte Geheimnisse und verdeckte Strategien, die abgesichert werden müssen und entdeckt, ja vielleicht sogar entlarvt werden können. Dabei ist alles eigentlich deutlich weniger komplex als heute, wenn auch immer noch kompliziert genug. Und vielleicht ist das die Botschaft Pécherots, dass nämlich in der Gesellschaft unserer Tage Politik zwar nicht weniger blutig, aber deutlich weniger einfach zu durchschauen ist.

Titelbild

Patrick Pécherot: Belleville - Barcelona. Kriminalroman.
Übersetzt aus dem Französischen von Cornelia Wend.
Edition Nautilus, Hamburg 2011.
224 Seiten, 14,90 EUR.
ISBN-13: 9783894017354

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