„Dein Brief war hart, doch gut“

Die Briefe von Peter Weiss an seine mütterliche Freundin Henriette Itta Blumenthal

Von Beat MazenauerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Beat Mazenauer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Der junge Peter Weiss (1916-1982) war ein Glücklicher und ein Unglücklicher zugleich. Seinem Vater, einem zum Protestantismus konvertierten Juden, gelang es, in unruhiger Zeit den bürgerlichen Standard der Familie zu halten. Ende 1938  übernahm er im schwedischen Alingsås die Leitung einer Textilfabrik. Dieses Glück war zugleich eine Quelle des Unglücks für seinen Sohn. Peter Weiss strebte eine Künstlerexistenz an und versuchte sich daher von den bürgerlichen Beengungen frei zu machen. Das erwies sich als schwierig angesichts von Emigration, Verfolgung und Krieg.

In den beiden Büchern „Abschied von den Eltern“ (1960) und „Fluchtpunkt“ (1961) hat Peter Weiss  diesen biografischen Komplex verarbeitet und literarisch geklärt. Beide Bücher galten lange Zeit als autobiografisch, was sie im tieferen Sinne auch sind. Es handelt sich dabei aber auch um literarische Verwandlungen, in denen poetische Gesetze wirken, die nur peripher die tatsächlichen biografischen Fakten wiedergeben. Sie sind „Bildnisse des Autors als jungen einsamen Rebellen“, unter Aussparung von zentralen Figuren der eigenen Lebensgeschichte.

Wiederentdeckungen und -veröffentlichungen der letzten Jahre, namentlich von Briefen, haben diesen Sachverhalt bestätigt. Hermann Hesse – eine zentrale Leitfigur des puerilen Jungkünstlers Peter Weiss –, erhält in „Fluchtpunkt“ eine kleine Nebenrolle, die beiden Brieffreunde Hermann Levin Goldschmidt und Robert Jungk tauchen darin gar nicht auf. Durch Abwesenheit glänzt vor allem auch Henriette Itta Blumenthal – die mütterlich verständnisvolle wie herausfordernde Freundin, die Peter Weiss 1941 in Stockholm kennenlernte, bevor ihr im Herbst desselben Jahres die Ausreise in die USA gelang. Ihr Fehlen in der „autobiographischen“ Prosa gibt einen weiteren Hinweis darauf, wie Peter Weiss in seinen Erzählungen seine Lebensfiguren typisiert hat, mit dem Effekt, dass er für die intimsten Freunde keine solche Rolle übrig hatte. Der Briefwechsel mit Itta Blumenthal – das heißt die Briefe von Weiss, die allein überliefert sind – akzentuiert das unvollständige Bild weiter, das wir von Peter Weiss‘ früher Schaffenszeit haben. Es darf nicht vergessen werden: dieser Autor und Künstler debütierte mit den erwähnten zwei Büchern erst im Alter von 44 Jahren in der literarischen Öffentlichkeit.

Die Briefe an Itta Blumenthal sind geprägt durch ihre Intimität bezüglich Weiss‘ kompliziertem Liebesleben, das in jenen Jahren einer permanenten Krise glich – so zumindest empfand es der Autor selbst. Er fühlte sich gebeutelt von der Sehnsucht nach Liebe. Zugleich war er auch ein schüchterner, einsamer Mensch, der sich zum Künstler berufen fühlte und diesen Traum gegen alle Widerstände der Erfolglosigkeit erfüllen wollte. Letzteres bedingte jedoch eine subjektiv gefühlte Ausgrenzung aus dem Elternhaus. Die Eltern strebten für ihren ältesten Sohn pragmatische Lösungen an: also Berufslehre und solide Erwerbsarbeit. Dies konnte ihm sein Vater als Leiter einer Textilfabrik bieten. Widerwillig verdingte sich sein Sohn in der Fabrik – jeweils für Monate, um danach auszubrechen, und später zurückzukehren.

So geschah es in den Jahren 1939 bis 1941, bis zu jenem Zeitpunkt, als Peter Weiss im Herbst nach Stockholm aufbrach und nur noch zeitweilig als externer Auftragnehmer für den Vater arbeitete.

Künstlertraum und Liebe: um diese beiden Themen kreisen diese Briefe vornehmlich aus dem Jahr 1941. Weiss wehrte sich gegen eine Abkehr von seinem Lebensideal – zugleich spürend, dass er erstens künstlerisch noch nicht reif war und zweitens über kein wirklich tragfähiges Beziehungsnetz in der schwedischen Emigration verfügte. Das Resultat war eine Krise, die 1941 durch einen Brief von Itta Blumenthal hervorgerufen wurde.

„Dein Brief war hart, doch gut u vollkommen richtig“, schrieb Weiss am 20. Mai 1941, er „hat endlich der Krisis in mir zum Ausbruch verholfen“.

Um den Jahreswechsel 1940/41 hatte Weiss eine Affäre mit einer verheirateten Frau, Else Baumann-Söderström, die mit einer Schwangerschaft endete. Diese empfand er als eine unerfreuliche Angelegenheit. Zudem glaubte Weiss zu dem Zeitpunkt, die Beziehung hinter sich zu haben. Entsprechend äußerte er sich über Else in abwertenden, abweisenden Worten, die auch dadurch nicht freundlicher wurden, dass er sich selbst der „ungeheuren Verantwortungslosigkeit“ bezichtigte. Else interessierte ihn nicht weiter, wovon eine eklatante, sprachliche Fehlleistung zeugt. Itta Blumenthal warf ihm vor, „gebrauchte Frauen“ wie schmutziges Geschirr abzustellen, worauf Weiss antwortete: „Ich bin für sauberes Geschirr!!“ Die Affäre mit der verheirateten Else verrät seinerseits wenig emotionales Gespür und ebenso wenig Verantwortung. Letztere übertrug Weiss lieber an Itta Blumenthal, die mit Else von Frau zu Frau reden sollte. Auch gegenüber dem Stockholmer Freund Max Barth, der ihn brieflich für sein Verhalten abzukanzeln schien, verwahrte er sich gegen jede Schuld und bezichtigte ihn des Bruchs der Freundschaft.

Andererseits wurde bei Peter Weiss ein Prozess in Gang gesetzt, der das bereits latente Unbehagen zur Lebenskrise ausweitete. Er begann sich selbst zu befragen, bezichtigte sich der mangelnden Menschenliebe, der Kontaktunfähigkeit und Gefühlskälte. Quälende, pathetische Selbstanklagen hatte Weiss bereits früher geäußert, etwa in den Briefen an Jungk und Goldschmidt. Nun aber begab er sich in eine psychoanalytische Behandlung, um dem Konflikt auf den Grund zu gehen und den familiären Komplex aufzuarbeiten. Sie erwies sich zwar, auch wegen der Sprachprobleme in Schweden sowie ihrer Kosten, als schwierig, weswegen Weiss sie bald wieder abbrach. Immerhin war ein Prozess der Befreiung angestoßen, der ihn glauben ließ, nun selbst mit sich ins Reine kommen zu können. Im Herbst 1941 beendete er die Arbeit in der Fabrik und ging nach Stockholm, in der Hoffnung, da sein eigenes Leben zu finden. Der Weg zum bekannten, anerkannten Autor würde noch einige Stolpersteine bergen, aber er war begonnen.

Psychoanalyse und seelische Selbstbefragung sind die beiden Kernthemen, die Weiss mit zuweilen irritierendem Eigensinn in seinen Briefen an Itta zur Sprache bringt. Die Sorgen und Wünsche seiner Brieffreundin dagegen nehmen seine Aufmerksamkeit nur sporadisch in Anspruch, er selbst ist sich dessen durchaus bewusst. Ihre bevorstehende Abreise ist ihm unliebsam, nicht weil für Itta damit Gefahren einhergehen, sondern weil er eine geliebte Freundin verliert. Itta Blumenthal, wie Weiss Deutsche mit einem tschechischen Pass, war 12 Jahre älter als er. In Stockholm lernte sie Weiss 1940 im Kreise des Sozialpsychologen Max Hodann kennen, wo er hin und wieder verkehrte. Hodann schrieb er in einem Brief, dass er „völlig eingekapselt gelebt und keinerlei Verbindung mit der Außenwelt gefunden“ habe. 1941 wird Itta Blumenthal für ihn zur Ansprechpartnerin, gewissermaßen zur Beichtmutter seiner Beziehungsprobleme. Weiss sah mehr oder weniger stillschweigend darüber hinweg, dass sie vermutlich gerne eine Beziehung mit ihm eingegangen wäre.

Die insgesamt 18 Briefe sind daher vor allem in Hinsicht auf Peter Weiss‘ Biografie erhellend. Sie zeigen neue Facetten und ergänzen so die Briefwechsel mit Hesse oder Jungk und Goldschmidt, wie die Herausgeber betonen. Letzteren beiden „schreibt er weniger verbindlich, weniger persönlich und immer mit dem Willen, sein Gesicht zu wahren und Humor zu beweisen. Itta Blumenthal ist ihm näher“ – gerade weil sie ihm beispielsweise altersmäßig auch ferner war. Er hatte ihr nichts mehr zu beweisen, nachdem einmal klar gestellt war, dass ihre Beziehung platonisch bleiben würde.

Die Edition, die Angela Abmeier und Hannes Bajohr besorgt haben, zeichnet sich durch umsichtige, ausführliche Anmerkungen und ein kontextualisierendes Vorwort aus, welches auch jene Leser in die Materie einführt, die noch nicht mit dem frühen Peter Weiss vertraut sind.

Titelbild

Hannes Bajohr / Angela Abmeier (Hg.) / Peter Weiss: Peter Weiss. Briefe an Henriette Itta Blumenthal.
Matthes & Seitz Verlag, Berlin 2011.
176 Seiten, 19,90 EUR.
ISBN-13: 9783882216981

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