Wenn die Leute ihre Kippe bis zum Filter rauchen

Sue Townsends Adrian Mole erlebt „Die schweren Jahre nach 39“

Von Susanne HeimburgerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Susanne Heimburger

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Manchmal werden die Figuren von Jugendbuchklassikern nie erwachsen. Die berühmten „drei ???“ Justus, Peter und Bob zum Beispiel gehen bereits seit den 1960er-Jahren ihren detektivischen Ermittlungen nach und müssten rein rechnerisch gesehen allmählich Herren im gesetzten Alter sein. Dem ist nicht so: Zwar haben sie mittlerweile den Führerschein, aber ihr Alter nimmt deutlich unterproportional zum Verlauf der Jahre und zum Alter ihrer treuen Fans zu.

Anders ist es bei Adrian Mole, dem Protagonisten aus Sue Townsends Tagebuchromanen, der sozusagen in Echtzeit mit seinen Lesern altert, seitdem 1982 in Großbritannien der erste Band seiner fiktiven Tagebücher unter dem Titel „The secret diaries of Adrian Mole, aged 13 ¾“ (deutsch: „Das Intimleben des Adrian Mole“) erschienen ist. Adrian hat einen kompletten Lebenslauf, der sich rechnerisch nachvollziehen lässt (wenn man von kleineren Kalkulationsfehlern absieht, die findige Leser nachgewiesen haben möchten). Im aktuellen achten Band befinden wir uns im Jahr 2007/8 und da Adrian am 2. April 1967 geboren wurde, erlebt er nun also „Die schweren Jahre nach 39“.

Wir erinnern uns an den ersten und wohl auch bekanntesten Band: Adrian ist ein typischer Teenager mit typischen Teenagerproblemen. Er wächst im Arbeitermilieu von Leicester auf, und fühlt sich doch irgendwie schon immer als (natürlich missverstandener) Intellektueller. Er ist nicht nur Büchernarr, sondern glaubt sogar fest daran, dass er zum Schriftsteller berufen ist, weshalb er auch den Sender „Radio Four“ immer wieder mit seinen Gedichten nervt. Seine Tagebucheinträge dokumentieren die Wirrungen des Erwachsenwerdens, vom Kampf gegen hartnäckige Pickel bis hin zu den Freuden und Leiden der ersten großen Liebe. Und als wäre das alles nicht schon schlimm genug, sind da auch noch seine Eltern mit ihren ständigen Eheproblemen. Das ist das Material, aus dem Townsend gekonnt eines der komischsten Jugendbücher gebastelt hat, die es gibt.

Und das ist aus Adrian im vorliegenden achten Band geworden: Er ist immer noch der Mister Everyman, in dem sich die Leser wiederfinden können und der trotz seiner Exzentrizität viel Identifikationspotenzial bietet. Von den Teenagersorgen hat er sich inzwischen natürlich weitgehend emanzipiert, aber die Art und Weise, sein Leben in Tagebuchform zu schildern, die Absurdität des Alltags, ist die gleiche. (Wie kommt es zum Beispiel, dass Blinde zu ihrer Bettwäsche farblich passende Gardinen brauchen?) Der Kontrast zwischen dem feinsinnig-intellektuellen Bücherwurm und seiner mehr oder weniger prolligen Umgebung in Leicester ist immer noch eine Quelle für Komik. Adrian versucht sich weiterhin – natürlich erfolglos – als Schriftsteller und schreibt diesmal an einem äußerst ambitionierten mittelalterlichen Stück mit 60 Rollen, für das sogar Hunde und Hühner als Statisten trainiert werden müssen. Er ist zum zweiten Mal verheiratet, Vater zweier Kinder und arbeitet in einem Antiquariat. In einem zu einem Wohnhaus umgebauten Schweinestall lebt er nun Wand an Wand mit seinen Eltern, die auch im hohen Alter noch Probleme damit haben, ihr Leben in den Griff zu bekommen. Und natürlich hat auch seine Jugendliebe Pandora immer noch einen Platz in Adrians Tagebuch und Herzen.

Townsend geht also nach allbewährtem Rezept vor, und dennoch hat man das Gefühl, dass dieser Band etwas anders ist als die anderen, etwas ernster, denn es hagelt diesmal nur so an Schicksalsschlägen: Adrians Frau ist todunglücklich und entfremdet sich zusehends von ihm, sein Vater ist aufgrund eines Schlaganfalls an den Rollstuhl gefesselt, sein Chef Mr. Carlton Hayes wird immer gebrechlicher und muss seinen Buchladen aufgeben. Selbst vor dem Blindenhund von Adrians bestem Freund Nigel macht das Unheil nicht halt, stirbt dieser doch einsam und zunächst unbemerkt in seinem Hundekörbchen. Das Schlimmste aber ist, dass Adrian schwer an Prostatakrebs erkrankt ist und sich einer Reihe äußerst unangenehmer Untersuchungen und Therapien unterziehen muss, das erste Mal in seinem Leben also Todesangst erfährt. Das färbt natürlich seinen Blick auf die Dinge. Man kann es nicht anders sagen: Es geht irgendwie alles den Bach runter.

„Wenn die Leute anfangen, ihre Kippe bis zum Filter runterzurauchen, weiß man, dass das Land in finanziellen Schwierigkeiten steckt“ – so Adrians Mutter in einem ihrer scharfsinnigen Momente. Ja, es sind tatsächlich schwere Jahre, und zwar für alle, sogar für die ganze Nation. Townsends Tagebücher bewegen sich nicht in einem zeitlosen Raum, sondern nehmen immer wieder auf aktuelle soziale Ereignisse Bezug. Fingen die ersten Bände etwa noch den Zeitgeist der Thatcher-Ära ein, so kommt im aktuellen Band die Wirtschaftskrise ebenso vor wie die Einführung des Rauchverbots, das Adrians kettenrauchenden Eltern besonders zu schaffen macht. Auch der Afghanistankrieg ist in vollem Gange und Adrian muss täglich um seinen Sohn Glen bangen, der dort als Soldat beständigen Gefahren ausgesetzt ist.

Das klingt nun alles nicht sehr amüsant, aber dennoch schafft Sue Townsend den Spagat zwischen der Behandlung ernster Themen, vor allem der Krebserkrankung des Protagonisten, und der humorvollen Alltagsbeobachtung. Townsend rutscht aber nie ins Bissige oder etwa in den schwarzen Humor ab, denn obwohl man als Leser über die Personen und nicht mit ihnen lacht, fühlt man irgendwie Mitleid. Die Figuren sind einfach zu schrullig, als dass man sie nicht mögen könnte – sozusagen eine ganze Freakshow zum Liebhaben, vom Rote-Beete-Saft produzierenden Schwiegervater bis hin zur Postangestellten mit pseudoliterarischen Ambitionen. Leider ist Humor oft schwer in eine andere Sprache übertragbar und so kommt auch die Übersetzung von Astrid Finke, obwohl solide, nicht ganz an das englische Original heran. Spaß macht die Lektüre trotzdem und man ist gespannt darauf, mit was sich der tragische Held Adrian Mole im nächsten Band herumschlagen muss.

Titelbild

Sue Townsend: Die Tagebücher des Adrian Mole. Die schweren Jahre nach 39.
Übersetzt aus dem Englischen von Astrid Finke.
edition TIAMAT, Berlin 2011.
383 Seiten, 18,00 EUR.
ISBN-13: 9783893201501

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