Pervers, queer und quer

Franziska Rauchut stellt Überlegungen zur Queer Theory im deutschsprachigen Raum an

Von Ulrike KochRSS-Newsfeed neuer Artikel von Ulrike Koch

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Pervers, queer, queer, quer – die deutschsprachige Debatte um Queer Theory hat schon viele Namen zum Vorschein gebracht. Einen Überblick über diese Diskussion liefert die publizierte Magistraarbeit der Kulturwissenschaftlerin Franziska Rauchut. Sie geht der Frage nach, ob der Begriff queer in der deutschsprachigen Forschung an politischer Schlagkraft verloren hat und wie sich die derzeitige Forschungslage darbietet.

Der aus den USA stammende Begriff queer ist eigentlich ein homophobes Schimpfwort, der von lesbischen /schwulen AktivistInnen zu einer positiven Selbstbezeichnung umgedeutet wurde. Die genaue Bedeutung des Begriffs queer ist nicht festgelegt und wird auch bewusst offen gelassen, um keine Ausschlüsse zu produzieren. Das impliziert jedoch, dass in jeder neuen Forschungsarbeit der Begriff neu ausgehandelt werden muss. Dies ist vor allem für die deutschsprachige Forschung von Relevanz, da diese zu Beginn der Forschungstätigkeit in den 1990er-Jahren den Begriff unhinterfragt übernommen hat. Die Reflexion darüber führte zu einer breiten Diskussion, die nach Übersetzungen und äquivalenten Bezeichnungen sucht. Rauchut spürt in ihrem Überblickswerk dieser Reflexion nach und bietet damit einen recht umfassenden Überblick über die deutschsprachige Diskussion der Queer Theory und ihren Bemühungen, der US-amerikanischen Forschung zu folgen.

Der sprachphilosophische und kulturwissenschaftliche Fokus, den Rauchut in ihrer Studie folgt, erlaubt eine genaue Analyse des Begriffs queer anhand der Sprechakttheorie John L. Austins und deren Weiterentwicklung durch Jacques Derrida und Judith Butler. Rauchut zeigt deutlich, wie sich Sprache verändern kann, welche subversiven Möglichkeiten und auch über welche Macht das gesprochene oder geschriebene Wort verfügt. Sie liefert zudem eine Genealogie der Queer Theory anhand der wichtigsten Publikationen und deren Rezeption. Zu kurz kommen leider die queer-politischen Aktionen, die die Theorie des queeren Diskurses direkt in die Gesellschaft tragen und so dafür sorgen, dass Queer Theory nicht im Elfenbeinturm der Forschung verhaftet bleibt. Schlussendlich spürt Rauchut die Rezeption der Queer Theory in der Bundesrepublik Deutschland nach, wobei ihr auch kleine Ausflüge in die Schweiz und Österreich gelingen.

Die rege Diskussion im deutschsprachigen Raum über den Begriff queer fällt leider ein wenig verkürzt aus. Rauchut konzentriert sich stärker auf Forschungsbereiche, die jeweils von ein oder zwei ForscherInnen im deutschsprachigen Raum betrieben werden. Diese subjektive Auswahl wird der derzeitigen Forschung nicht gerecht. Hinweise auf andere Forschungstätigkeiten, wie zum Beispiel das Forschungszentrum für Homosexualität und Literatur in Siegen, werden nur angeschnitten. Zu kurz kommt auch das aktivistische Potential der Queer Theory im deutschsprachigen Raum, zu der Rauchut nur Schlagworte wie Queeruption und Queerfemta liefert, beides Konferenzen mit aktivistischen Schwerpunkten.

Die an sich sehr reflektierte Arbeit übersieht zudem, dass die Rezeption von Judith Butler hauptsächlich im deutschsprachigen Raum betrieben wird und beleuchtet unreflektiert deren Positionen, ohne wirklich tief auf andere ForscherInnen wie Annamarie Jagose oder Eve Kosofsky Sedgwick, die beide wesentlich an der Etablierung der Queer Theory beteiligt sind /waren, einzugehen. Kritisch an der Butler-Dominanz ist zudem zu bemerken, dass ihre Werke nicht im Original wiedergegeben werden und dass obwohl gerade die Übersetzung der ersten rege rezipierten Werke „Gender Trouble“ und „Bodies that matter“ inzwischen eine äußerst kritische Betrachtung erfahren.

Rauchuts Werk ist vor allem für ForscherInnen zu empfehlen, die mehr über die Entstehung des Begriffs queer wissen möchten und nach einer kritischen Genealogie des Begriffs suchen. Für die genauere Betrachtung der Queer Theory im deutschsprachigen Raum empfiehlt es sich jedoch eigene Überlegungen anzustellen und Rauchuts Magistraarbeit als Basis dafür zu verwenden.

Titelbild

Franziska Rauchut: Wie queer ist Queer? Sprachphilosophische Reflexionen zur deutschsprachigen akademischen "Queer"-Debatte.
Ulrike Helmer Verlag, Königstein 2008.
147 Seiten, 14,90 EUR.
ISBN-13: 9783897412538

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