Im Bann der Kultleidenschaften

Botho Strauß setzt mit "Das Partikular" seine konservative Linie fort

Von Oliver van EssenbergRSS-Newsfeed neuer Artikel von Oliver van Essenberg

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Botho Strauß und der Rechtsintellektualismus - das ist die Geschichte einer langen, intensiven und widersprüchlichen Beziehung. In der öffentlichen Diskussion wird dieses Verhältnis seit der Etablierung einer Neuen Rechten Anfang der 80er Jahre kritisch beobachtet. Und das auch mit gutem Grund. Strauß' Prosa ist wie bei kaum einem anderen namhaften Schriftsteller auf komplexe Weise mit dem Diskurs der Neuen Rechten verknüpft, allerdings - das muss man zu seiner Verteidigung sagen - nicht in der Art eines politischen Manifestes, sondern auf essayistischen Wegen, auf Umwegen also.

Meistens belässt es Strauß dabei, Themen der Neuen Rechten wie Religion, Nation, Fremde oder Schicksal anzudenken. So auch wieder in seinem Prosaband "Das Partikular". Auf explizite Ressentiments gegenüber den angeblichen geistigen Verwüstungen, die die 68er-Generation angerichtet hat, verzichtet er völlig. Seine fauchenden Ressentiments waren es hier, die ihm teilweise vernichtende Kritik einbrachten. Eindeutige Querverbindungen zur Rechten sind im Unterschied zu den vorangegangenen Texten nur schwer aufzufinden.

Einem Vergleich können schon bekannte Motive aus älteren Texten dienen. Ein solches ständig wiederkehrendes Motiv ist der religiös verbrämte "Opfertod". Zwei Mitglieder einer koptischen Gemeinde, so berichtet eine Ich-Figur des "Partikular", betreten einen Dachgarten, auf dem eine Frau nacktbadet. Sie vergewaltigen die Frau und zwingen sie, sich vom Dachgarten zu stürzen. Ihr gelingt es jedoch, sich an einem Fernsehkabel festzuhalten, bis sie von Hausbewohnern gerettet wird. Beide Männer, erfahren wir, waren nachts über einen Spruch Ephraims des Syrers derart ins Taumeln geraten, dass sie noch am frühen Morgen in ihrem Zimmer heftig debattierten. "Die Gedanken, die sie austauschten, wurden immer tiefer und rauschhafter, Größe und Schönheit des Gedachten versetzten sie schließlich in eine Stimmung von äußerster Verwegenheit. [...] Gierig atmeten sie den Duft der Schrift und das Morgenlicht der Mystiker - und setzten dennoch alles um in Bosheit und Schande. [...] Denn so heißt es im Vierten Buch Esdra. Ein Körnchen bösen Samens war von Anfang an in Adams Herz gesät. Und damit erfindet unsere Paradiestheologie ein erstes Muster für positive Rückkopplung, die der Verstärkung des Bösen dient. Geboren-erschaffen wurde der Mensch, um versucht zu werden."

Anstößig ist nicht nur die Tatsache, dass der Mordversuch euphemistisch auf "ein Körnchen bösen Samens" zurückgeführt wird. Bedenklich ist zudem das ins Sakrale stilisierte Menschenverhängnis. Der Mensch, auch der Mensch als autonom gedachtes Konzept, ist einer ewigen "Erbsünde" unterworfen. Die Vertreibung aus dem Paradies ist Schuld und Schicksal zugleich. Innerhalb der politischen Geographie Alteuropas lässt sich diese Position tatsächlich als "rechts" etikettieren, als Rückwendung zu altkirchlicher Religiosität und übergreifenden hierarchischen Bindungen.

Die Einordnung nach der traditionellen links/rechts-Dichotomie setzt sich freilich der Gefahr aus, ein poetisches Bild für bare Münze zu nehmen. Bei der Geschichte handelt es sich, wie die Erzählerin betont, um ein "Gleichnis". Strauß lässt eine literarische Figur sprechen, die einen direkten Rückschluss auf die Person des Autors verbietet. Aufschluss über die Position des Autors in dieser Hinsicht gibt der vielzitierte Essay "Anschwellender Bocksgesang". Ganz im Sinn des vergleichenden Literaturwissenschaftlers und Anthropologen René Girard heißt es da: "Jeder große Haß ist altertümlich und bezieht Nahrung aus primordialen Depots. Rassismus und Fremdenfeindlichkeit sind gefallene Kultleidenschaften, die urprünglich einen sakralen, ordnungsstiftenden Sinn hatten."

Man muss die Szene aus "Das Partikular" nicht so wie Strauß deuten. Er legt diese Lesart jedoch als eine besonders sinnvolle nahe. Der Opferakt entsteht, wie Girard annimmt, aus einem mimetischen Konflikt. Jeder ahmt demnach das Begehren des anderen nach, woraus unweigerlich Gewalt entsteht. In radikaler Schärfe stellt sich das Problem vor allem dann, wenn Imitationsverbote fallen, die durch die Differenzierung in Schichten und Ethnien aufrecht erhalten wurden. Die Aufklärung stößt diesen Wandel an, die Entstehung einer an Kosten-Nutzen-Relationen orientierten freien Geldwirtschaft scheint die Imitation zu universellen Gesetz zu erheben und damit die westliche Gesellschaft zu verwüsten. Das Sündenregister ist lang. "Das Kapital kommt allemal besser mit dem Chaos zurecht als mit strenger Ordnung, besser mit der Verschwendung als mit Bescheidenheit, besser mit der Masse als mit der Elite, mit der Ausschweifung als mit der Keuschheit. Das Kapital verzehrt die Freiheit der Menschen genauso wie ihre Erdgüter," klagt die bereits erwähnte Erzählerin in "Das Partikular".

Was sich wie das Repertoire eines Traditionssozialisten anhört, stammt aus dem Mund einer im Grunde erzkonservativen Person, die weiß, dass die Entwicklung nicht umkehrbar ist. "Wir [...], aufgewachsen in einem Land unter der Zukunftslüge, wir haben gelernt, den bittersten Ekel zu empfinden vor den Worten der Erwartung, vor all diesen Haltungen der Zukunft zugewandt. [...] Wir werden nicht den geringsten Nerv mehr besitzen für Verheißenes und Gepriesenes hienieden. Was uns fehlt, steht nicht bevor. Es war. Es ging verloren. Doch unsere Erinnerung sucht nichts wiederherzustellen, sie erstrebt lediglich den suggestivsten, gelüstigsten, reinsten Zustand ihrer selbst."

Nicht optimale Bedürfnisbefriedigung, sondern Bedürfnisverzicht, das Unerreichbare vor Augen, nach dem sich die Person schmachtend verzehrt, gilt es zu erreichen. Bekannt ist diese Position aus der politischen Romantik. Strauß thematisiert sie in unzähligen Variationen. Daher auch immer die Hochschätzung vor der Scheu, dem Tabu, das im transzendentalen Bewusstsein des eigenen Todes seinen Höhepunkt findet. Die imaginäre Restitution des Tabus betreibt Strauß in dem Gedicht "Hüte-die-Fährte": "Das Paradies der Verbote,/ dem wir die Exerzitien unserer Lust verdanken,/ ein Zimmer Licht,/wenn alle Türen offenstehen/ und Diebe göttliche Ziegen ins Haus treiben./ Ein Ort der Lüste - eine zeitlose Luftspiegelung,/ die allmählich mit dem heraufziehenden Schimmer/unseres Todes verschmilzt."

Der Text bietet ein Glücksversprechen, das in romantischer Tradition altkonservative Werte in die Literatur hineinkopiert. Dieses Vorgehen ist allerdings nicht schon deswegen harmlos für die Politik, weil es ja nur um Literatur geht. Die Literatur kann im Gegenteil gerade zur gefährlichsten politischen Option werden, weil sie sich gegen die bestehende Politik im Ganzen wendet.

Titelbild

Botho Strauß: Das Partikular.
Carl Hanser Verlag, München 2000.
200 Seiten, 18,40 EUR.
ISBN-10: 3446198865

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch