Drogen, Sex und Literatur

William S. Burroughs’ „Naked Lunch“ wurde in der ursprünglichen Fassung neu herausgegeben

Von Andreas HudelistRSS-Newsfeed neuer Artikel von Andreas Hudelist

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Wer sich mit der Literatur der Beatniks auseinandersetzen möchte, kommt an drei Texten nicht vorbei: Allen Ginsbergs „Howl“, Jack Kerouacs „On the Road“ und zu guter Letzt William S. Burroughs „Naked Lunch“. Nachdem im Jahr 1990 Robert Wilson mit Tom Waits und Burroughs das Musiktheaterstück „The Black Rider“ realisierte und ein Jahr darauf die Verfilmung von „Naked Lunch“ von David Cronenberg in die Kinos kam, steht zur Zeit Beatnikliteratur in Hollywood hoch im Kurs. So wurde 2010 „Howl“ mit James Franco in der Hauptrolle von Rob Epstein und Jeffrey Friedman verfilmt. Im gleichen Jahr entstand die Dokumentation „William S. Burroughs: A Man Within“ von Yony Leyser, zu der Kerouac die Buchvorlage schrieb. Und auch „On the Road“ soll 2011/2012 von Walter Salles auf Zelluloid erscheinen. Es mag also kaum überraschen, dass auch im deutschsprachigen Raum eine Nachfrage nach maßgeblichen Texten der Beatniks besteht und eine Neuauflage von „Naked Lunch“ in der ursprünglichen Fassung nun in der zweiten Auflage erscheint.

Bereits auf der ersten Seite wird man in den literarischen Kosmos Burroughs hineingezogen. Grund dafür ist sicherlich die Tatsache, dass der Text nie in der vorzufindenden Fassung geplant war. „Naked Lunch“ ging weder ein Konzept noch ein Plan voraus. Der Druck ist Maurice Girodias zu verdanken, welcher Burroughs mitteilte, dass er innerhalb von zwei Wochen ein druckfertiges Manuskript benötige. Der Autor ließ diese Möglichkeit nicht aus und so erschien 1959 eine erste Ausgabe bei Olympia Press in Paris. Obwohl sich der Verlag eigentlich auf erotische Literatur spezialisieren wollte, war er auch Anlaufstelle für Autoren wie Samuel Beckett, Vladimir Nabokov oder Jean Genet. Seit 1959 gab es verschiedene Ausgaben, welche unterschiedliche Kapitelfolgen und Textpassagen beinhalten. Eine narrative Struktur war nie erwünscht. So erklärt sich auch der sprachliche Sog, welcher durch die Struktur des Textes verstärkt wird.

Motive aus Burroughs Werk zeigen sich auf jeder Seite: „Ich kann spüren, dass die Bullen mir auf die Pelle rücken, spüre, wie sie da draußen ihre Maßnahmen treffen, ihre Teufelspuppen-Spitzel in Stellung bringen, sich einen Reim machen auf Löffel und Tropfer, die ich in der U-Bahn-Station Washington Square wegwerfe, springe über das Drehkreuz und zwei Etagen die eisernen Treppen hinab, um den A-Train nach Uptown zu bekommen“. Die Verfolgung taucht in vielen Texten auf, so auch in der Textsammlung „Interzone“. In „Naked Lunch“ bewegt sich der Protagonist unter dem Einfluss von Drogen zwischen dem, was man Realität nennen kann und der Interzone, einer surrealistischen Welt, in die man durch Drogen, aber auch mittels wissenschaftlicher Testversuche des Staates, gelangen kann.

Ursprünglich war „Naked Lunch“ als Trilogie geplant. Die drei Texte sollten neben „Naked Lunch“ noch „Junkie“ und „Queer“ heißen. Auf Ginsbergs Drängen ließ Burroughs jedoch die Idee einer Trilogie fallen und verknüpfte mehrere – im Sinne der Cut-up Methode – vorgefertigte Texte zu „Naked Lunch“. Textpassagen, welche er nicht verwenden wollte, fügte er später in die sogenannte Nova-Trilogie („The Soft Machine“, „The Ticket That Exploded“ und „Nova-Express“) ein. Hier kann man erkennen, dass kein Buch abgeschlossen ist. Nicht nur die Themen, sondern auch einzelne Textpassagen tauchen in anderen Werken wieder auf. So entstand auch „Dead Fingers Talk“, ein Text, welcher aus Teilen von „Naked Lunch“, „The Soft Machine“ und „The Ticket That Exploded“ collagiert wurde, jedoch durch die neue Anordnung eine andere narrative Struktur anbietet. Im vorangegangenen Zitat zeigt sich bereits die Thematik der Verfolgung durch die Polizei, welche in „Nova Express“ wieder aufgenommen und mit einer ausgiebigeren Anwendung des Cut-ups verstärkt wird. Immer wieder schreibt Burroughs über den Rausch der Drogen, Verfolgungen durch den Staat und Homosexualität. Gerne wird darauf verwiesen, dass er selbst rauschgiftsüchtig und homosexuell war. Sicherlich ergibt sich daraus eine gewisse Affinität zu bestimmten Themen, jedoch zeigt sein Werk die umfassende wissenschaftliche Recherche über Drogen, die Auseinandersetzung mit seiner Sexualität und der konservativen Gesellschaft, in der er lebte. So sind seine Texte nicht nur biografisch zu verstehen, sondern Artefakte ihrer Zeit.

Musikalisch orientiert sich Burroughs‘ Schreiben am Jazz. Für ihn gibt es keinen starren Satz. Sprache versteht er als Struktur, welche in geschriebenen Sätzen wiederholt veränderbar ist. Aus den Buchstaben schöpft Burroughs sein Material, welches er in Reihe und Abfolge bringt. Dabei kann jeder Text neu arrangiert werden und dadurch ein neuer entstehen. Vielleicht arbeitete er deshalb auch gerne mit anderen Autoren zusammen. Selten schrieb er einen Text alleine, sondern fügte aus anderen bereits vorhandenen Texten etwas ein und gab vieles an seine Freunde weiter, deren Vorschläge er oft großzügig einbaute oder einbauen ließ. Von dieser Schreibpraxis zeugt auch das erste Buch „And the Hippos Were Boiled in Their Tanks“, welches er im Jahr 1945 gemeinsam mit Kerouac verfasst hat. Dabei schrieb jeder abwechselnd ein Kapitel, was den anderen motivierte und beim Schreiben vorantrieb.

Das vorliegende Buch geht nicht nur dem Versuch nach, eine ursprüngliche Fassung darzustellen, indem die Herausgeber James Grauerholz und Barry Miles den ersten publizierten Ausgaben nachspüren und somit ein Bild der gesamten Schriftstücke zu „Naked Lunch“ zusammenzufassen, sondern bietet mit zusätzlichem Material eine passende Einführung in das Buch, aber auch in das Werk von Burroughs. Das von den Herausgebern verfasste Nachwort erklärt die Textgenese und beschreibt die Schwierigkeiten der Publikation.

Titelbild

William S. Burroughs: Naked Lunch. Die ursprüngliche Fassung.
Herausgegeben von James Grauerholz und Barry Miles.
Übersetzt aus dem Englischen von Michael Kellner.
Nagel & Kimche Verlag, Zürich 2009.
380 Seiten, 24,90 EUR.
ISBN-13: 9783312004270

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch