Jüdisches Brandenburg – seine historischen Wurzeln und der Untergang in der NS-Zeit

Regionalstudien zu Aspekten der Landesgeschichte

Von Kurt SchildeRSS-Newsfeed neuer Artikel von Kurt Schilde

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die Erforschung der jüdischen Geschichte im Bundesland Brandenburg hat eigentlich erst 1989/90 begonnen. Mit dem informativen Sammelband „Wegweiser durch das jüdische Brandenburg“ – herausgegeben von Irene Diekmann und Julius H. Schoeps (Berlin 1995) – und dem von Frau Diekmann edierten Buch „Jüdisches Brandenburg“ (Berlin 2008) haben der Direktor und (seit 2006) die stellvertretende Direktorin des Moses Mendelssohn Zentrums für europäisch-jüdische Studien Pionierarbeit geleistet. Ergänzt mit der Veröffentlichung von Monika Nakath über die Verfolgung der jüdischen Minderheitsbevölkerung im Spiegel von Finanzamtsakten aus dem Brandenburgischen Landeshauptarchiv (Aktenkundig: „Jude!“, Berlin 2010) bestehen wichtige Grundlagen der Geschichte des jüdischen Brandenburgs.

Hier soll auf weitere, die genannten Titel ergänzende und das Wissen ausfächernde Publikationen hingewiesen werden. Zunächst ist auf die erstmalige umfassende Untersuchung der Geschichte der Judenverfolgung in Brandenburg durch die Historikerin Edda Weiß hinzuweisen. Ihre 2002 abgeschlossene und im Jahr darauf veröffentlichte Dissertation ist leider bisher nicht rezipiert worden. In ihrem umfänglichen Werk geht die Autorin – soweit es die von ihr ermittelten Quellen erlaubt haben – auf die Lage der jüdischen Bevölkerung in der früheren Provinz Brandenburg und die Phasen der Verfolgung zwischen dem Beginn der staatlichen antijüdischen Politik 1933 bis zur letzten Phase – dem Holocaust – ein. Diese Fallstudie präsentiert eine Fülle von Beispielen für antijüdische Repressionen – Berufsverbote, Boykotte, Diffamierungen und Denunziationen – und Verdrängungen. Die Studie berücksichtigt die bürokratische Form der Verfolgung und schließt eine regionalgeschichtliche Lücke. Eine wesentliche Besonderheit des jüdischen Lebens in Brandenburg ist die Tatsache, dass die Provinz beziehungsweise das heutige Bundesland das Umland der Reichshauptstadt bildet.

Die Darstellung beginnt mit einem Überblick über die Entwicklung der jüdischen Bevölkerungsminderheit, die Geschichte der jüdischen Gemeinden und das jüdische Vereinswesen bis 1933. Weiß geht auf die Verfolgungsmaßnahmen – Aprilboykott 1933 und die ersten Berufsverbote – sowie besondere Zielgruppen der Verfolgung ein: Ärzteschaft, Markt-, Groß- und Einzelhandel sowie die „Großstadtjuden“ in der Provinz: Kur- und Sommergäste und Bewohner von Erholungs-, Kinder- und Jugendheimen (oft aus Berlin) sowie Grundbesitzer und Wohnungsinhaber. Sie informiert über die weiteren Verfolgungsschritte: die Nürnberger Gesetze (1935), den Fortgang der antijüdischen Politik bis zu den Novemberpogromen 1938 und abschließend die Entwicklung im Zweiten Weltkrieg und die letzte Phase der Verfolgung: Zwangsarbeit, Ghettoisierung und die Deportationen in den Tod.

Oft haben sich die Ereignisse in Brandenburg nicht oder wenig von den Verfolgungsmaßnahmen auf Reichsebene oder in anderen Regionen unterschieden. Als eine bemerkenswerte Besonderheit stellt Weiß die mehrfach nachgewiesene gegenseitige Dynamisierung der Verfolgungen zwischen der NS-Basis in den Brandenburger Städten und Dörfern und den staatlichen Maßnahmen heraus. Sie ist auf eine große Anzahl von Einzelfällen eingegangen und demonstriert die Vielfalt der Repressionen. Durch viele bisher unbekannte Quellen hat sie das Leben der Verfolgten ebenso sichtbar werden lassen wie die Denunziationen durch die Mehrheitsbevölkerung, die Geschichte von NS-Verbrechen und die Beteiligung der nazifizierten Kommunal- und Provinzbehörden an der Verfolgung.

Der Autorin ist ein transparentes und exemplarisches Bild der Judenverfolgung in Brandenburg gelungen. Tatsächlich ist dem Buch jedoch bis heute die notwendige Bekanntheit versagt geblieben, da es nur in einem kleinen Verlag herausgekommen ist, dessen Werbemöglichkeiten offenbar begrenzt sind. Dennoch werden zukünftige Forschungen auf die Recherchen von Edda Weiß zurückgreifen müssen und dort viele Anregungen und Hinweise finden.

Viele interessante und informative Beiträge zur jüdischen Geschichte der Niederlausitz präsentiert die von Rainer Ernst (Leiter des Kreismuseums Finsterwalde) herausgegebene Jahresschrift des Kreismuseums „Gestern sind wir hier gut angekommen.“ Für diese Schrift hat die aus Finsterwalde stammende Inge Deutschkron ein Grußwort beigesteuert, in dem sie die Verdienste der Autorinnen und Autoren hervorhebt, „in ihren Beiträgen den Versuch zu unternehmen, nachzuvollziehen, wie aus Nachbarn mit einer anderen Religion Opfer wurden …“. Die Texte stammen von Historikerinnen und Historikern sowie historisch Interessierten aus der Region und von außerhalb. Sie decken ein großes thematisches Spektrum ab.

Das Titelzitat stammt aus einer Postkarte von 1935, die ein junger Jude nach der Ankunft in der Niederlausitz an seine Eltern sandte. Er erhielt auf dem jüdischen Lehrgut Schniebinchen eine Ausbildung, die es ihm ermöglichte, im Ausland eine neue Heimat zu finden. Auf dieses Lehrgut geht die Berliner Historikerin Claudia Schoppmann ein. In der Niederlausitz befand sich auch Jessen, ein von jüdischen Organisationen betriebenes Ausbildungslager für junge Jüdinnen und Juden. In weiteren Beiträgen werden Überblicke über die jüdische Geschichte von Guben, Cottbus, Finsterwalde und Lübben gegeben. Exemplarisch sei auf einige Facetten hingewiesen: In der Neißestadt Guben lebten 1933 202 Juden (und Jüdinnen), bei der Volkszählung 1939 waren es noch 98 Personen und 1946 nur noch zwei Frauen. Der wohl bekannteste Gubener Jude war der von 1912 bis 1924 amtierende Oberbürgermeister Alfred Glücksmann, dessen Biografie kurz umrissen wird. Bereits Mitte März 1933 fanden in der Stadt antijüdische Maßnahmen statt, als ein Waren-, Kauf- und Schuhhaus geschlossen werden mussten. Die Nachfahren der aus Cottbus vertriebenen Familie Grünebaum, deren Tuchfabrik „arisiert“ wurde, kehrten in die Stadt zurück und errichteten 1997 eine „Stiftung, die sich der Pflege der Kultur und des Theaters sowie der Wissenschaft verschrieben hat.“

Es geht weiter um die Ausgrenzung und Verfolgung der Juristen jüdischer Herkunft, dargestellt von Hans Bergemann, auf dessen weitere Arbeit noch hinzuweisen ist. Bereits Ende März wurde das Amtsgericht in Forst besetzt und der Richter Hans Moral aus der Stadt vertrieben. Bergemann geht beispielhaft auf die Lebenswege von Juristen ein, die teilweise Zuflucht im Ausland finden konnten. Aber viele wurden Opfer der Shoah und starben in Theresienstadt oder Auschwitz beziehungsweise begingen Suizid.

Neben weiteren Beiträgen über eine „Arisierung“ und jüdische Friedhöfe informiert der Herausgeber über die „Pogromereignisse“ im November 1938 in der Niederlausitz. Die „Befehls- und Informationszentrale für die Niederlausitz bildete die Leitstelle der Geheimen Staatspolizei in Frankfurt (Oder).“ Auch die „normale“ Bevölkerung beteiligte sich an dem Pogrom, wie ein Jugendlicher, der in Senftenberg an einer Hausfassade empor kletterte und das Schild eines jüdischen Rechtsanwalts herunterriss. Abgerundet wird der Band mit einer Chronologie.

Neben der jüdischen Geschichte der Niederlausitz ist auf die von Irmtraut Carl lektorierte und bemerkenswerte Dokumentation zur Geschichte der jüdischen Bevölkerung der Region Dahme-Spreewald „Das haben wir alles nicht gewusst“ hinzuweisen. Der Titel des von dem Verein Kulturlandschaft Dahme-Spreewald e.V. herausgegebenen Bandes ist wohl auch mit Hintersinn gewählt: Über die unterschiedlichen Aspekte der regionalen Geschichte hat man „nichts gewusst“. Dies hat sich geändert, als für die Verlegung von „Stolpersteinen“ Hintergrundinformationen recherchiert werden mussten. Das Bedürfnis nach dieser Form des Erinnerns an die Opfer der NS-Diktatur mit Hilfe der von dem in Köln lebenden Künstler Gunter Demnig verlegten Stolpersteine hat zu vielfältigen Recherchen geführt: So entstanden Kenntnisse über jüdische Einwohnerinnen und Einwohner in Königs Wusterhausen, Mittenwalde, Zeesen, Deutsch Wusterhausen, Zeuthen, Bestensee, Schulzendorf, Schenkendorf, Märkisch Buchholz und Bindow. Entstanden ist eine Collage von biografischen Skizzen – manchmal auch nur Schnipseln – und Abbildungen von Dokumenten und Fotografien sowie Erinnerungen von Zeitzeugen und abgedruckten aktuellen Zeitungsartikeln. Die Zusammenstellung erinnert an die Zahnärztin Paula Jacobsohn aus Königs Wusterhausen und deren Ehemann Max Jacobsohn, der Vorsitzender der örtlichen Allgemeinen Ortskrankenkasse war. Beide wurden 1942 nach Riga deportiert und ermordet. Seit 2005 erinnern Stolpersteine an diese beiden Opfer des Holocaust. Die Initiative zu deren Verlegung ging von dem Verein Kulturlandschaft Dahme-Spreewald aus. Auch Schülerinnen und Schüler haben sich bei Stolpersteinlegungen beteiligt und konnten die Ergebnisse ihrer Recherchen in dem Band wieder finden. Es wird auch auf den jüdischen Friedhof in Mittenwalde eingegangen und eine Rekonstruktion der Belegungsliste des Totenackers vorgenommen,

Der zweite Teil dieser Veröffentlichung ist der Geschichte des dem KZ Sachsenhausen angegliederten Außenlagers Königs Wusterhausen gewidmet: Jüdische Häftlinge des 1944 aufgelösten Ghettos Litzmannstadt – der ursprüngliche Name der Stadt war und ist heute wieder Łódź – mussten 1944/45 in Königs Wusterhausen für das „Deutsche Wohnungshilfswerk“ für das Rüstungsministerium Behelfsheime für Ausgebombte bauen. Der Verein Kulturlandschaft Dahme-Spreewald hat auch ein Tagebuch nach der Liquidierung des Ghettos – aus dem Polnischen übersetzt – und Häftlingsberichten sowie Erinnerungsberichte aus der israelischen Gedenkstätte Yad Vashem veröffentlicht.

Ergänzend zum ersten Teil der Schrift „Das haben wir alles nicht gewusst“ ist auf die unveröffentlichte Diplomarbeit von Torsten Wolff über den jüdischen Friedhof von Mittenwalde hinzuweisen. Er hat zum Abschluss seines Studiums der Landschaftsarchitektur eine Bestandsaufnahme der „verwaisten Ruhestätte“ vorgenommen und ein Konzept für die Verwirklichung eines Gedenkortes entwickelt. Ausgehend von der Erforschung der Geschichte des vermutlich seit 1831 als Friedhof benutzten Areals berichtet der Autor über Schändungen, die Abräumung und die Aufstellung eines Gedenksteins. Sein Ansatz geht von der Wiederherstellung und Ergänzung der Bausubstanz aus, stellt das Areal als „heiligen Boden“ dar, soll beim Besuch des Ortes sensibilisieren und die historische Struktur wieder sichtbar werden lassen. Wolff setzt sein Modell mit jüdischen Gedenkorten in der Umgebung in Beziehung und kommt abschließend zu der Aussage: „Wenn es mit der Errichtung des Gedenkortes gelänge, den Besuchern und vor Allem den Mittenwalder Bürgern die Intention des Entwurfes, das Sichtbarmachen und Auseinandersetzen mit der deutsch-jüdischen Kultur, nahe zu bringen, müsste der Jüdische Friedhof in Mittenwalde letzten Endes nicht mehr nur euphemistisch ‚Guter Ort‘ heißen.“

Einen emotionalen Ausgangspunkt hat das Eberswalder Gedenkbuch, welches die Erinnerung an die jüdische Bevölkerung in dieser Kleinstadt wach hält: Ein zufälliger Kontakt zu einer ehemaligen jüdischen Einwohnerin von Eberswalde im Jahre 2003 motivierte eine Erzieherin zur Spurensuche nach der jüdischen Bevölkerung. Sie sammelte Informationen und fand weitere engagierte Menschen, bis in jahrelanger Kleinarbeit die biografischen Daten vieler Angehörigen der Minderheitsbevölkerung der Stadt zusammengetragen waren. In einigen Fällen war es möglich, Kontakte zu Überlebenden oder Angehörigen zu finden, die überwiegend im Ausland lebten beziehungsweise leben. Ein Besuch in ihrer früheren Heimat bot Gelegenheiten, Informationen über sie und ihre Angehörigen zu erhalten. Solche Kenntnisse konnten auch bei Besuchen in ihrer neuen Heimat erworben werden. Die Kontakte führten zu bewegten Momenten bei den Eberswalder Nachgeborenen ebenso wie bei den aus der Stadt Geflohenen und deren Kindern und Kindeskindern. Einige sind mit eigenen Familiengeschichten in dem Band vertreten. Er ist teilweise reichhaltig bebildert, aber bei den meisten Personen beschränken sich Angaben auf wenige Zeilen mit biografischen Daten. Das Beeindruckende dieses Gedenkbuches ist die große Zahl der aufgefundenen Personennamen mit den Erschütterung auslösenden Daten wie etwa zu Siegfried Bloch: „Am 14.04.1942 wurde er mit dem Transport Magdeburg-Potsdam-Berlin nach Warschau deportiert. Sein Verbleib ist unbekannt.“

Eine spezielle Vertiefung bietet ein Band von Hans Bergemann und Simone Ladwig-Winters über Juristen jüdischer Herkunft im Landgerichtsbezirk Potsdam. Zu ihnen gehörte Ernst Westphal, für den mit der NS-Herrschaft die Welt zusammenbrach, wie er sie kannte. Dessen Aussage wurde in den Titel der Veröffentlichung übernommen. Das Buch informiert über die Geschichte der Verfolgung und Ausgrenzung von 1933 bis über 1945 hinaus.

In einem biografischen Teil werden die Lebensgeschichten von 32 Juristen erzählt. Da der Gerichtsbezirk über Potsdam hinausreichte, wird auch auf die Verfolgung in Beelitz, Belzig, Brandenburg an der Havel, Dahme, Friesack, Luckenwalde und Rathenow eingegangen.

Es werden unterschiedliche historische Aspekte angesprochen: Einerseits geht es um die Geschichte der Judenverfolgung in Brandenburg aus der „juristischen Perspektive“, womit die Arbeit eine interessante Ergänzung zu dem hier besprochenen Buch von Edda Weiß ist. Auf der anderen Seite stehen die über dreißig biografischen Porträts der Juristen – eine Juristin gab es damals noch nicht im Landgerichtsbezirk Potsdam. Einigen von Ihnen gelang die Flucht ins Ausland und dort das Überleben. Aber es gibt auch viele Hinweise auf die Ermordung im Konzentrationslager Sachsenhausen, in Theresienstadt, Auschwitz und anderen Orten. Die biografischen Skizzen zeigen, wie die Verfolgung das Leben der Juristen und ihrer Angehörigen beeinflusste und oft auch beendete.

Eine sinnvolle Ergänzung in doppelter Hinsicht ist die von Barbara Rösch erarbeitete Handreichung für Lehrerinnen und Lehrer an Grundschulen zur jüdischen Geschichte und Kultur in Brandenburg. Sie enthält neben einem Plädoyer für die Berücksichtigung der jüdischen Kultur und Geschichte im Grundschulunterricht fundierte Erklärungen spezifisch jüdischer Eigenheiten und Verweise auf den Lehrplan: Erklärt werden Mitzwa, Tora und Talmud, die unterschiedlichen Richtungen im (modernen) Judentum ebenso wie Synagoge, Mikwe und Friedhof und der jüdische Kalender – immer mit den möglichen Bezügen zum Lehrplan. Hinzu kommt die regionalgeschichtliche Vertiefung am Beispiel der Geschichte von Potsdam und Caputh.

Weitere Informationen über das jüdische Leben in Brandenburg über den Aspekt der Verfolgung hinaus bieten zwei Publikationen von Brigitte Heidenhain über jüdisches Leben in Wriezen und Schwedt. In beiden Schriften wird auf die Entstehung und Geschichte der jüdischen Gemeinden in den beiden Orten und besonders auf die Friedhöfe eingegangen. Beide Publikationen stehen im Zusammenhang mit einem am Institut für Jüdische Studien der Universität Potsdam angesiedelten Forschungsprojekt über jüdische Friedhöfe in Brandenburg. Weitere ausführliche Darstellungen zur Geschichte einzelner jüdischer Gemeinden sind in Vorbereitung.

Eine ganz besondere Publikation stammt von Siegfried Ransch, der die Geschichte des „Jüdischen Arbeitsheims Radinkendorf“ (bei Beeskow) untersucht hat. Trotz nur spärlich vorhandener Dokumente kann er die Ereignisse in dem rund 60 km östlich von Berlin gelegenen Ort zwischen April 1940 und April 1943 darstellen und in die historischen Zusammenhänge einordnen. Die Geschichte beginnt mit den Bemühungen des Diakoniebundes Glaubensdienst GmbH, der sich seit 1939 bemühte, sein Grundstück in der Dorfstraße in Radinkendorf loszuwerden. Das zuletzt dort betriebene Altersheim wurde „wegen Unrentabilität“ aufgegeben. Die Suche nach einem Interessenten führte zu Verhandlungen mit der Reichsvereinigung der Juden in Deutschland (RVJD). Die Reichsvereinigung – die auf Anweisungen der Geheimen Staatspolizei handeln musste – versuchte, Stätten zur Unterbringung von aus ihrer Heimat vertriebenen und armen Juden und Jüdinnen zu finden. Sie pachtete zum 1. April 1940 das Gelände mit mehreren Wohn- und Wirtschaftsgebäuden. Zuerst dienten diese zur Unterbringung von einem Teil der aus Schneidemühl (Provinz Pommern) vertriebenen jüdischen Bevölkerung, von denen etwa 130 Personen nach Radinkendorf kamen. Anschließend diente es zur Unterbringung für Zwangsarbeiter und schließlich als Sammelplatz für die Deportationen in die Konzentrations- und Vernichtungslager. Radinkendorf war nicht in das System der Konzentrationslager eingebunden. Nach der Liquidierung verkaufte die Diakoniebund Glaubensdienst GmbH das Gelände an die Transportgruppe Todt des Nationalsozialistischen Kraftfahrerkorps, die dort wahrscheinlich Zwangsarbeiter untergebracht hat.

Diese interessante Studie wird mit der Wiedergabe von drei Dokumenten abgeschlossen. Die Arbeit über den „Heimtyp Radinkendorf“ lässt sich mit den Worten des Autors zusammen fassen: Es handelte sich um eine „jüdische Fürsorgestätte, zugleich Internierungslager mit ‚geschlossenem Arbeitseinsatz‘ – überwiegend für ältere Menschen – unter der Vorherrschaft der Gestapo; ein Lager auf Kosten der RVJD und der Internierten, aber doch eine RVJD-Stätte mit innerer jüdischer Verwaltung und mit deren – wenn auch begrenztem – Einfluss auf die Lagerbedingungen.“ Abschließend fordert Ransch ein sichtbares Gedenken an die Opfer des „Jüdischen Arbeitsheims Radinkendorf“. Die dazu erforderlichen Recherchen hat er vorgelegt.

Abschließend ist auf einen Band mit zehn ostdeutschen Biografien einzugehen, von denen vier mit Brandenburg verbunden sind. Die von Andreas Weigelt durchgeführten Recherchen zu Otto Ephraim (1889-1951), Josef Jubelski (1888-1959), Ernest Wilkan (1898-1949) und Karl Wolfsohn (1887-1946) verdeutlichen, dass den Überlebenden des Holocaust in der sowjetischen Besatzungszone und der DDR oft mit Misstrauen begegnet wurde.

Der in Cottbus geborene Otto Ephraim etwa war mit einer Christin verheiratet und ihre Kinder wurden christlich erzogen. Er unterstützte nach 1933 die SS und die SA. In seiner Tuchfabrik arbeiteten keine Juden. Der Betrieb erledigte Wehrmachtsaufträge für Militärstoffe und wurde von der Industrie- und Handelskammer zum „Deutschen Betrieb“ erklärt. Um Benachteiligungen wegen seines „jüdischen“ Namens abzuwenden, stellte er sogar einen Antrag auf Namensänderung, den der Oberbürgermeister von Cottbus unterstützte und die Gestapoleitstelle Frankfurt (Oder) bescheinigte: „Gegen die Namensänderung bestehen diesseits keine Bedenken.“  Trotzdem wurde der Antrag durch die Reichsminister des Innern abgelehnt. Nach 1945 – Ephraim lebte seit 1948 in Aachen – wurde der Betrieb von Treuhändern verwaltet und ein Ermittlungsverfahren wegen NS-Verbrechen gegen ihn eingeleitet, es erfolgte eine Verurteilung als „Naziverbrecher“. Das Oberlandesgericht Potsdam lehnte 1950 eine von Ephraim angestrengte Revision ab. Otto Ephraim ist 1951 in Aachen verstorben.

Auch Josef Jubelski wurde in der SBZ/DDR erneut verfolgt. Er hatte einen Damenkonfektionsbetrieb in Berlin, der „arisiert“ wurde, ein Haus in Birkenwerder und musste in der NS-Zeit Zwangsarbeit leisten. Seine Versuche, eine Entschädigung zu erhalten, hatten angesichts neuer antisemitischer Anfeindungen – so wurde dem Juden der absurde Vorwurf gemacht, Mitglied der NSDAP gewesen zu sein – keinen Erfolg.

Auch einige der übrigen Porträtierten weisen Bezüge ins Brandenburgische auf. Dieser Band zeigt, dass sich Juden in der sowjetischen Besatzungszone, ob sie Kommunisten waren oder nicht, erneuten Anfeindungen ausgesetzt waren. Sie und die jüdischen Gemeinden wurden oft als westliche oder israelische Agentenzentralen betrachtet und viele Gemeindemitglieder von der Staatssicherheit überwacht. Viele Juden und Jüdinnen flüchteten in den Westen. Das Buch begleitet eine Ausstellung und gibt Einblicke in das Spektrum der politischen Repression in der SBZ beziehungsweise DDR, die sich häufig antijüdischer Vorurteile bediente.

Die hier besprochenen Publikationen zeigen, dass viele Verfolgte aus der Provinz Brandenburg in die Großstadt Berlin auswichen. Offenbar versprachen sie sich von Anonymität in der Metropole größeren Schutz als in einer kleinen Stadt in der Provinz. Einige hatten Erfolg, aber viele nicht.

Die Texte sind zum großen Teil der „grauen Literatur“ zuzuordnen, sie sind in der Regel informativ und behandelten unterschiedliche Aspekte der Geschichte des jüdischen Brandenburg. Ihnen ist Aufmerksamkeit zu wünschen, in Brandenburg und darüber hinaus.

Literaturhinweise:

Irmtraut Carl:Das haben wir alles nicht gewusst. Dokumentation zur Geschichte der jüdischen Bewohner der Region.Herausgegeben von Kulturlandschaft Dahme-Spreewald e.V. Zeuthen 2008.247 Seiten.Bezug über Kulturlandschaft Dahme-Spreewald e.V.Mainzer Straße 13
15738 Zeuthen

Torsten Wolff: Der Jüdische Friedhof von Mittenwalde. Eine verwaiste Ruhestätte als Gedenkort.Unveröffentlichte Diplomarbeit. Technische Universität Berlin. Institut für Landschaftsarchitektur und Umweltplanung, Berlin 2008
91 Seiten

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Edda Weiß: Die nationalsozialistische Judenverfolgung in der Provinz Brandenburg 1933-1945.
Verlag für Wissenschaft und Forschung, Berlin 2003.
400 Seiten, 49,90 EUR.
ISBN-10: 3897003619
ISBN-13: 9783897003613

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Hans Bergemann / Simone Ladwig-Winters: Für ihn brach die Welt, wie er sie kannte, zusammen. Juristen jüdischer Herkunft im Landgerichtsbezirk Potsdam - Eine rechtstatsächliche Untersuchung.
Otto Schmidt Verlag, Köln 2003.
156 Seiten, 26,80 EUR.
ISBN-10: 3504010118
ISBN-13: 9783504010119

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Ernst Rainer (Hg.): "Gestern sind wir gut hier angekommen". Beiträge zur jüdischen Geschichte in der Niederlausitz.
Verlag Gunter Oettel, Görlitz 2005.
252 Seiten, 9,00 EUR.
ISBN-10: 3938583010
ISBN-13: 9783938583012

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Brigitte Heidenhain: Juden in Wriezen. Ihr Leben in der Stadt von 1677 bis 1940 und ihr Friedhof.
Universitätsverlag Potsdam, Potsdam 2007.
184 Seiten, 12,00 EUR.
ISBN-13: 9783939469391

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Ellen Behring (Hg.): Eberswalder Gedenkbuch für die jüdischen Opfer des Nationalsozialismus. 1938 - 2008 ; 70 Jahre nach der Pogromnacht ; Veröffentlichung des Vereins für Heimatkunde zu Eberswalde e.V.
Books on Demand, Eberswalde 2008.
200 Seiten, 10,00 EUR.
ISBN-13: 9783000261626

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Andreas Weigelt / Hermann Simon (Hg.): Zwischen Bleiben und Gehen. Juden in Ostdeutschland 1945 bis 1955. Zehn Biographien.
text.verlag edition Berlin, Berlin 2008.
248 Seiten, 16,90 EUR.
ISBN-13: 9783938414484

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Barbara Rösch: Jüdische Geschichte und Kultur in Brandenburg. Lehrerhandreichung für Grundschulen.
Universitätsverlag Potsdam, Potsdam 2009.
217 Seiten, 6,00 EUR.
ISBN-13: 9783940793386

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Brigitte Heidenhain: Juden in Schwedt. Ihr Leben in der Stadt von 1672 bis 1942 und ihr Friedhof.
Universitätsverlag Potsdam, Potsdam 2010.
258 Seiten, 12,00 EUR.
ISBN-13: 9783869560502

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Siegfried Ransch: Jüdisches Arbeitsheim Radinkendorf. (1940 bis 1943). Dokumentarischer Bericht über ein Lager an der märkischen Spree.
Nora Verlagsgemeinschaft, Berlin 2010.
147 Seiten, 19,90 EUR.
ISBN-13: 9783865572271

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