Lustig, wenn auch verschroben

Ein Band versammelt die „schönsten Erzählungen Islands“ und „die horen“ stellen „Islands Atomdichter“ vor

Von Volker HeigenmooserRSS-Newsfeed neuer Artikel von Volker Heigenmooser

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die Isländer sind da. Das diesjährige Gastland auf der Frankfurter Buchmesse lässt es sich etwas kosten, seine Literatur zu präsentieren. Und das, obwohl das Land dank wahnwitziger Spekulationsabenteuer vor der großen Finanzkrise am Rand der Zahlungsunfähigkeit lebt. Doch die Literatur ist dem Inselvolk im Nordatlantik gut und teuer. Ja, sie ist ihr Mittel der nationalen Identität schlechthin. Außerdem gibt es in keinem Land der Welt verhältnismäßig so viele Schriftstellerinnen und Schriftsteller wie auf Island. Genauso wie es kein Land der Welt gibt, das so viele Leserinnen und Leser aufweisen kann. Wenn man sich bislang nur eher am Rande mit isländischer Literatur beschäftigt hat, dann dürfte es schwer fallen, sich bei den vielen jetzt angebotenen Übersetzungen zu orientieren. Hilfreich ist da deshalb ein Band mit vielen Erzählungen vieler Autoren, der pünktlich zur Buchmesse im Insel Verlag herausgekommen ist.

Ob es allerdings wirklich die schönsten Erzählungen Islands sind, die in dem Insel-Taschenbuch mit diesem Titel versammelt sind, mag dahingestellt bleiben. Aber es sind fast alle Geschichten schön, belehrend und unterhaltend. Und sie geben einen guten Eindruck von der Spannweite der isländischen neueren Literatur. Denn natürlich ist der isländische Nobelpreisträger Halldor Laxness vertreten, aber auch andere in deutscher Sprache schon länger präsente Autorinnen und Autoren wie Thor Vilhjálmsson, Gu∂bergur Bergsson, Steinunn Sigur∂ardóttir, Einar Már Gu∂mundsson oder Einar Kárason. Hinzu kommt eine stattliche Reihe jüngerer Autorinnen und Autoren, die von den Herausgebern Soffía Au∂ur Birgisdóttir, Gert Kreutzer und Halldór Gu∂mundsson ausgewählt wurden. Sie haben die Erzählungen, die im übrigen nicht alle echte Erzählungen, sondern gelegentlich auch Romanauszüge sind, in verschiedene Kategorien eingeordnet: Mensch und Natur, Der komische Alltag, Die Phantastische Wirklichkeit, Von Frauen und Männern sowie Familienbilder. Das ist ein wenig willkürlich. Denn bei aller Individualität und Unterschiedlichkeit verbindet die Erzählungen das Leben auf einer kleinen Insel, die mit ihren heißen Quellen und Vulkanen voller Skurrilitäten und mystischer Erscheinungen ist. Und noch eine Gemeinsamkeit haben viele der Erzählungen zum untergründigen Thema: die Unfähigkeit, mit Alkohol gelassen umzugehen. In kaum einer anderen Nationalliteratur wird zuverlässig so viel und unmäßig getrunken wie in der isländischen. Schließlich gibt es einen weiteren gemeinsamen Zug in der isländischen Literatur, den dieser Erzählungsband zeigt: Humor. Denn selbst ernste Themen werden mit einer Heiterkeit erzählt, die man unter Skandinaviern dem Klischee nach eher nicht vermutet. Doch, die Isländer sind lustig, wenn auch manchmal etwas verschroben.

Das kann man auch sehr gut im Band 242 der noch in Bremerhaven verlegten Literaturzeitschrift „die horen“ nachlesen, die sich zum wiederholten Mal der isländischen Literatur widmet. In dieser Ausgabe speziell den sogenannten Atomdichtern. Dazu muss man wissen, dass die neuere isländische Literatur im Grunde mit der Ausrufung der Souveränität Islands 1918 beginnt. Diese Souveränität stand allerdings noch bis zum 17. Juni 1944 unter dänischer Vorherrschaft. Erst seit der Gründung der Republik an diesem Datum ist Island offiziell vollkommen unabhängig. Schon vorher nimmt die Literatur in der Geschichte des kleinen Lands eine bedeutende Rolle ein: sie ist das Medium der Selbstverständigung und nationalen Selbtvergewisserung. Dazu wurde die alte, getreulich überlieferte Literatur der Sagas, der Edda und der Skaldendichtung gepflegt und gehegt. An dieser traditionellen Literatur hatte sich bis dahin die aktuelle Literatur ausgerichtet. Als in der zweiten Hälfte der 1940er-Jahre Dichter geradezu plötzlich modernistische Gedichte schrieben, ohne Reim, Stabreim, Binnenreim und die anderen traditionellen Zutaten eines Gedichts, da wurden sie heftig befehdet. Diskussionen im Rundfunk wurden geführt, Zeitungsartikel pro und contra wurden publiziert und öffentliche Veranstaltungen wurden abgehalten – so ernst war es den Verteidigern der Tradition auf der einen und den Erneuerern auf der anderen Seite. In aller Ausführlichkeit dokumentieren „die horen“ diesen Streit, der heute etwas skurril anmutet, weil er doch in hartnäckiger Verbissenheit geführt wurde. Entschädigt wird man für die Lektüre dieser historischen Merkwürdigkeit durch die eigentliche Literatur. In den wunderschönen Gedichten der Atomdichter zu blättern, zu denen vor allem Stefán Hörður Grímsson, Jón Óskar, Einar Bragi, Hannes Sigfússon und Sigfús Daðason gehören, ist ein großer Genuss, wofür man den Herausgebern Wolfgang Schiffer und Eysteinn þorvaldsson dankbar sein darf.

Titelbild

Soffía Auður Birgisdóttir / Gert Kreutzer / Halldór Guðmundsson (Hg.): Die schönsten Erzählungen Islands.
Insel Verlag, Berlin 2011.
328 Seiten, 8,95 EUR.
ISBN-13: 9783458357384

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Die Horen. Der Herbst kommt jedes Mal zu früh. Jüngere Literatur aus Finnland, Estland und Ungarn.
Zusammengestellt von Maximilian Murmann.
Wallstein Verlag, Göttingen 2014.
200 Seiten, 14,00 EUR.
ISBN-13: 9783869181110

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