Der Gigant der isländischen Literatur

Óskar Guðmundsson zeichnet das Leben des Multitalents Snorri Sturlusson nach

Von Jutta LadwigRSS-Newsfeed neuer Artikel von Jutta Ladwig

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die Frankfurter Buchmesse 2011 steht ganz im Zeichen Islands. Die kleine Vulkaninsel im Atlantik blickt auf eine reichhaltige Literatur zurück, deren Wurzeln bis ins 11. Jahrhundert zurückreichen. Besonders die altisländische Literatur nimmt eine Sonderstellung in der mittelalterlichen Literatur Europas ein, denn sie enthält Elemente des germanischen Heldenlieds, die so bis heute bewahrt sind. Die Isländersagas zeugen von einem hohen künstlerischen Können ihrer meist anonymen Verfasser. Außerdem stellen sie die einzige volkssprachlich überlieferte Literatur des Mittelalters dar, die zudem über das Leben der Isländer im Mittelalter Aufschluss gibt. Das macht sie zu wertvollen historischen Quellen.

Nur die wenigsten altnordischen Schriften überliefern ihren Autor. Einer der berühmtesten bekannten Autoren dieser Zeit ist Snorri Sturluson (1179-1241). Seine Werke „Heimskringla“ oder die „Snorra Edda“ stellen die wichtigsten Quellen über das Leben der norwegischen Könige, die nordische Mythologie und Dichtkunst dar.

Snorri Sturluson: Ein besonderer Isländer

Snorri Sturluson ist eine der herausragenden Persönlichkeiten der isländischen Geschichte. Als Autor setzte er Maßstäbe in der Literatur, mit der „Snorra Edda“ verfasste er ein Skaldenlehrbuch und erhielt so für alle Ewigkeit die Grundlagen der altisländischen Dichtkunst. Zudem gestaltete er als bedeutender Politiker seine Gegenwart aktiv mit. Allerdings ist nur wenig über die Person Snorri Sturluson bekannt, außer seinen Werken kennen ihn im deutschsprachigen Raum nur die wenigsten.

Der isländische Historiker Óskar Guðmundsson zeichnet in „Snorri Sturluson. Homer des Nordens“ die spannende und dramatische Lebensgeschichte des Isländers nach. Dazu greift Guðmundsson auf diverse altisländische Schriften zurück, in denen Snorri und seine Familie erwähnt werden. Eine besonders ausgiebige Quelle ist die „Sturlunga saga“, eine Art Familienchronik des Geschlechts der Sturlungen, die Snorris Eltern Sturla Þórðarson und Gudny Bödvarsdóttir begründeten.

Erziehung, Blutfehden und Mord im Namen des Königs

Im Juli 1181 wird Snorri von seinem Vater zur Erziehung nach Oddi gebracht, dem kulturellen Zentrum Islands, das der einflussreiche Jón Loptsson leitet. Er ist zu dieser Zeit einer der klügsten Männer Islands. Hier genießt der Junge eine umfangreiche Bildung, lernt Lesen und Schreiben, studiert Theologie, isländisches Recht und Geografie. Ob Snorri auch Latein gelernt hat, ist ein umstrittener Punkt in der Forschung. Handfeste Hinweise gibt es nicht, jedoch erläutert Guðmundsson, dass es durchaus möglich ist, dass Snorri in Latein bewandert war. Strukturelle und stilistische Parallelen zwischen Snorris eigenen Werken und lateinischen Schriften sind zu erkennen. Außerdem hatte Jón Loptsson Zugriff auf verschiedene europäische Schriften, darunter auch Schriften in Latein. Durch Jón Loptssons Tätigkeit als Gode, also als Träger der Regierungsgewalt Islands, lernt der junge Snorri außerdem viel über Politik.

Als Snorris Vater stirbt, verprasst die Mutter Snorris gesamtes Erbe. Außerdem wird die Hochzeit zwischen Snorri und der Tochter des reichen Bersi, Herdís, arrangiert. Snorri zieht nach Borg i Mýrum. Das Paar hat mehrere Kinder, doch Snorris Herz gehört einer anderen. Jedenfalls für kurze Zeit. Snorri hat mehrere Geliebte und ist Vater einer ganzen Kinderschar. 1206 zieht er auf einen Hof in Reykholt.

Es sind unruhige Zeiten, in denen Snorri lebt. Die Sturlungen werden zu einem der mächtigsten Geschlechter Islands. Das ruft Neider auf den Plan unter den anderen Familien, die um die Vorherrschaft in dem Freistaat kämpfen, aber auch unter den eigenen Verwandten. Snorris Ansehen beim norwegischen König und seine erfolgreiche Arbeit als Gesetzessprecher beim isländischen Althing sind seinen Feinden ein Dorn im Auge.

Von 1237 bis 1239 hält sich Snorri zum zweiten Mal in Norwegen beim König auf und wird Zeuge des Aufstands von Jarl Skúli gegen den König. Snorri erkennt die schwache Position des Königs und verlässt Norwegen trotz Verbot. Der König gibt Gissur Þorvaldsson den Auftrag, Snorri zu töten. Am 23. September 1241 wird Snorri von einem Sohn Gissur Þorvaldssons in Reykholt ermordet. Seine letzten überlieferten Worte sind: „Nicht schlagen!“

Ein buntes Panorama über Snorris Sturlusons Leben

Óskar Guðmundsson rekonstruiert aus der „Sturlunga saga“ und weiteren altnordischen Schriften die Lebensgeschichte des Politikers, Dichters und Historikers Snorri Sturluson. Sein literarisches Erbe zählt zu den wichtigsten Quellen zur Geschichte der norwegischen Könige und der altisländischen Dichtkunst, der Skaldik.

Spannend wie ein Roman ist Snorris Leben in einer unruhigen Zeit, als mächtige Familienclans um die Vorherrschaft im Freistaat Island konkurrieren. Guðmundsson legt die Zusammenhänge präzise und nachvollziehbar dar und erklärt die gesellschaftlichen Normen des 13. Jahrhunderts, so dass die Leser auch den geschichtlichen Hintergrund verstehen können. Damit bettet der Autor das Leben Snorri Sturlussons in ein buntes Panorama der isländischen Geschichte ein.

Aktuelle Forschungsdebatten werden ebenfalls in dieser Biografie berücksichtigt. Guðmundsson rollt die verschiedenen Standpunkte und Streitfragen auf und erklärt, welcher plausibel ist und warum. So gelingt ihm ein aktuelles Porträt von Snorri Sturluson, dass den Menschen in seiner Zeit darstellt und den Lesern ein Gefühl vermittelt, wer der Mensch hinter der „Heimskringla“ oder „Snorra Edda“ war. Guðmundsson verzichtet auf unnötigen Pathos und Lobhudelei für Snorris Leben und Wirken, denn das hat er gar nicht nötig angesichts dieses bewegten Lebens. Mit viel Sorgfalt und kritischem Blick geht er vor, einem der bedeutendsten isländischen Autoren ein Denkmal zu setzen.

Ergänzt wird es durch das Vorwort von Rudolf Simek, das einführende Informationen zu Island im Mittelalter, seiner Literatur und der Bedeutung Snorris bietet. Umfassende Anmerkungen, ein Glossar der wichtigsten Begriffe und eine ausführliche Bibliografie vervollständigen diese gelungene Biografie. Ein empfehlenswertes und unverzichtbares Nachschlagewerk über den herausragenden Isländer Snorri Sturluson.

Titelbild

Óskar Gudmundsson: Snorri Sturluson. Homer des Nordens. Eine Biographie.
Mit einem Vorwort von Rudolf Simek.
Übersetzt aus dem Isländischen von Regina Jucknies.
Böhlau Verlag, Köln 2011.
447 Seiten, 24,90 EUR.
ISBN-13: 9783412207434

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