Konflikt der Kulturen oder neudeutsche Parallelgesellschaften?

Kolja Mensing und Robert Thalheim haben ein Theaterstück über den umstrittenen Bau einer Moschee als Katalysator für Selbstinszenierungen geschrieben

Von Heike HendersonRSS-Newsfeed neuer Artikel von Heike Henderson

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Berlin-Pankow, 2006. Die Ahmadiyya-Gemeinde plante den Bau der Khadija-Moschee auf einem brachliegenden Grundstück im Stadtteil Heinersdorf. Diese erste neu gebaute Moschee in Ostdeutschland, die trotz massiver Streitereien und Protestaktionen im Oktober 2008 eröffnet wurde, löste im Vorfeld des Baus heftige Diskussionen über Glaubensfreiheit, „Überfremdung“ und den Zustand der deutschen Multi-Kulti-Gesellschaft aus. Eine Bürgerinitiative sammelte 20.000 Unterschriften gegen den Moscheebau und organisierte Demonstrationen, bei denen nicht nur Ängste vor einer fortschreitenden Islamisierung der deutschen Gesellschaft geschürt und geäußert wurden, sondern auch immer wieder Rechtsextreme mitmischten. Die Proteste gipfelten in der Drohung, die Moschee in Brand zu setzen. Eine Bürgerversammlung in einer Turnhalle, bei der es zu Ausschreitungen gegen anwesende Muslime kam, war der Anlass für eine Fernsehreportage des „Spiegel TV“. Dieser Fernsehbericht wiederum lieferte die Anregung für ein Theaterstück, „Moschee DE“, das am 27. Februar 2010 am Schauspiel Hannover uraufgeführt wurde. Das Theaterstück war eine Kooperation des Journalisten und Schriftstellers Kolja Mensing und des Theaterregisseurs und Filmemachers Robert Thalheim. Es wurde mit dem Kulturpreis der evangelisch-lutherischen Landeskirche Hannover ausgezeichnet und gastierte im September 2010 am Deutschen Theater in Berlin.

Das 2011 veröffentlichte Buch „Moschee DE“ enthält den Text des Theaterstücks, ein sehr interessantes Interview mit den Autoren, Mensings Recherchenotizen, und eigens für das Buch aufgenommene Fotografien von Alexander Janetzko. Das Theaterstück selbst basiert auf Interviews mit Bewohnern des Stadtteils aus dem Jahr 2009. Mensing und Thalheim verdichteten die Menschen, denen sie begegnet sind, zu fünf Kunstfiguren, die das gesammelte Material wiedergeben: der Vorsitzende der Bürgerinitiative, die Zugezogene, der Pfarrer, der Konvertit und der Imam. Diese namenslosen Menschen dienen nicht nur als Sprachrohr für die oppositionellen Meinungen in Bezug auf den geplanten Bau der Moschee, sondern sollen auch eine weite Bandbreite der Lebensentwürfe und Selbstinszenierungen der beteiligten Akteure verdeutlichen. Der Text, angepriesen als eine Forschungsreise in den deutschen Alltag, erzählt die Geschichte einer Handvoll Menschen, die im Kontext dieses Streits über Entwicklungen und Brüche in ihrem Leben reflektieren. Die szenische Rekonstruktion eines wirklichen Vorgangs zeigt, wie Menschen innerhalb eines engen geografischen Raumes weit voneinander entfernte, parallele Leben führen, die sich nur in Extremsituationen berühren. Die im Pressetext beschworene Integrationsdebatte im Vorgarten findet jedoch nicht statt. Obwohl viel geredet wird, gibt es wenig Kommunikation. Niemand hört zu, was der andere zu sagen hat, jeder redet stattdessen vor sich hin und hält Monologe.

Ihren eigenen Aussagen zufolge wollten Mensing und Thalheim über den konkreten Konflikt hinausgehen und mehr über die Menschen, die an diesem Konflikt beteiligt sind, erfahren. Dies ist eine lobenswerte Intention, aber wirklich erhellend ist das Resultat nicht. Das Problem ist der gleichzeitige Versuch der Autoren, Abstand zu den realen Personen zu wahren und auf das Allgemeine zu zielen. Diese zwei Ansprüche, mehr über die Menschen zu erfahren und gleichzeitig Abstand zu wahren, also das Konkrete mit dem Abstrakten zu verbinden, sind letztendlich unvereinbar. Die Figuren verflachen zu Karikaturen. Die wahren Menschen werden in diesen zugespitzten und typisierten Kunstfiguren, die nicht viel mehr als Plattitüden von sich geben, nicht sichtbar.

Der größte Verdienst des Textes ist es zu zeigen, dass der Streit von Anfang an auch eine Inszenierung war, und dass die Menschen den Moschee-Konflikt als Bühne benutzen, auf der sie sich selbst in Szene setzen. Das Theaterstück und die Begleittexte enthüllen auch die oft banalen Motive hinter politisch aufgeheizten Debatten („Diese Moslems werden unsere Parkplätze belegen“). Der beabsichtigte Versuch, in die Biografien der Menschen, die in diesen Konflikt verwickelt sind, einzudringen und ihre Geschichte zu erzählen, ist jedoch leider nicht gelungen.

Titelbild

Kolja Mensing / Robert Thalheim: Moschee DE. Stück und Materialien.
Verbrecher Verlag, Berlin 2011.
127 Seiten, 10,00 EUR.
ISBN-13: 9783940426697

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