Degenerierte Helden?

Karin Tuxhorn verliert sich beim Versuch, das Rätsel von Friedrich Dürrenmatts Friedrich-Glauser-Rezeption zu lösen, auf Gemeinplätzen

Von Martin StingelinRSS-Newsfeed neuer Artikel von Martin Stingelin

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Zu den schmerzlichsten Desideraten bei der Erforschung der Schweizer Literaturgeschichte im allgemeinen und ihrer Kriminalliteraturgeschichte im besonderen zählt das ungelöste Rätsel der Friedrich-Glauser-Rezeption von Friedrich Dürrenmatt, die dieser gerne in Abrede gestellt hat. Die naheliegende Frage von Dieter Fringeli: „Friedrich Glauser? Ist es denn nicht so, daß er Ihr eigentlicher Vorläufer war, oder genauer: daß sein Wachtmeister Studer der Vater Ihres Kommissärs Bärlach war und ist?“ hat Dürrenmatt 1977 durch eine ebenso aus- wie nachdrücklich ‚groteske‘ Antwort weit von sich gewiesen: „Nein, eben nicht. Ich habe Der Richter und sein Henker – so grotesk es klingen mag – unter dem (sprachlichen) Einfluß von Fontanes Stechlin geschrieben. Ja, das werden Sie mir kaum glauben. Aber es ist so. Ich kannte Glauser zur Bärlach-Zeit nicht. Vielleicht habe ich die Lindtberg-Filme gesehen, ich weiß es nicht mehr. Das klingt für Sie alles etwas grotesk, vermute ich“, und noch acht Jahre später wiederholte er diese Volte im Gespräch mit Hardy Ruoss: „Der Richter und sein Henker […] ist der klassische Kriminalroman, den ich übrigens nicht etwa im Einfluß von Glauser geschrieben habe oder von Simenon – den ich wirklich fast gar nicht kenne, Simenon hat mich auch nie interessiert –, sondern unter dem Einfluß von Fontane: Der große Anreger war Der Stechlin, den ich damals begeistert gelesen hatte.“ Im veröffentlichten Werk von Dürrenmatt fällt der Name von Friedrich Glauser kein einziges Mal.

Nun macht sich ein Buch aus dem „Fachverlag für wissenschaftliche Literatur“ Dr. Kovač anheischig, dieses Rätsel endlich zu lösen. Das argumentative Gewirr der vorliegenden ‚Untersuchung‘, das zum Preis von 75 Euro auf 183 broschierten Seiten geboten wird, ist allerdings logisch wie stilistisch undurchdringlich (vom Trutz formaler und typografischer Absonderlichkeiten, mit denen sie sich gegen ihre Leser wappnet, ganz zu schweigen). Naseweise Verschlimmbesserungen des – korrekten – „‚whodunit‘“ zu „‚whodoneit‘“ sind die Regel.

Auf aneinandergereihten Gemeinplätzen wird die – ohnehin dünne – These plattgetreten, dass sowohl Friedrich Glauser wie Friedrich Dürrenmatt ein nicht unproblematisches Verhältnis zur Schweiz – in der quälend ungelenken Sprache der Verfasserin: „eine ambivalente Affinität zu ihrer Heimat“ – gehabt haben sollen. Die Belege schwanken aufs widersprüchlichste zwischen küchenpsychologisch gedeuteten Biografismen und abenteuerlichen literaturhistorischen Konstruktionen. Den im Titel suggerierten Vergleich zwischen Glauser und Dürrenmatt bleibt die Verfasserin weitgehend schuldig: Nur oberflächlich werden hier wir dort – brennend aktuelle – Themen wie die Sprachenvielfalt, die Neutralität oder die fragwürdige Haltung der Schweiz zum Nationalsozialismus – wenigstens – angetippt, ohne dass deutlich würde, wo „Dürrenmatts Hinsicht auf die Schweiz“ sich mit derjenigen Glausers berührt.

Schwungvoll entgleist die Argumentation vollends, wo die Verfasserin die Verwandtschaft von Dürrenmatts Protagonist Kommissär Bärlach mit Glausers Kriminalwachtmeister Jakob Studer auf das gemeinsame Vorbild Maigret von Georges Simenon zurückführt: „Alle drei Detektive verkörpern den Typus des tragischen und degenerierten Helden“, ohne den Begriff der ‚Degeneration‘ kultur- oder wenigstens den Begriff ‚Tragödie‘ literaturgeschichtlich zu erörtern.

Der Rezensent – der sich frei von jeglichem Ressentiment sehen darf, weil seine einschlägigen Studien zu Friedrich Glauser gebührend berücksichtigt worden sind und er die Verfasserin nicht kennt – warnt um so eindringlicher vor diesem grotesken Buch, in dessen Angesicht man sich beim Rätsel seiner Glauser-Rezeption weiterhin an Dürrenmatts Groteske wird halten müssen.

Titelbild

Karin Tuxhorn: Friedrich Dürrenmatt, Friedrich Glauser und die Schweiz. "La Suisse n'existe pas" oder "Zur Freiheit verurteilt"?
Verlag Dr. Kovac, Hamburg 2009.
183 Seiten, 75,00 EUR.
ISBN-13: 9783830041771

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