Wehrhafte Demokratie

Zu Klaus Pfliegers Buch „Die Rote Armee Fraktion – RAF – 14.5.1970 bis 20.04.1998

Von Stefan SchweizerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Stefan Schweizer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Klaus Pfliegers „Die Rote Armee Fraktion – RAF“ ist nun in dritter, überarbeiteter und erweiterter Auflage im renommierten Nomos Verlag erschienen. Bereits die ersten beiden Auflagen bildeten ein absolutes Muss für jeden, der sich mit der Roten Armee Fraktion beschäftigte, sei er nun Historiker, Politikwissenschaftler, Jurist oder eben „nur“ am jüngeren politisch-historischen Zeitgeschehen interessiert. Die dritte Auflage berücksichtigt die neuesten Erkenntnisse in Sachen RAF – wie den Tatverdacht gegen Verena Becker beim Buback-Attentat oder Kurras’ Tätigkeit als Informeller Mitarbeiter der Staatssicherheit. Außerdem neu und von besonderem Interesse sind die persönlichen Eindrücke des Autors Pflieger, die er im Zusammenhang mit Ermittlungen gegen die RAF und bei Verhören von RAF-Angehörigen gesammelt hat. Pflieger war jahrelang als Mitarbeiter der Bundesanwaltschaft mit Ermittlungen gegen links- und rechtsextremistischen Terrorismus befasst. Heute ist Pflieger Generalstaatsanwalt von Stuttgart.

Pfliegers Standardwerk über die RAF hebt sich in vielerlei Hinsicht wohltuend von den meisten derartigen Publikationen ab. Die Lektüre offenbart, dass der Autor sich professionell und berufsmäßig mit der RAF-Ideologie und -Strategie beschäftigt hat. Es dürfte wenige Personen geben, die sich fundierter in Sachen RAF-Weltbild auskennen und dies so scharfsinnig zu analysieren wissen. Zudem verzichtet Pflieger auf Laienpsychologie, indem er nicht zu ergründen versucht, welche biografischen Anlässe Auslöser für eine „RAF-Karriere“ gewesen sind. Hier entschuldigen ansonsten allzu viele Autoren sehr schnell die RAF-Täter, indem die Rechnung ausgemalt wird ungeordnete Verhältnisse und eine schwere Kindheit hätten eine automatische Karriere in der RAF nahegelegt. Zudem erspart Pflieger sich heuchlerische quasi-moralische Verurteilungen, die ansonsten allerorten in der RAF-Literatur zu finden sind. Nicht selten zeigen sich die Autoren dort schockiert über RAF-Taten, um zugleich die Täter als deklassierte Opfer einer ungerechten kapitalistisch-repressiven Gesellschaftsstruktur darzustellen, welche sich den Repressalien eines sich in Richtung Faschismus bewegenden deutschen Staats mit zahllosen Sondergesetzen ausgesetzt sahen. Die nicht zu hintergehenden Axiome bilden hingegen für Pflieger völlig zu Recht das Grundgesetz, die freiheitlich-demokratische Grundordnung und unsere parlamentarische Demokratie. Dies alles seien Werte, die man zu wahren habe. Zur Verteidigung dieser Werte habe der Staat eben manchmal gegen einen asymmetrisch und verdeckt operierenden Gegner wie die RAF neue Wege gehen müssen. Auf der anderen Seite wird gezeigt, dass etwa die Stammheimer Gefangenen Baader, Ensslin, Meinhof und Raspe ungeahnte und von der Strafprozessordnung eigentlich nicht vorgesehene Privilegien, wie nicht nach Geschlechtern getrennten „Umschluss“, genossen.

Pflieger räumt mit einigen Mythen und Verschwörungstheorien auf. Wie die Waffen in den siebten Stock des Stammheimer Gefängnisses gelangten, wird dabei ebenso plausibel erklärt wie die Todesumstände von Wolfgang Grams. Lückenlos behandelt Pflieger die Historie der RAF – alle drei Generationen und die Lücken zwischen den Generationen werden akribisch und mit großer Sachkenntnis rekonstruiert – mit einem Schwerpunkt auf den Ereignissen des Deutschen Herbstes von 1977. Besonders interessant sind die zahlreichen, ansonsten in keiner anderen Publikation veröffentlichten Original-Briefe Schleyers, Detail-Skizzen von Tatorten und Original-Protokolle zu Gesprächen mit RAF-Gefangenen.

Wer sich mit der RAF – aus welchem Gesichtspunkt auch immer – auseinandersetzen möchte, der kommt an Pfliegers RAF-Buch nicht vorbei. Dabei ist die dritte Auflage im Vergleich zu den ersten beiden stark verbessert – was bei der Qualität der Vorgängerpublikationen beinahe ein wirkliches Kunstwerk ist.

Titelbild

Klaus Pflieger: Die Rote Armee Fraktion - RAF -. 14.5.1970 bis 20.4.1998.
Nomos Verlagsgesellschaft, Baden-Baden 2011.
340 Seiten, 19,80 EUR.
ISBN-13: 9783832955823

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