Disparate Vielfalt

Der von Friedrich Pfäfflin herausgegebene Briefband „Du bist dunkel vor Gold“ versucht eine Rekonstruktion der Freundschaft zwischen Karl Kraus und der Schauspielerin Kete Parsenow

Von Alexandra PontzenRSS-Newsfeed neuer Artikel von Alexandra Pontzen

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Das Buch dokumentiert Leben und Persönlichkeit von Katharina (Kete) Otto-Parsenow (1880-1960), wobei der Herausgeber Friedrich Pfäfflin, ein mehrfach ausgewiesener Karl-Kraus-Kenner, die Freundschaft zwischen ihr und Kraus zur Grundlage wählt, obwohl dessen Briefe an Kete nicht erhalten sind und deren Anteil an der Korrespondenz, hauptsächlich Postkarten, dürftig und unergiebig ist.

Die Freundschaft begann, als das Ensemble des Berliner Neuen/Kleinen Theaters im Mai 1903 in Wien gastierte und Kete, damals eine scheinbar viel versprechende junge Schauspielerin, in Gorkis „Nachtasyl“ die Rolle der Natascha spielte. Möglich, dass die Beziehung anfangs leidenschaftlich war, dann wäre sie in etwa vergleichbar der Liebe von Kraus zu der früh gestorbenen und über den Tod hinaus geliebten Schauspielerin Annie Kalmar. Doch das Erotische blieb nicht dominierend, und zwischen beiden stellte sich, soweit rekonstruierbar, der Ton leidenschaftsloser Vertrautheit ein. 1905 ehelichte sie einen wohlhabenden amerikanischen Kaufmann, mit dem sie zwei Söhne hatte, von dem sie sich aber, den amerikanischen Lebensstil unerträglich findend, trennte. Sie kehrte nach Europa zurück und träumte weiterhin von einer Theaterkarriere. Der Traum erfüllte sich nicht, und 1914 heiratete sie den Altphilologen Walter F. Otto, seit 1914 Professor an der Universität Frankfurt, seit 1934 an der Universität Königsberg. Otto wurde in die Freundschaft zwischen seiner Frau und Kraus, der das Ehepaar in Frankfurt gelegentlich besuchte, einbezogen und sekundierte 1926 dem erfolglosen Vorschlag französischer Professoren, Kraus den Literaturnobelpreis zu verleihen.

Ab 1930 jedoch kommt es zu einer nicht restlos aufzuklärenden Entfremdung, deren Ursache über das Biografische hinauszugehen und theater- und literaturhistorische Zusammenhänge zumindest anzudeuten scheint: Der Ehrgeiz der jungen Kete Parsenow, Schauspielerin zu werden, hatte sie in den Berliner Dunstkreis von Max Reinhardt geführt, mit dem sie auch weiterhin persönlichen Kontakt hielt, was den Reinhardt-Gegner Kraus gewurmt haben dürfte, der sich besonders über Reinhardts Adaptionen von Jacques Offenbachs „Helena“ und „Orpheus“ erregte, in denen er einen Missbrauch der von ihm eingeleiteten Offenbach-Renaissance sah. So dürfte es ihn getroffen haben, dass Reinhardt auf Antrag oder durch Mitwirkung Walter F. Ottos – Genaueres muss selbst der überaus kundige und sorgfältig recherchierende Herausgeber im Dunkeln lassen – Ehrendoktor der Frankfurter Philologischen Fakultät wurde. In der „Fackel“ konnten die Ottos folgende Invektive gegen Reinhardt lesen: „Das höchste Ziel aller Attrappen ist jetzt das Ehrendoktorat, da sie nicht zufrieden mit dem höchsten Glück der Erdenkinder sind, eine Persönlichkeit zu sein.“

Letztlich jedoch bleibt es ungewiss, ob in der Bekanntschaft des Ehepaars mit Reinhardt tatsächlich der Grund für den Bruch zwischen Kraus und Kete zu suchen ist. Nach Kraus’ Tod bedauert sie in einem Brief an die Nachlassverwalterin, es versäumt zu haben, „der dummen Entfremdung der letzten Jahre durch eine Aussprache“ ein Ende gemacht zu haben. Das klingt zu vage, als dass genaue Schlüsse zu ziehen wären.

Wie auch immer: Ab 1930 ist Kraus in ihrem Leben kein fester Bezugspunkt mehr, was dem Leser des Buchs jedoch kaum auffällt, weil Kraus schon vorher mangels Masse einschlägiger Lebenszeugnisse unterrepräsentiert ist. Der Eindruck drängt sich auf, dass seine Prominenz lediglich der Aufhänger ist, um Disparates zu edieren. Das wird vom Herausgeber kaum verschleiert, wenn er seine Dokumentation wie folgt charakterisiert: „Dieser Band ist der Versuch der Rekonstruktion von Lebensbeziehungen, die im ersten Drittel des vorigen Jahrhunderts die Welt des Theaters, der Literatur und der Wissenschaft berühren. Ihr Echo hallt fort bis in die Jahrhundertmitte: Zwischen Friedrichshagen bei Berlin und Friedrichstein nahe Königsberg, zwischen Max Reinhardt und Karl Kraus, Else Lasker-Schüler, Alfred Döblin, Julius Bab und dem Autor der „Götter Griechenlands“, Walter F. Otto, und seinem Schwiegersohn Max Kommerell“. Dagegen wäre wenig einzuwenden, hätte Kete, die zum Zentrum eines so weit gespannten Netzes erhoben wird, größeres intellektuelles Format und wären ihre Karten an Kraus, die in einer Wiener Bibliothek liegen und deren Erstveröffentlichung in dem aufgetischten Menu die Pièce de résistance abgeben muss, reicher an Stoff und Gehalt.

Die Vermutung stellt sich ein, dass Kraus, der eine Neigung hatte, die Frauen, denen er zugetan war, zu stilisieren und zu überhöhen – man denke an Anni Kalmar oder auch an Sidonie Nádherný – Kete Parsenow in zu schmeichelhaftem Lichte sah. Das tut übrigens auch der Wallstein Verlag, wenn er sie im Klappenstext als „charismatische Schauspielerin“ vorstellt, was sie gewiss nicht war, wie aus Pfäfflins Zusammenstellung über die „Schauspielerin Kete Parsenow auf der Bühne 1902-1911“ genugsam hervorgeht. Zutreffen dürfte die Charakteristik durch eine Jugendfreundin: „Kete Parsenows Bedeutung lag in ihrer eigenartigen Schönheit, ihrem großen Charme und ihrem Verständnis für Menschen. Zu einer großen Theaterkarriere reichte ihr Talent nicht aus.“

Trotz solcher Einschränkungen wecken viele der mitgeteilten Einzelheiten Interesse, so vor allem die, welche die Freundschaft Ketes mit Else Lasker-Schüler betreffen. Diese widmete der Freundin zwei Gedichte, von dem eines, „Die Königin“, von Kraus in der „Fackel“ veröffentlicht wurde und den Vers enthält, der dem vorliegenden Buch den Titel gibt: „Du bist dunkel vor Gold“. Noch 1949 erinnert Alfred Döblin in einem Brief an Kete, die damals versuchte, die alte Bekanntschaft mit ihm zu erneuern, an diese Gedichte und an die Gesellschaft mit Kraus und Else Lasker-Schüler in Berlin um 1910 herum. „Es waren schöne und fruchtbare Zeiten.“

Der Brief belegt aber auch, dass man einander fremd geworden ist: Döblin verwechselt Walter F. Ottos bis heute renommiertes Buch „Die Götter Griechenlands“ mit dem gleichfalls auflagenstarken Buch „Das Heilige“ des evangelischen Theologen Rudolf Otto. Nebenbei bemerkt: „Die Götter Griechenlands“ wurden von keinem geringeren als Thomas Mann gelesen und gelobt, dem sie von Karl Kerényi empfohlen worden waren und der sie ein „schönes Buch“ nannte. Hingegen genoss Thomas Mann im Hause Otto, zumindest in der Nachkriegszeit, kein hohes Ansehen. Kete freute sich über Döblins „Abrechnungen“ mit ihm, „diesem sehnsüchtigen Urspiesser“.

Das sind Marginalien, und wer das Buch liest, kann gar nicht anders, als sich in Marginalien zu verlieren, oft noch abseitiger als die hier angeführten, so etwa die Erinnerungen eines Königsberger Nachbarn und Studenten an Walter F. Otto, in denen übliche Professoren-Anekdoten nicht fehlen. Es stellt sich die Frage nach der Relevanz, eine heikle Frage, weil sie die Tendenz hat, den Wert des Dargebotenen zu bezweifeln. Doch diesem Zweifel soll hier nicht stattgegeben werden. Fast jede Information kann von Nutzen sein, wenn sie in übergreifende Zusammenhänge gerückt wird; diese allerdings stellen sich nicht immer von selbst ein.

Titelbild

Friedrich Pfäfflin (Hg.): "Du bist dunkel vor Gold". Kete Parsenow und Karl Kraus. Briefe und Dokumente.
Wallstein Verlag, Göttingen 2011.
253 Seiten, 24,90 EUR.
ISBN-13: 9783835309845

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