„… hier noch unbekannt …“ – Ein neues Spurenheft aus Marbach erinnert an den Dichter, Übersetzer und Verleger Rainer M. Gerhardt

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Frech und selbstbewusst, stilistisch an Pound und die amerikanische Lyrik angelegt, schreibt der junge Verleger, Übersetzer und Poet Rainer M. Gerhardt 1951 sein langes Gedicht „Brief an Creeley und Olson“. Die sind überrascht, wie Olson meldet: „Gerhardt sent a bunch of stuff in today. Included (& what I take as best, no matter the compliment) BRIEF AN CREELEY UND OLSON! A long one /& pretty damn good.“ Und er antwortet mit einem seiner besten Gedichte, dem sehr langen „To Gerhardt, There, Among Europe’s Things of Which He Has Written Us in His ‚Brief an Creeley und Olson‘“:

so hart angepackt,

von diesem jüngst gekommnen Bärensohn

porzellan ist keins kaputt

doch auch kein lächeln in meinem mund

Die aufgabe, Gerhardt

ist genau zu sein, gleich

von anfang an.

Das ist ein bisschen väterlich von oben herab, aber doch mit Respekt geantwortet. Olson und Creeley zählen heute zu den wichtigsten Autoren der amerikanischen Nachkriegsliteratur. Aber wer war Gerhardt? Ein neues Heft der Reihe Spuren (Nr. 81), herausgegeben von der Deutschen Schillergesellschaft in Marbach, geschrieben von Georg Patzer, erinnert an sein kurzes Leben in Freiburg und vor allem in Karlsruhe.

Rainer Maria Gerhardt wurde am 9. Februar 1927 in Karlsruhe geboren, seine Mutter war eine Schwester des Wiener Komponisten Hans-Erich Apostel, sein Vater Maler. Nach dem Krieg wohnte er in Karlsruhe und Freiburg, wo er schnell einen Kreis von jungen Autoren, Malern und Komponisten um sich versammelte und sich mit ihnen der Moderne verschrieb. Eberhard Meckel und Claus Bremer und Renate Zacharias gehörten dazu, später auch kurz Hans Magnus Enzensberger und Ilse Schneider-Lengyel.

Neben Pound übersetzte und publizierte Gerhard bereits Ende der 1940er-Jahre Teile von Henry Millers „Der Wendekreis des Krebses“, Texte von T. S. Eliot, Delmore Schwartz, Saint-John Perse und Theodore Roethke. In seiner „schriftenreihe der fragmente“ erschienen zwei Bücher von Ezra Pound und je eines von Claire Goll, Wolfgang Weyrauch, Gerhardt selbst und Claus Bremer.

Aber er blieb erfolglos: Seine hochfliegenden Pläne mit seiner Zeitschrift „fragmente“ und den Büchern im gleichnamigen Verlag zerschlugen sich allesamt, in der literarischen Öffentlichkeit wurde er kaum wahrgenommen, und Autoren wie Arno Schmidt und Gottfried Benn, die er in seinem kritischen Essay „rundschau der fragmente“ als seine deutschen Hausgötter pries, unterstützten ihn nicht nur nicht, sie nahmen ihn auch nicht ernst: „Wissen Sie eigentlich, wie alt Herr Rainer Gerhardt aus Freiburg ist?“ schreibt Benns Verleger Niedermayer einmal an Benn, der dann auch noch den Namen von Gerhardts Reihe und Zeitschrift für einen Gedichtband stahl. Nur im Ausland, bei Ezra Pound und William Carlos Williams, bei seinen Freunden Olson und Creeley, den er einmal in Südfrankreich besuchte, bei Cid Corman und Jonathan Williams wurde er mit dem gleichen Enthusiasmus empfangen, der ihn selbst umtrieb.

Depressionen wechselten mit Phasen von intensiver und produktiver Arbeit. Noch wenige Tage vor seinem Tod schrieb er Briefe an Freunde, in denen er von neuen Plänen berichtete. Hochverschuldet und verzweifelt nahm er sich am 27 Juli 1954 das Leben.

G. P.

Titelbild

Georg Patzer: "... hier noch unbekannt ...". Rainer Maria Gerhardt in Karlsruhe.
Reihe Spuren, Heft 81.
Deutsche Schillergesellschaft, Marbach am Neckar 2011.
15 Seiten, 4,50 EUR.
ISBN-13: 9783937384399

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