Dichtung ist für mich Mystik und Musik

Gunnar Ekelöf erklärt sich und seine Gedichte

Von Arnd BeiseRSS-Newsfeed neuer Artikel von Arnd Beise

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Obwohl er einer der bedeutendsten Lyriker Schwedens war, ist Gunnar Ekelöf (1907-1968) in Deutschland kaum bekannt. 1932 erschien die erste seiner insgesamt 17 Gedichtsammlungen, zwei Jahre danach ein Band mit Übersetzungen moderner französischer Lyrik. 1962 entdeckte ihn Hans Magnus Enzensberger für die "Reihe Poesie" im Suhrkamp Verlag. Durch Ekelöf, der sich immer als "Internationalist" verstand, wurden die Dichtungen Baudelaires, Verlaines, Rimbauds, Mallarmés und der Surrealisten in Schweden bekannt. Sein eigenes dichterisches Werk ist vielfach der hermetischen Tradition des französischen Symbolismus verpflichtet; mit seiner schwer entschlüsselbaren Symbolik und dunklen Metaphernsprache kann man es der Poesie Mallarmés an die Seite stellen, den Ekelöf besonders liebte. Allerdings wird die Poesie Ekelöfs wesentlich auch noch aus einer weiteren Quelle gespeist, nämlich der orientalischen und speziell der altindischen Mystik. Ein prägendes Bildungserlebnis war für Ekelöf die Begegnung mit dem "Tarjumán al Ašwaq" des arabischen Mystikers Muhyí'd Dín Ibn al-'Arabí (1165-1240). "Dort und nirgends sonst lernte ich zuerst, was mit Symbolismus und Surrealismus gemeint ist", schrieb er in seiner 1941 erstmals publizierten autobiographischen Skizze "Der Weg eines Außenseiters".

Diese Skizze ist neben zahlreichen anderen Aufzeichnungen zur Biographie und vor allem zur eigenen Dichtung in der neuen Übersetzung von Klaus-Jürgen Liedtke in dem vorliegenden vierten Band einer auf sechs Bände angelegten Ekelöf-Werkausgabe im Kleinheinrich Verlag nun wieder auf deutsch erschienen. Der Band versammelt Selbstdeutungen des schwedischen Dichters aus den Jahren 1928 bis 1968, die insgesamt ein unerlässlicher Kommentar zu dem nicht ohne weiteres zugänglichen Dichtungen Ekelöfs sind. Ergänzt werden die Essays und Aufzeichnungen durch 63 Briefe Ekelöfs aus den Jahren 1916 bis 1968 (darunter erstmals auf deutsch alle erhaltenen Briefe an die seelenverwandte Nelly Sachs), die insgesamt die intellektuelle Biographie des Autors abbilden.

"Meines halbes Leben lang habe ich über die Möglichkeit, oder richtiger Unmöglichkeit, nachgedacht, eine Autobiografie zu schreiben", notierte sich Ekelöf einmal. Der vorliegende Band vermag durch Liedtkes kluge Auswahl prägnanter Texte die ungeschriebene Autobiographie Ekelöfs einigermaßen ersetzen.

Hier lernt man zu verstehen, woher sich Ekelöfs grundsätzliche Skepsis gegen jede festgefügte Weltsicht schreibt, wie verzweifelt der Dichter versuchte, das Misstrauen gegen die Poesie zu ihrem eigenen Ausgangspunkt zu machen und so in einer als sinnlos empfundenen Welt ihr dennoch dichterisch einen Sinn abzutrotzen. Für ihn ist Dichten eine Sisyphusarbeit, das Streben nach einer niemals zu erreichenden Erkenntnis, das gleichwohl niemals aufgegeben werden darf.

In diesem Streben gleicht er, der mystische Symbolist, den rationalistischen Aufklärern, denen er zeitlebens ebenso die Treue hielt wie den visionären Mystagogen. Immer wieder kommt er auf Montesquieu und Voltaire zurück; vor allem aber dem volkstümlichen schwedischen Aufklärungsdichter Carl Michael Bellman (1740-1795) würde er unter allen Umständen die Treue halten.

Das mochte vor allem musikalische Gründe haben. Bellmans eminent musikalische Sprache begeisterte Ekelöf, der mit einem Musikstudium geliebäugelt hatte, bevor er gewissermaßen umständehalber - die Wände seiner Pariser Klause waren zu dünn, als dass er ohne die Nachbarn zu stören, hätte musizieren können, so dass er sich stilleren Künsten zuwandte - zum Dichter wurde. Daher deklarierte er einmal: "Dichtung ist für mich Mystik und Musik". "Ich gehe davon aus, daß Dichtung nicht Sinn und Verstand ist, sondern Musik. Ich gehe davon aus, daß Musik Religion ist."

Ekelöf war Aufklärer genug, um niemals der Versuchung eines politisch zweifelhaften Äshetizismus zu erliegen, wie es beispielsweise dem bewunderten Ezra Pound geschah. Ekelöf verachtete alle Zwangsordnungen, insbesondere den Staat als "Aufrechterhalter der Ordnung". Dagegen setzte er "das Mitgefühl, Mitleiden, Einfühlung in das, was geschehen ist". "Es ist die Erfahrung, daß ein unheilbares Unrecht begangen worden ist und ständig begangen wird, gerade jetzt begangen wird, begangen werden wird", die ihn gewissermaßen in eine Fundamentalopposition zu aller Realpolitik mit ihrer instrumentalisierten Vernunft trieb, was er Mystik nannte.

Seine autobiografischen und poetologischen Selbstzeugnisse machen klar, weshalb Ekelöf so großen Einfluss auf die oppositionelle Avantgarde im Schweden der 1940er Jahre hatte - man denke an Autoren wie Stig Dagerman, Erik Lindegren oder den jungen Peter Weiss, unter deutschen Lesern der vielleicht bekannteste Adept Gunnar Ekelöfs.

Kein Bild

Gunnar Ekelöf: Der ketzerische Orpheus.
Kunstverlag Kleinheinrich, Münster 1999.
294 Seiten, 30,70 EUR.
ISBN-10: 3930754177

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch