Von Mahagonny und Alabama

Die gesamten Gedichte Bertolt Brechts und ihre Deutungen

Von Gesa HinrichsenRSS-Newsfeed neuer Artikel von Gesa Hinrichsen

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Es heißt, man solle Menschen nicht nach ihrem Äußeren und Bücher nicht nach ihrem Umschlag beurteilen. Doch ist mir dieses Buch in die Hände gefallen, ich habe es nach seinem Umschlag beurteilt und mich verliebt. Rotes Leinen, mit silbrig glänzenden Buchstaben, die nur ahnen lassen, was sich hinter dem Buchdeckel auf 1251 Seiten erstreckt: Bertolt Brecht. Die Gedichte. Ein schlichter Titel für ein wertvolles Buch eines vornehmen Verlages.

Zum 50-jährigen Jubiläum des Suhrkamp Verlages kommt diese Ausgabe daher. Schwer, voller brechtscher Gedanken, teils jugendfrei, häufig nicht und einfach schön.

Angefangen mit den "Liedern zur Klampfe" über die "Hauspostille" und die Lieder der "Dreigroschenoper" bis zu verschiedenen Einzelgedichten aus den Jahren 1913 - 1956 ist die gesamte Lyrik Eugen Berthold Friedrich Brechts hier versammelt. Dieser Band lädt ein zum Stöbern und Schmökern und hält so manche Überraschung parat, da auch die unbekannteren Gedichte hier zu entdecken sind.

Eine besondere Freude bereitet dieses Buch, wenn, parallel zum Schmökern, theoretische Konzepte und Interpretationen verinnerlicht werden. So brachte Helmut Koopmann im vergangenen Jahr eine Sammlung verschiedener Aufsätze heraus, die als Vorträge an der Universität Augsburg im Sommersemester 1998 gehalten worden sind, erfasst sie unter dem Titel "Brechts Lyrik - neue Deutungen" zusammen. Es werden verschiedene Aspekte der Brechtschen Lyrik aufgegriffen und vertieft. Werner Frick gibt Beispiele, wie Brecht sich sowohl in Eitelkeit als auch in Selbstmitleid aalt. Er verfolgt die poetische Selbstinszenierung Brechts von Beginn seines Schaffens bis zu seinem Tod und zeigt die vollzogene Wandlung auf. Gab er sich in den Liedern zur Klampfe noch aufmüpfig und egoman, so sind seine späten Gedichte durchzogen von sozialistischem Gedankengut.

An anderer Stelle interpretiert Hans Vilmar Geppert das "Lesebuch für Städtebewohner" und stellt es in den Kontext von Rundfunk, Film und Roman der 20-er Jahre. So war in all diesen Medien in der Entstehungsphase dieses "Lesebuchs" 1926/27 das Thema Großstadt präsent. Brecht war den neuentstehenden Medien Film und Rundfunk gegenüber aufgeschlossen und plante, diesen Zyklus nicht nur als Buch, sondern auch als Hörspiel zu veröffentlichen. Es ist ein dialogartiger Text, gespickt mit Aphorismen, die in aller Härte den Zuhörer und Leser treffen sollen. Dies ist nicht nur spannend nachzuvollziehen, es macht auch Lust auf mehr. "Bei keinem Lyriker des 20. Jahrhunderts gibt es eine größere Vielfalt an Themen, Perspektiven, Anspielungen, Formen, bei keinem gibt es mehr Artistik, bei keinem auch mehr (gewollte) Trivialität und Obszönität. Er hat die schönsten Liebesgedichte unseres Jahrhunderts geschrieben und ebenfalls einiges an Derbheiten aufs Papier gebracht, das kaum zu überbieten ist." Was bleibt nach einer so kompakten Aussage Koopmanns noch zu sagen?

Dass Brecht provozierte wie in "Über die Verführung von Engeln", dass er auf die Ungerechtigkeiten des Krieges und des Kapitalismus' reagierte, dass er Liebhaber vieler Frauen war? Vielleicht das eine. Der Suhrkamp Verlag brachte in diesem Jahr nicht nur die gesammelten Gedichte Brechts heraus: Im letzten Jahr erschien die Hauspostille als Reprint der Erstausgabe von 1927. Ein Buch, in dem Brecht selbst eine "Anleitung zum Gebrauch der einzelnen Lektionen" voranstellt. So wenden sich die fünf Lektionen an das Gefühl, den Verstand, die Zeiten der rohen Naturgewalt (Abenteuer kühner Männer und Frauen), die Zeiten der Anmaßung und das Angedenken vergangener Zeiten. "Die Hauspostille ist für den Gebrauch der Leser bestimmt. Sie soll nicht sinnlos hineingefressen werden." Es ist eine homöopathischen Sammlung von Gedichten, Psalmen, Balladen und Liedern, betitelt mit "Bittgänge", "Exerzitien", "Chroniken", "Psalmen und Mahagonnygesänge" und "Die kleinen Tagzeiten der Abgestorbenen". Abschließend enthält dieser Band das Gedicht "Vom armen B. B.", das wohl "eindringlichste, lyrische Selbstbildnis", so Koopmann, das Brecht je gezeichnet hat. Es ist ein düsteres apokalyptisches Bild, welches er hier, wie auch etliche weitere Male, entwirft. Er, der wusste: "es kommt nichts nachher."

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Helmut Koopmann: Brechts Lyrik - neue Deutungen.
Verlag Königshausen & Neumann, Würzburg 1999.
216 Seiten, 20,30 EUR.
ISBN-10: 3826016890

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch

Titelbild

Brecht Bertolt: Hauspostille.
Suhrkamp Verlag, Frankfurt a. M. 1999.
160 Seiten, 7,10 EUR.
ISBN-10: 3518395416

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Titelbild

Bertolt Brecht: Die Gedichte.
Suhrkamp Verlag, Frankfurt a. M. 2000.
1220 Seiten, 39,90 EUR.
ISBN-10: 3518411519

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