Der Tod und seine Dynamiken

Louis Begleys dritter Schmidt-Roman „Schmidts Einsicht“

Von Charlotte LampingRSS-Newsfeed neuer Artikel von Charlotte Lamping

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Nach „Schmidt“ und „Schmidts Bewährung“ ist „Schmidts Einsicht“ der dritte Roman Louis Begleys, der vom pensionierten und alternden Anwalt Albert Schmidt handelt. Mittlerweile ist „Schmidtie“ Ende 70, und ein äußerst wohlhabender Mann. Umgeben und unterstützt von reichen Freunden verlebt er seinen Lebensabend in New York und den Hamptons, reist durch Europa.

Begley versucht mit seinem Roman dem Leser zweierlei vorzuführen: Einerseits soll er einen tiefsinnigen, zum Teil etwas schwermütigen, intelligenten und nachgiebigen Mann zeigen, der vom Leben gebeutelt wird. Andererseits lebt Schmidt in einer Welt, in der Geld zum wichtigsten Faktor des Lebens geworden ist. So smart, lebenserfahren und besonnen Schmidtie auch dargestellt wird, er denkt hauptsächlich in Kategorien des Geldes, die weitestgehend alle Probleme lösbar machen. Sogar in menschlichen Beziehungen, die zuvorderst nicht von Geld abhängen, bringt er es ins Spiel: Nach der Geburt des Kindes seiner Ex-Geliebten kreisen seine Gedanken darum, was er diesem Kind alles finanzieren könne: Schulausbildung, College, Ferienlager, und so weiter. Als seine erwachsene Tochter in eine Psychiatrie eingeliefert wird, ist es für ihn eine mehr als legitime Vorstellung, dass er für die Behandlung aufkommen wird. Schmidt als der sich ewig mühende Geliebte und Vater: Sicher, Schmidt will das Beste, es scheint aber nicht Liebe und Fürsorglichkeit zu sein, die er bietet, sondern materielle Sicherheit. Innerhalb dieses Gefüges dominieren trotz allen Wohlstandes und aller Gelassenheit die Einsamkeit und das Unglück.

Verhält es sich in der sexuellen Liebe anders? Dominierend in diesem Roman ist Schmidts Verhältnis zu Alice. Auf Alice trifft Schmidt immer wieder in seinem Leben, in größeren und kleineren Zeitabständen; diese Zusammentreffen halten den Roman eigentlich zusammen. Schon bei der ersten Zusammenkunft verliebt Schmidtie sich in sie. Sie ist die alte und immer wieder neue Liebe des Protagonisten, sie ermöglicht eine über ein viertel Jahrhundert gelebte gemeinsame Geschichte. Der Roman setzt Silvester 2008 ein, als die Französin Alice Schmidtie endlich in den Hamptons besucht und letztlich bei ihm bleibt – ein sich zögerlich ankündigendes Happy-End, das sich aber erst am Ende des Romans realisiert. Nun werden in einer – manchmal allzulang ausgeführten – Rückblende die Verknüpfungen und Trennungen beider Leben geschildert, bis der Roman am Neujahrstag 2009 endet.

Begleys Roman pendelt zwischen zwei Extremen: der Macht des Geldes und der (Ohn-)Macht der Liebe. Der Roman führt das Leben Schmidts vor, in dem sich beinahe alles durch genügend Geld regeln lässt – es muss dabei nicht immer das eigene sein. Einzig Schmidts langandauernde Beziehung zu Alice passt nicht in dieses Schema. Immer wieder treffen die beiden aufeinander, doch entwickelt sich nie eine konstante Beziehung daraus. Die freiheitsliebende Alice hält Schmidtie auf Abstand, worunter er leidet.

Schmidt ist jedoch niemand, der im großen Stil leidet, niemand der zusammenbricht, niemand der Emotionen aushalten kann oder muss, dies ist nicht in seiner Figur angelegt. In seinem Leben dominieren die Standards der New Yorker Upper Society: Geld, Sex, Lifestyle – mit ihnen lassen sich die Verluste des Lebens ertragen. Und es gäbe nicht wenig, was Schmidt zu betrauern hätte. Er verliert seine Frau durch den Krebs, er hat ein gestörtes Verhältnis zu seiner Tochter und deren Ehemann, seine junge Geliebte hat ihn verlassen, er ist pensioniert und kann seine Anwaltstätigkeit nicht mehr ausüben.

Alice entzieht sich ihm immer wieder auf‘s Neue. Und als man schon denkt, es könne nicht mehr schlimmer kommen, stirbt auch noch seine Tochter bei einem Autounfall. Schmidt stellt sich daraufhin die Frage: „Warum sollte dieser Mann am Leben bleiben“? Sie führt aber zu keiner Konsequenz, außer der Einsicht, dass das Leben angenehm genug zu sein scheint. Schmidt erscheint weiter als abgelegter, aber dennoch gönnerhafter Liebhaber, er kultiviert sein Gutmenschentum. Dabei sind Schmidts Emotionen immer beherrscht. Obwohl Schmidt alle geliebten Frauen in seinem Leben verloren hat, bleibt er abgeklärt, kultiviert, generös, weitblickend, selbstkritisch .

Selbst wenn „sein emotionales Gleichgewicht“ mal erschüttert ist, gelingt es ihm noch, Beschimpfungen an die Schwiegermutter distinguiert zu übermitteln: „Sehr langsam, sehr deutlich, höchst präzise artikuliert, sagte er: Ich scheiße auf dich, Renata“. Der neue Begley-Roman verhandelt viele große Gegenstände der Literatur: Tod, Liebe, Verlust, Trauer, Entfremdung, Freundschaft. Doch glaubhaft werden sie durch ihre Fülle nicht, ihr emotionaler Wert und die Darstellung bleiben gering, kaum erkennbar ist das Leiden Schmidts, der beinahe alles im Leben verloren hat, denn diese Katastrophen erscheinen dem Leser kompensiert durch einen Schutz des gelebten Spießertums, Reichtums und der gepflegten Langeweile.

Wo bleiben Schmidts Schmerz, seine Wut und Trauer? Vielleicht ist Begleys Konzept nun doch ein anderes und geht letztlich auf: Warum sollte ein solch intelligenter und begnadeter Mensch und Anwalt wie Schmidt im Leid untergehen? Gehört es nicht zur Weisheit des Alters, all diese Dinge zu ertragen, in Kauf zu nehmen? Weiterzumachen wie bisher? Muss man nicht die Determiniertheit des Lebens, und damit alles Unglück, annehmen?

Letztlich handelt der Roman „Schmidts Einsicht“ vom Tod. Und der Liebe – in Kombination. Schlechterdings die Themen der Literatur, die sich wohl auch nicht trennen lassen. Anhand des Todes wird deutlich, was der Roman nicht leistet oder vielleicht gar nicht leisten soll. Als mehrmals eintretendes zentrales Ereignis hätte der Tod etwas in Schmidts Leben ändern oder bewegen, ihn zum Umdenken bekehren, ihm emotionale Tiefe geben können. Er bleibt aber immer derselbe, er stagniert, es gibt keine Entwicklung. Der Roman spielt immer wieder dasselbe Prozedere durch: Schmidt als den zwar intelligenten, mitfühlenden Freund, Vater und Geliebten und gleichzeitig den oberflächlichen und geldbesessenen Yuppie. Darunter leidet der Roman: Dass sich Begley nicht entscheiden konnte, wen er vorführen wollte.

Vielleicht ist jedoch der Tod das wandlungsfähigste Element im Roman: Denn er hat letztendlich nicht nur zerstörende Macht. „So hatte sich der Tod noch einmal eingemischt, um Alices Leben mit dem seinen zu verbinden. Zuerst hatte er Alices Ehemann Tim Verplanck hinweggerafft und dann in einem bizarren Ausfall Popov“. So führt er Schmidt und Alice zusammen.

Titelbild

Louis Begley: Schmidts Einsicht. Roman.
Übersetzt aus dem Amerikanischen von Christa Krüger.
Suhrkamp Verlag, Berlin 2011.
415 Seiten, 22,90 EUR.
ISBN-13: 9783518422502

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