Von Love & Peace zum Terror

"Auf dem schwarzen Schiff" mit Bernhard Lassahn

Von Klaus Cäsar ZehrerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Klaus Cäsar Zehrer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

"Die Bilgen mußten gelenzt werden." Bilgen sind irgendein Teil eines Segelschiffes, und lenzen, naja, das ist halt das, was man mit Bilgen immer so machen muss. Seefahrerromane haben mich schon immer angeödet. In "Auf dem schwarzen Schiff" wird über 500 Seiten lang an der westafrikanischen Küste hin- und hergesegelt, und ich habe das Buch mit größter Aufmerksamkeit gelesen, die zweite Hälfte geradezu verschlungen. Es geht nämlich nicht nur um die üblichen Abenteuer auf dem Meere, es geht auch und vor allem um das Ende einer Epoche, der 1970-er Jahre, und nach der Lektüre verstehe ich wieder ein wenig besser, weshalb sie unwiederbringlich vorbei ist, die Zeit, als man noch genau zwischen Gut und Böse unterscheiden und auf den Sieg des Guten hoffen durfte.

Böse, das ist in diesem Falle das südafrikanische Apartheidsregime, das auch das benachbarte Namibia kontrolliert. Die "Operation Namibia" hingegen ist gut, zumindest von der Idee her: 1977 bricht in Europa das Segelschiff "Golden Harvest" in Richtung Namibia auf. An Bord: Eine internationale Crew meist junger, unterschiedlich segelerfahrener Politaktivisten sowie 7.000 im Zielland verbotene Bücher, die dort eine Freiheitsbibliothek bestücken und der von unliebsamen Informationen abgeschnittenen Bevölkerung die Augen für ihre Lage öffnen sollen.

Wer so viel Menschliches im Sinn und überdies die Aufmerksamkeit der Medien und die Unterstützung der Vereinten Nationen im Rücken hat, wer nach dem Prinzip "no masters - no slaves" gewaltfrei-basisdemokratisch organisiert ist, wer an Deck Gras raucht und Bob Dylan- und Cat Stevens-Songs zur Gitarre singt, wer derart schier überquillt vor good vibrations - wer sollte den aufhalten?

Die Realität natürlich. Ein fiktiver Roman hätte mit der triumphalen Einfahrt der Helden im Zielhafen geendet, die armen Schwarzen hätten sich auf die Bücher gestürzt wie Verhungernde auf den Braten, die fiesen weißen Unterdrücker sich die Haare gerauft... doch Lassahn erzählt eine tatsächliche Begebenheit detailgetreu nach: Die "Operation Namibia" gab es wirklich, sie scheiterte kläglich, und die Gründe für das Scheitern sind derart exemplarisch, dass die Mission mit Recht zum Romanstoff gerann.

Schon während der Zwischenstopps in den afrikanischen Häfen schlägt den Friedenspiraten keineswegs der dankbare Jubel ihrer black brothers entgegen, da hilft alle Anbiederung nichts. Bestenfalls ignoriert, häufiger beschossen, gerammt, willkürlich verhaftet, von schwarzen Militärs geschlagen und gefoltert, wiederholt ausgewiesen - Schwarzafrika pfeift auf den guten Zweck, will die nonviolent direct action gegen Apartheid nicht haben. Dazu kommen Krankheiten, die miserable Ernährungslage, die Kakerlakenplage an Bord, das zermürbende Klima und schließlich der große Clinch in der Crew.

Und der - die genretypischen Mann-über-Bord- und Trinkwasser-wird-knapp-Dramen in Ehren - macht das Spannende der Geschichte aus: Wie da Elise, die einzige Frau der Truppe, und Momo, der einzige Afrikaner, gnadenlos ihre Opferrolle ausspielen; wie sie ihre Macht Schritt für Schritt ausbauen und festigen mit dem ewigen Argument, als Vertreter der Machtlosen legitimerweise für Gleichberechtigung zu kämpfen; wie die weißen Männer bei jeder Panne zu hören bekommen: "It is your fault", und sei es via Erbsünde, weil sie Abkömmlinge der Kolonialisten und Sklaventreiber sind - wer je in den vergangenen dreißig Jahren mit linken Gruppen zu tun hatte, kennt die Mechanismen zumindest ansatzweise.

Es beginnt mit dem eher albernen Genörgel Elises über einen im Schiffsinneren angepinnten Cartoon von Mordillo, dessen Darstellung von Knollenmännchen bei einer Seeschlacht angeblich gewaltverherrlichend sei, und endet im kompletten Wahn Momos und Elises, die den Rest der Crew bis zur Unerträglichkeit demütigen, quälen, in Lebensgefahr bringen und schließlich nach und nach von Bord ekeln. Damit ist die "Operation Namibia" einige tausend Kilometer vor ihrem Ziel gescheitert. Was die Afrikaner mit den Büchern, wären sie je am Bestimmungsort angekommen, anzufangen gewusst hätten, bleibt auf immer ungewiss.

Hätte sich Lassahn die Story ausgedacht, er müsste sich ziemlich platten Rassismus und Sexismus vorwerfen lassen. So aber lehrt das gewissenhaft recherchierte Buch in der Nussschale des Segelboots, wie Gerechtigkeitssinn in Terror umschlagen kann: Wer sich selbst für den 'objektiv' Guten hält, hat die erste Stufe dorthin schon genommen. "Auf dem schwarzen Schiff" hätte verdient, zu einer Art "Dritte Welle" für Linke zu werden.

Titelbild

Bernhard Lassahn: Auf dem schwarzen Schiff. plus Loseblattsammlung des Buch 512 Seiten.
Goldmann Verlag, München 2000.
512 Seiten, 24,00 EUR.
ISBN-10: 3442309115

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